23. November 2011

Role Model für Entgrenzung

Alle Bücher im Überblick
Rabid Eye The Dremart of Rick Veitch
November, Amelie von Wulffen
This Is How It Happend, Amelie von Wulffen
Mumins, gesammelte Comic-Strips von Tove Jansson, Band 1
Mumins, gesammelte Comic-Strips von Tove Jansson, Band 1
The Story of Bern (or) Showing Colors, Dorothy Iannone.
Jean Dubuffet, zu Salon d´été
Jean Dubuffet, zu Salon d´été
Dreams, Jim Shaw
Dreams, Jim Shaw
Rabid Eye The Dremart of Rick Veitch

 

Kaum hat man sich an sein Gesicht gewöhnt, da ist es auch schon wieder verschwunden.  Das ist eine Form der Verwandlung, nach Marcel Proust. Lycaon wird durch Iuppiter in einen Wolf, Daphne durch Peneus in einen Lorbeer, Aglauros durch Mercur in ein steinernes Denkmal, Actaeon durch Diana in einen Hirsch, der Herrscher wird zum Gejagten seiner eigenen Gefolgschaft und Echo wird durch Hera in einen Stein sowie Narcissus durch Aphrodite in einen Krokus verwandelt. So geschehen in Ovids „Metamorphosen“. Bei den Grimm-Brüdern sind es Raben, Frösche und Wölfe. Und für Elias Canetti steckt, ganz allgemein, in jedem Tier ein Mensch, der einen auslacht. Ein Lachen, das zuvor bereits von Jean Jacques Grandville ausgiebig illustriert wurde und das uns heute noch ergreift. Peter Sloterdijk erweitert die Metamorphosen um ein weiteres Szenario. Für ihn steckt in jedem Ding ein Mensch. In diesem Sinne erzählt auch Karl Marx von  einer Metamorphose.  Der  der Arbeitskraft  in Dinge, in Geld und  Kapital. In diesem Zusammenhang spricht Walter Benjamin von der Langenweile der Produzenten (Kapitalisten?), welche sich in die industriell gefertigte Massenwaren einschreibt. Die Fabelwesen dieser Warenwelt, auch  Characters oder Icons genannt,  Supermarios, Michelinmännchen oder Shell-Tiger , bilden die Gemeinschaft der kundenfreudlichen Internationale. Eine Halbwelt mit nonverbaler  (Ver-)Bindung zum Produkt. Es scheint sich also um einen grundsätzlich menschlichen Reflex, den Anthropomorphismus, zu handeln, sich in allem wiederfinden zu wollen. Sonst könnten wir uns wohl kaum in Mäuse (Mickey), Enten (Donald), Schwammköpfe (spongehead) und Taschen-Monstern (Pokemons) versetzen.

 

Die Künstlerin Amelie von Wulffen hat mit drei Ausstellungen und zwei Katalogen in New York bei Greene Naftali und Alex Zachary

 www.alexzachary.com/AWUL_IMAGES.html, sowie auf der Berliner abc-Messe ihre Anhänger verstört. Der Band „This is how it Happend“ zeigt Beziehungsbilder anhand der oben genannten Halbweltfiguren in farbigen Einzelbild-Illustrationen. „November“ orientiert sich, in Form von skizzenhaften Bleistiftzeichnungen, eher an einer comichaften Erzählstruktur.

 

Amelie von Wulffen ist im Kunstbetrieb so etwas wie ein Role Model für Entgrenzung. Das heißt, sie kreiert über den Bildraum hinaus gemalte, übermalte, angedeutet, offen, wie nicht zu Ende gemalte, skizzenhafte Bildräume. Da verwundern die narrative Rhetorik und Formfindung von geschlossenen Figuren, die präzise Alltagserlebnisse aufgreift. Die vermenschlichte Warenwelt von Schrauben, Zangen oder Obst, Gemüse, Wurst und rauchenden Zahnstümpfen einerseits. Anderseits die schonungslosen Offenbarungen aus dem Alltagsleben einer freien Künstlerin, in „November“. 

 http://www.contemporaryartdaily.com 

Dabei entsteht durchs Parallellesen beider Bücher eine erregende Wechselwirkung. Denkt man sich die Figurenwelt zeitnah und die autobiografischen Offenbarungen als Figurenwelt, entsteht ein komisches Drama oder eine dramatische Komik.

 

Stephanie K.: „ Hast du ihre Arbeiten gesehen, merkwürdig, aber irgendwie auch gut, dass sie sich so etwas wagt.“ Amelie erzählt, als wir uns im Café treffen, dass sie sich vor ihrer Karriere als freie Künstlerin nicht sicher war, ob sie nicht Illustratorin werden sollte, bevor sie an die Kunsthochschule ging. Und dass sie sich jetzt freier fühlt, seit sie ihre Professur an der Wiener Kunsthochschule aufgegeben hat. Vielleicht deshalb der Bruch. Und bemerkt anschleißend, dass man ab 40 sowieso nur noch machen sollte, wozu man Lust hat, frei zitiert nach Dieter Roth (auf den wir noch später zurückkommen). Was mir gefällt, glaub ich doch daran, dass man an der Kunsthochschule sowieso nur kultivieren sollte, was einem leicht fällt, schwierig wird es bekanntlich von selbst. „This is how it happend“, der Titel ist Goyas Serie von Radierungen „Desastres de la Guerra“ entliehen und zeigt in freundlichen Illustrationen die Schrecken der Banalität. Fickendes Obst, Klavier spielende Hämmer, begleitet von geigende Schrauben, rauchende Zähne, Würste am Tropf oder Pinsel, Bleistifte und Radiergummi bei einer Arbeits- oder Therapiesitzungen. Dass sie im Katalog eine Illustration ihrer Großmutter Elisabeth von Wulffen im Ida-Bohatta-Stil zitiert, verwundert wenig, durchzieht ihr Gesamtwerk doch immer wieder ästhetische Verweise auf ihre verzweigte Familiengeschichte.

 

Natürlich schreien gelernte Illustratoren und Comic-Zeichner bei dieser schlampigen Erzählkunst auf. Der Schrei jener, deren Tageswerk vom Ringen um Formfindung und narrative Spannungsbögen geprägt ist. Es ist aber auch ein neidvoller Schrei, dass man mit so wenig Anstrengung so viel Beachtung bekommt. Doch ruht in ihm, wenn auch verkapselt, das Versprechen der freien Kunst. Das einer Lebenskunst, jenseits von entfremdeter und fremdbestimmter Arbeit, glücklich und leicht jenseits aller Genres. Glück, nennen wir es einmal mal anders; die richtige Einstellung der inneren Proportionen, aber scheint Amelies Treibstoff nicht zu sein, liest man ihre autobiografischen Bildergeschichten. In „November“ erzählt sie von den Mühen der Selbstständigkeit. Dem Zwang, ständig und ständig selbst sein zu müssen. So ist „November“ ein seelischer Selbstbespiegelungsakt im Schutze der Öffentlichkeit. Dabei agiert die Hauptdarstellerin Amelie als Chefin eines Kleinstbetrieb in eigener Sache; die sich um das eigene Gleichgewicht, Ideenfindung, Entwicklung, Ausführung, Werbung und Verkauf, alles in einer Person, zu kümmern hat.

 

Nein, Comics liest sie eigentlich nicht, doch hat sie letztens die „Mumins“ de.wikipedia.org/wiki/Mumins entdeckt. Eine freundliche nilpferdartige Troll-Familie, die einen liebevoll-chaotische Umgang miteinander pflegen. ( Vergleichbar mit Familienkonstellationen, wie Barbarpapa ( de.wikipedia.org/wiki/Barbapapa) und Babar der Elefant ( de.wikipedia.org/wiki/Babar_der_Elefant )

 

Es ist symptomatisch, dass gerade die (nach Pierre Bourdieu) illegitime Kunst, im Gegensatz zu der staatlich legitimierten, des Comic und des „niederen“ (im Vergleich zur Hochkultur) Genres der Illustration für freie Künstler einen Bruch zu markieren vermag. „The Story of Bern(or) Showing Color“ (1970) von Dorothy Iannone und Dieter Rot erzählen von einem solchen. Daniel Spoerri wird von Harald Szeemann um eine Ausstellung gebeten, der Andre Thomkins, Karl Gerstner und Dieter Roth einladen, die weitere Künstler u. a. Dorothy Iannone einladen. Deren Arbeiten werden wegen des Vorwurfs der Pornografie von den Künstlern und Kulturverwaltern am Eröffnungstag abgehängt, woraufhin Dieter Roth seine Arbeiten aus der Ausstellung entfernt. Die Bildergeschichte, als signierte 500er Auflage, erzählt die Entwicklung der Selbstzensur unter Nennung der aller Namen und ihrer Positionen – was bis heute ein echtes Tabu im Kunstbetrieb darstellt. Dies Künstlerbuch zeigt einen Versuch, wie man mit den narrativen Mitteln auf Szenepolitik reagieren kann. Hier scheint die Politik in Bildern besonders gut zu funktionieren.

 

Ein anderes Beispiel zeigt zurzeit Jean Dubuffett. Der einen neunjährigen „Kunst am Bau“-Prozess (Salon d´été, www.museedixelles.irisnet.be/en/exhibitions/current-exhibitions/jean-dubuffet-architect) mit vier Comichaften Bildern kommentiert. In Brüssel im Musée d´Ixelles bis zum 22.1.2012 zu sehen.

 

Unterm Strich: Bei Amelie von Wulffen sind mythische Typisierung und Alltagsrealismus zusammenzudenken, was auf kommende Formfindungen neugierig macht. Das Mittel der Bildergeschichte kann in der freien Kunst das richtige sein, mit dem (Um-)Brüche manifestiert werden können, das zeigt Dorothy Iannone. Und dass die Flucht in die Wirklichkeit nicht natürlicherweise erhellend ist, darauf verweisen Jim Shaw und Rick Veitch mit ihren Traumzeichnungen.

 

Mit dem simplen Kunstgriff der Traumzeichnung durchbrechen sie die Textur der Wirklichkeit. Physisch lösen sie die Grenzen von Raum, Zeit, rhetorisch die von stringenten Erzählstrukturen. Und sogleich vermischen sich auch Kulturgrenzen. In Shaws Träume gehen Kunst- und Comicwelten ineinander über, sie bilden Chor und Interieur für seine Außenwelt der Innenwelt. Rick Veitch erweitert diese um einigen Industriemüll, Zivilisationsmythen, Katastrophen und Kriegsszenarien, sodass ein Angstbestimmtes, psycheldelisches Gesellschaftsporträt entsteht www.rickveitch.com . Leider ist Rick Veitch in Europa zu wenig beachtet, seine Handschrift ist dem europäischen Betrachter wohl zu fremd.

 

Amelie von Wulffens Katalog „This is how it happend“ erschien im Distanz-Verlag, „November“ gibt es nur bei „Pro qm“ www.pro-qm.de in Berlin, auf Deutsch und Englisch.

The Bern story von Dorothy Ionnone ist vergriffen und gibt es nur für viel Geld antiquarisch, ca. 200 Euro.

Jim Shaw, Dreams, über Smart Art press

Rabid Eye, the Dream Art of Rick Veitch, gibt´s im Netz billig.

 

Christoph Bannat