16. April 2012

Gruß aus den heiligen Hallen

 

Claus Bernet: Ludwig von Hofmanns „Träumerei“

Ludwig von Hofmanns Gemälde „Träumerei“ ist eines der ersten Bilder, die man sehen kann, folgt man dem Parcours der Alten Nationalgalerie Berlin. Es befindet sich in bester Gesellschaft. Links von ihm schaut lockend „Die Sünde“ von Franz von Stuck (direkt daneben ein weiterer Lockvogel, „Tilla Durieux als Circe“, ebenfalls von von Stuck), rechts davon die eher kontemplative „Serenade“ von Giorgio de Chirico).  Es ist die Zeit der Jahrhundertwende, des fin-de-siècle, der künstlerischen Sezessionen, deren Mitstreiter von Hofmann ist. Max Liebermann macht den Impressionismus populär, die akademische Malerei hat es zunehmend schwerer, ihren Alleinanspruch auf künstlerische Wahrheit geltend zu machen.

 

Der Publizist Claus Bernet versucht mit der vorliegenden kleinen Monografie, auf ein paar Aspekte hinzuweisen, die wichtig sind, um „Träumerei“ zu verstehen. Denn es ist ein symbolistisches Bild, das wie viele dieser Art sich ansehen lassen, aber wohl viele Fragen hinterlassen. Denn die Symbole sind nicht unbedingt im Goetheschen Sinn an die Dinge gebunden, von denen sie Symbole sind. Das macht diese Kunstrichtung ja auch oft so bizarr und schräg, was unfreiwillig komische Effekte nicht ausschließt.

 

Von Hofmanns Bild zeigt im Vordergrund eine Frauengestalt; eine von vielen der präraffaelitischen und symbolistischen Malerei. Bernet widmet einen Abschnitt dem Thema „Frauenbild und Frauenbilder um 1900“. Ein letztes Schaulaufen der Frau, eine letzte Idealisierung, bevor nur einige Jahre später die dann entschieden einsetzende Emanzipation das Frauenbild diversifizieren wird. Davon ist bei von Hofmann noch nichts zu spüren. Maltechnisch nicht akademisch (die Akademiker warfen ihm voller Hohn eine absurde Anatomie der beiden Brüste vor), schauen wir in eine Landschaft, die eher aus dem Inneren stammt und sich einer örtlichen und zeitlichen Überhöhung verdankt. Es ist der Moment einer Träumerei, aber macht uns das Gemälde von dieser Frau träumen, oder träumt diese leicht abwesend wirkende Frau, deren Alter sich nur schwer bestimmen lässt, von uns Männern? Im Hintergrund Strand, Wasser, vielleicht ein Ausschnitt einer Bucht, ein höhlendurchbrochener Felsen, eine verschwindend kleine Mondsichel, zwei weitere, kleine Gestalten. Florale und massive Rahmen rahmen dieses Bild ein.

 

Von Hofmann verwendet die neuen Farben des Impressionismus. Und doch wirkt dieses Bild eigenartig dunkel. Die Frau wendet sich dem dunkleren Bereich zu, vom Land zum Wasser, eine andere „Frau vom Meer“. Aber wir leben heute in einer anderen Zeit. Wir können kaum noch nachvollziehen, dass Ludwig von Hofmann damals ein sehr bekannter und anerkannter Maler war (gleichwohl widmete die Jugendstil-Stadt Darmstadt dem Künstler 2005 eine Retrospektive; die Berliner rückten allerdings dieses Bild nicht heraus). „Träumerei“ ist ein wunderbares Beispiel dafür, dass die vielleicht entscheidenden Rahmen nicht vom Künstler stammen.

 

Dieter Wenk (3-12)

 

Claus Bernet, Ludwig von Hofmanns „Träumerei“. Eine Berliner Bildgeschichte, Berlin 2011 (Kulturverlag Kadmos Berlin)