24. Januar 2012

„Das Kino geht weiter“


„Das Kino geht weiter: Das heißt auch, dass das Kino eine privilegierte Form der Interpretation unserer Welt bleibt“, zitiert der Pressetext Rancière anlässlich der Buchpräsentation „Das Kino geht weiter“ (anschließend Filmvorführung von „Hana-Bi“ von Takeshi Kitano, am 13. 1. 2012 im Kino Arsenal, Berlin).

 

Sulgi Lie ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Filmwissenschaft der Freien Universität Berlin. Julian Radlmaier studiert Regie an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin.

 

Die Fragen stellte Christoph Bannat per E-Mail.

 

 

CB: Unterscheidet ihr zwischen Kino und Film?

 

S.L./J.R.: Die Frage zeugt vielleicht von einem Missverständnis – das Buch ist eine Sammlung von Rancière-Texten und keine (vom Nachwort abgesehen) eigene Rancière-Exegese oder Filmästhetik „mit Rancière“. Zur Unterscheidung Kino/Film äußert sich Rancière nicht explizit. Der institutionelle Aspekt spielt aber keine große Rolle.

 

CB: Wie sieht euer Ansatz beim Sammeln der Aufsätze und Schriften Rancières zum Kino aus?

 

S.L./J.R.: Der Band beinhaltet Texte, die weder in Rancières Kino-Büchern („La fable cinématographique“ und „Les écarts du cinéma“) noch sonstigen Monografien oder Sammelbänden erschienen sind (auch nicht in Frankreich). Texte, die sich inhaltlich zu stark mit bereits in Buchform erschienenen Texten doppelten, haben wir weitgehend vermieden. Besonders interessiert haben uns vielleicht Texte, die sich mit dem Gegenwartskino befassen oder für einen politisch gedachten Fiktionsbegriff polemisieren.

 

CB: Welche Ordnung habt ihr gewählt und welche anderen Möglichkeiten kamen für euch infrage?

 

S.L./J.R.: Die Texte sind in drei Teile gruppiert – Figuren der Fiktion, Das unreine Kino, Politiken der Fiktion –, die drei für uns wesentliche Aspekte von Rancières filmästhetischer Reflexion unterstreichen: Die Entwicklung eines spezifischen Fiktionsbegriff, dessen politische Implikationen sowie das Kino als eine Kunst der „Durchkreuzung“ verschiedener Gattungen, Genres, Poetiken und ästhetischer Regime. Die Zuordnung der Texte hätte jedoch sicher auch anders aussehen können, da in den meisten Texten alle drei Aspekte eine Rolle spielen, wenn auch in unterschiedlicher Gewichtung.

 

 

CB: Rancière spricht („Der emanzipierte Zuschauer“, Passagen Verlag), und ich denke dass sich daraus ein Teil seiner Beachtung sich daraus speist, von der Aufteilung des Sinnlichen, als eine apriorische Verteilung von Positionen und verschiedenen Fähigkeiten und Unfähigkeiten, die an diese Positionen geknüpft sind, als fleischgewordene Allegorie der Ungleichheit (hier in Bezug (verkürzt) auf die Abwertung des Zuschauers als passiv, also negativ, und die des Arbeiters als aktiv, positiv). Für mich klingt das wie ein, sein Programm-Punkt. Habt ihr als Autoren solche Lieblingsprogrammsätze? Und wurden diese von euch herausgearbeitet bzw. herausgestellt?

 

S.L./J.R .: „Das Reale muss zur Dichtung werden, damit es gedacht werden kann.“

 

CB: Jean-Luc Godard sagt in „Histoire(s) du cinéma „ (filmedition suhrkamp), das jedes Auge für sich verantwortlich ist, ein anderes Mal das Bild und Ton jeweils zeitgleich in unterschiedlichen Kinosaal laufen sollten. Damit verweist er, einerseits auf ein gesellschaftliches Nervensystem in dem alle Bilder zusammen laufen, und auf die sklavische Verkettung von Ton und Bild beim Film. Gibt es solch Medien- ich schreib mal-theoretische Ansätze bei Euch?

 

S.L./J.R.: Rancière schreibt weder eine Ontologie des Kinos noch eine normative Poetik, sondern definiert das Kino über die Singularität seiner Erfindungen: „Das Kino hat ebenso wenig eine spezifische Essenz wie ein natürliches Verhältnis zu den Arten und Weisen des Sprechens und des Fühlens seiner Zeit. Es ist einfach eine Reihe singulärer Interventionen, eine Reihe von Erfindungen von Körpern, Bewegungen und Zeiten, die keinerlei historischer Teleologie folgen.“

 

CB: In „Der emanzipierte Zuschauer“ schreibt Rancière in Zusammenhang von Godards „Histoire(s) du cinéma“, dass dieser mit den Bildern des Kinos das machen möchte „ ...was das Kino selbst nicht gemacht hat, weil es seine Berufung verraten hat, als es die Brüderlichkeit der Metaphern dem Handel mit Geschichten geopfert hat.“ Inwieweit haben euch solche Ansätze interessiert oder gar beim Buchmachen beeinflusst ?

 

S.L./J.R.: Wichtig ist, was Rancière Godards paradoxem Requiem entgegensetzt: Das Kino „geht“ für Rancière deshalb „weiter“, weil es sich eben allen teleologischen „Berufungen“ entzieht – dieser antifatalistische, emphatische Ansatz interessiert uns an Rancière.

 

CB: Plant ihr weitere Filme, welche Rancière besprochen hat, zu zeigen?

 

S.L./J.R .: Bislang sind keine weiteren Veranstaltungen geplant.

 

Jacques Rancière: UND DAS KINO GEHT WEITER
Schriften zum Film, August-Verlag

Herausgegeben von Sulgi Lie und Julian Radlmaier
Aus dem Französischen von Julian Radlmaier

Format 11 x 18 cm, ca. 176 Seiten mit ca. 20 s/w Abb., Deutsch, ISBN 978-3-941360-19-8, 14.80 Euro