23. Dezember 2011

Bildende Comics

Marcel Proust, Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, adaptiert und gezeichnet von Stéphane Heuet, Knesebeck-Verlag
Kiki de Montparnasse, Catel & Bocquet, Carlsen-Verlag
Hair Shirt, Patrick McEown, avant-verlag
Astorio Polyp, David Mazzucchelli, Pantheon Books-Verlag
Xed´Out, Charles Burnes, Pantheon Books-Verlag
Comic-Biographie - Hundertwasser und andere, Willi Blöß-Verlag
Unterwegs mit Samuel, Tommi Musturi, Reprodukt-Verlag

 

Eigentlich gibt es nur zwei Arten von Menschen. Jene, die Proust „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ gelesen haben, und jene, die dies nicht taten. Jene, die nur bis zur Madeleine kamen, gehören auch zu den Nichtlesern. Erschwerend kommt hinzu, dass Männer Proust erst ab 35, Frauen ab 29 begonnen haben sollten. Also ein Alter, in dem man schon einige Redaktionsklinken geputzt hat, um Themen unterzubringen. Ich meine die körperliche Erfahrung einer Mikropolitik, wie sie auf Schritt und Tritt, Blick und Gegenblick, in Redaktionen herrscht. Der Comic-Journalist und Redakteur der FAZ Andreas Platthaus will möglichst einmal im Jahr Proust lesen, bei etwa 4000 Seiten kein leichtes Unterfangen. Jedenfalls behauptet er dies, als er den ersten Proust-Comicband „Combray“ vor Jahren in Berlin lobend vorstellte. Jetzt ist, nach „Im Schatten junger Mädchenblüte – Teil 1“, der zweite Teilband „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ erschienen. Platthaus steht, als Comicfan mit Doktortitel, für den Zugang des illegitimen Genres Comic zur Hochkultur. Lieber ist mir der Kunsthistoriker Werner Hoffmann, der den Comic, ganz allgemein, für minderwertig hält, im Verhältnis zur Karikatur. Und der darf das, schließlich hat er den lesenswerten Klassiker „Die Karikatur von Leonardo bis Picasso, 1956“ verfasst und damit eine Landmarke im Feld der Bildbetrachtung von Alltagsmythen geschaffen. 

Ich habe 9 Monate gebraucht, um Proust zu lesen. Also Lebenszeit investiert. Und diese „Investition“ wird im Roman zugleich thematisiert. Und das in Schachtelsatzorgien, deren längste aneinandergereiht eine Länge von bis zu 4 Metern ergeben sollen. Eine echte Überforderung. Gerade das aber ist dieser Proust-Comic nicht. Gerade das ist ein Vorwurf an viele Comics. Wo doch die Überforderung gerade das ist, wo wir uns selbst am stärksten selbst „lesen“. Der Proust-Comic ist flach und will uns Proust vermitteln, macht uns so zu Vermittelnden, und will uns einfach nicht überfordern. Detailtreue war eines von Platthaus` Argumenten. Mag sein, doch die Bilder sind atmosphärisch dermaßen flach und niedlich, dass sie an Unterforderung kaum noch zu überbieten sind. Und dumm-brav wird die Geschichte chronologisch durcherzählt, wo sich die Zeit im Roman mehrfach ineinander verschachtelt darstellt. Der einzige zeitgenössische Meister dieser Erzählweise ist Chris Ware. Er ist derjenige, der die lineare Erzählweise am genialsten aufhebt und verschiedene Zeitebenen in diagrammartiger Stilisierung auf die Fläche überträgt.   

Dieser Proust-Comic hat die tiefe einer ausgetrockneten Pfütze. Zum Beispiel, und in diesem Artikeln soll es ja um freie Kunst und Comic gehen, ist Elister, der Künstler im Roman nachweislich zusammengesetzt aus den Malern William Turner, James Whistler, Edgar Degas, Claude Monet, Paul Hellen und Edourard Vuillard. Und klingt das nicht wie das Konzept einer Comic-Seite von Chris Ware, nur eben als personifizierte Zeit. 

Ein weiteres schlechtes Beispiel ist Kiki de Montparnasse von Catel und Bocquet. Auch dies ist ein Beispiel für eine schlechte Graphic Novel. Weder die habherzig einfach gehaltenen Zeichnungen noch die „runtererzählte“ Geschichte zeugen von intelligenter Leidenschaft der Macher. Das Ganze riecht nach Auftragsarbeit. Aber es ist wichtig, dass die Geschichte von Alice Erneste Prin, geb. 1901, genannt Kiki, dem It-Girl, der Szene-Schlampe (wie heißt eigentlich eine männliche Schlampe?), exzessiven Über-Lebenskünstlerin etc., an der Seite der Künstler Chaim Soutine, Foujita Tsuguharu, Man Ray u.v.m. auch als Comic-Geschichte ihren Platz in der Kunst-Geschichte findet. Und dass die Künstler-Männer hier durch die Geschichte von Kiki verbunden werden. So wertet das Glossar am Ende des Buchs diesen Comic noch einmal auf. Nur zeugt es eben nicht von großem künstlerischem Verständnis, dass man etwas macht, sondern auch und gerade, wie man etwas macht.

Und noch ein Comic das nach unten stapelt, und in dem ein Künstler vorkommt, Hair Shirt (Büßerhemd) von Patrick McEown aus dem avant-verlag. Dem Verlag, dessen Bücher man mit den Fingerspitzen lesen kann. Dem Verlag, der die sinnlichsten Comic-Bücher, was das Haptische betrifft, veröffentlicht. Alles das, was bei den oben genannten Büchern fehlt, ist in Hair Shirt vorhanden. Ein feiner, die Geschichte unterstützender Strich und atmosphärisch dichte Bilder. Ja, ich meine, das als zeitgenössischen Gewinn zunehmend zu beobachten, dass nicht nur atmosphärische Einzelbilder, sondern ganze Seiten und Erzählstränge farblich miteinander verbunden werden. Die Geschichte erzählt von einem spät pubertären Künstler-Hänfling mit mädchenhafter Freundin, der sich in eine pralle Bedienung verguckt. Woraus ein schuldbeladener Zwiespalt entsteht. Hier wird das dumme Klischee von maßlosen Dicken ungebrochen reproduziert. Die Angst des Hänflings vor der maßlosen Fülle des Sexuellen, hier in Person einer „übergewichtigen“ Frau. Das Synonym von Maßlosigkeit und Körperfülle, einer (alles?) verschlingenden Frau ist so doof, dass es wehtut. Die Gleichsetzung von körperlicher Dünnheit und Beherrschung, Gier, Körperfülle und grenzenloser Unbeherrschtheit übertragen aufs Sexuelle. Diese formale Analogie, übersetzt mit die inhaltliche, als eigene Projektion ist gesellschaftlich dermaßen konditioniert, dass ihre ungebrochene Reproduktion hier als Schulbeispiel unbewusst übernommener Klischees angesehen werden kann. Gleichzeitig aber reproduziert dieser Comic dieses Klischee auch. 

 

Kai Pfeiffer (ehm. Monogatari-Comic-Zeichner) erzählt, dass er bedauert, dass es im Comic-Genre keine Kritikkultur gibt. Nun sagt Pierre Bourdieu, dass Genres etwas für Soziologen sind. Dass der Comic keine Kritikkultur kennt, sagt also etwas über dies Genre. Was nun aber genau? Ich werde an anderer Stelle nach Verdachtsmomenten suchen, es sei denn, Kai Pfeiffer kommt mir zuvor.

 

Hier nun meine Einkaufstipps, um den Artikel nicht all zu nörglerisch zu schließen.

Asterios Polyp von David Mazzucchelli erzählt von einem erfolgreich gescheiterten Architekturprofessor. Einer, der nie gebaut hat, ein Architektur-Theoriebuch schrieb und damit Professor wurde. Ein mechanischer Blender, so stellt er sich selbst oder Mazzucchelli ihn für uns dar, denn die in Ichform erzählte Entwicklungsgeschichte steht der Tradition autobiografischer Comics nahe. Die Entwicklung geht vom selbstherrlichen, verhärteten, bindungsunfähigen Studentinnenvielfraß und Standpunktprofi (ist der selbstverständliche Gebrauch von Macht nicht ein wesentlicher Teil dieser?) hin zu desolaten, verlassenen Büßer. Einer, der seine Wiedergeburt, als Mensch, in einer hippiesken Autofrickler-Familie auf dem Lande erlebt. Um anschließend, orpheusmäßig, zu seiner Geliebten zurückzukehren. Gleichzeitig erzählt der Comic von der Chemie einer Beziehung. Und wie das weibliche Elementarteilchen, eine Entwicklung vom schüchternen Kunststudentchen auf der Suche nach einer Vaterfigur zur geglückten Selbst-Werk-Verwirklichung macht. Wobei das Ende so blöd ist, dass es schon wieder gut ist; Die Apokalypse als rhetorischer Kunstgriff.

Und. Charles Burns ist mir mit seiner Black-Hole-Aids-Parabel nach einiger Zeit (sie lief über 8 Jahre) auf die Nerven gegangen und so hab ich die Geschichte nicht bis zu Ende verfolgt. Dabei ist Aids, vom Standpunkt der Virologie betrachtet, eigentlich eine Erfolgsgeschichte, an der nur noch alle Betroffenen teilhaben sollten. Nun hat Burns mit Xéd Out eine neue viel versprechende Fortsetzungsgeschichte begonnen. In Cut-up-Manier und Parallelmontagen erzählt er eine verwirrend vielschichtige Geschichte. 

 

Jedes Bild ist eine Behauptung. Das ist auf dem Feld der freien Kunst eine Selbstverständlichkeit. Im Comic spielt das, also die Form der Darstellung scheinbar eine untergeordnete Rolle, zumindest wird diese wenig thematisiert. Vielleicht weil die Geschichte egal wie „vorangetrieben“ werden muss. Und ist sie spannend erzählt, scheinen die formalen Kriterien nicht mehr so wichtig.

Ein Beispiel dafür sind die Lebensgeschichten von freien Künstlern. Denen widmet sich seit Jahren die Comicheft-Serie von Willi Blöß, aus dem Willi Blöß Verlag, Aachen. Eigentlich widerstrebt mir die an einen Illustrationsstil angepasste Machart. Die Hefte sind aber trotzdem ein Genuss, ein Informationsgenuss. So einfach ist das manchmal. Im Blöß Verlag erschienen bis heute die Biografien von Pablo Picasso, Joseph Beuys, Hieronymus Bosch bis Otmar Alt, Horst Janssen, Klaus Steack, Hundertwasser u.a. Für 3 Euro ist das recht ordentlich. 

Und dann noch ein Grafik-Comic-Neuerscheinung ohne Worte. Kritik: Im Geiste von Jim Woodring, als Bewerbungsmappe fürs Grafikstudium bzw. für eine Werbe-Agentur. Doch fein gemacht und atomsphärisch Dicht durchdachte Bild- u. Seitengestaltung. Eben im Sinne einer freien Kunst ohne Worte.

 

Christoph Bannat

 

 

Marcel Proust, Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, adaptiert und gezeichnet von Stéphane Heuet, Knesebeck-Verlag

Kiki de Montparnasse, Catel & Bocquet, Carlsen-Verlag

Hair Shirt, Patrick McEown, avant-verlag

Astorio Polyp, David Mazzucchelli, Pantheon Books-Verlag

Xed´Out, Charles Burnes, Pantheon Books-Verlag

Comic-Biographie-Hundertwasser, und andere. Willi Blöß-Verlag

Unterwegs mit Samuel, Tommi Musturi, Reprodukt-Verlag 

 

Zurzeit lese die von Jorg Luis Borges herausgegebene Reihe „Die Bibliothek von Babel“, mit fantastischen Geschichten. Hinton, Alarcón, Kipling – alles großartige Stilisten.   

 

Christoph Bannat: Amelie von Wulffen: November