10. Dezember 2003

Der erotische Mehrwert

 

Was für ein albernes Stück. Albern nicht, weil der Zuschauer oder Leser nicht mehr an die Götter glaubt, sondern weil die Vertauschungen so durchsichtig und die Ergebnisse so vorausschaubar sind. Und was für einen Spaß muss Kleist gehabt haben, seine Figuren so wortreich und -gewaltig zu quälen. Ein sonderbarer Spaß. Zeus/Jupiter, der von Alkmene hören will, dass er besser fickt als Amphitryon. Apropos Mehrgenuss. Jupiter hat gute Gründe, sich ein bisschen umzusehen und mit Frauen anzubandeln, denn die schlichte Beschränkung auf den Verkehr mit seiner Gattin Hera würde ihn als Verlierer dastehen lassen. Da hätte der alte Teiresias mal lieber seinen Mund gehalten oder gelogen, aber seitdem ist es raus, dass von 10 Liebesanteilen allein 9 der Frau zukommen. Das ist eine Ungerechtigkeit, die durch keine Emanzipation wettgemacht werden kann. Da hilft nur Quantität.

Die Besuche von Zeus entspringen also keiner bloßen Laune und lassen sich sogar gegenüber seiner Frau ins Spiel bringen. Außerdem ehrt es die irdischen Frauen. Und ist nicht jeder Mann geadelt, der weiß, dass es seine Frau mit einem Gott getrieben hat, der sie für wert hielt vor allen anderen Frauen? Aber was hilft das, solange die Identitäten in so furchtbarer Unordnung sind wie in diesem Stück. Es hilft niemandem. Weder den genarrten Sterblichen, die nicht ein noch aus wissen, noch den Göttern, die sich teils nicht verständlich machen können und eine böse Abfuhr erfahren, was ja klar ist, und sich teils in hässliche Menschen hineinversetzen müssen wie Merkur, der sich dann auch noch mit Charis vergnügen muss, noch zuletzt dem Leser, der vielleicht noch die rhetorischen Girlanden bewundern mag, mit denen Jupiter die arme Alkmene traktiert und die hier eine erste Erfahrung in Sachen double-bind machen darf. Das ist natürlich nicht das Ziel Jupiters, die gute Frau zu quälen, aber irgendwie muss er ja mit dem Unterscheiden zwischen Amphitryon und Amphitryon anfangen, und das gelingt ihm nur, als er eine Trennung zwischen dem gesetzlichen Gatten und dem Liebhaber einführt, von der Alkmene erst mal nichts wissen kann.

Jupiter muss ihr das dann schriftlich vorführen, dadurch dass er sie in einem einzigen Zug täuscht und das, was sie bislang übersehen hat, als das zu verstehen, was den Blickwechsel in Gang setzt. So wird aus einem großen A ein großes J, wie es auf dem Siegel steht. Und aus dem routiniert vögelnden Ehemann der seltene Besuch eines Olympiers, der es in diesen Dingen auch nicht einfach hat.  Vögelt am Ende Alkmene besser als Hera? Man erfährt es nicht, aber den Beteiligten werden schließlich die Augen geöffnet, die verwirrten Gestalten gehen demütig vor dem gelichteten Jupiter in die Knie und erfahren mit Freude die Botschaft, dass Alkmene dereinst mit einem Knaben niederkommen werde, der als Held in die Geschichte eingehen wird, Herkules. Für solche Zwecke darf ein Mann seine Frau schon mal hergeben. Und solange es Zwillinge gibt, wird es auch immer eine Plausibilität geben, dieses Stück zu spielen, auch wenn die Götter schon längst verschwunden sind. Und was die Zukunft angeht: Klone sollen wesentlich schlechtere Liebhaber sein als ihre Originale. Ach!

 

Dieter Wenk

 

<typohead type=2>Heinrich von Kleist, Amphitryon</typohead>