1. Mai 2011

Endgültiges zu Zettel’s Traum

 

Man kann Bücher schreiben. Man kann Bücher über Bücher schreiben. Und man kann Bücher darüber schreiben, wie man auf andere Bücher wartet. Genau das hat Jan-Frederik Bandel getan. Im Herbst 2010 nämlich sollte die lang erwartete „gesetzte“ Fassung von Arno Schmidts opus magnum „Zettel’s Traum“ erscheinen (was inzwischen geschehen ist). Damit wurde nicht nur die letzte Lücke in der Schmidt’schen Werkausgabe geschlossen, sondern der Text auch in einer bequemer lesbaren Fassung zugänglich gemacht. Die Sperrigkeit von Schmidts Spätwerk resultiert nämlich nicht zuletzt daraus, dass seine letzten vier Romane (na gut, drei und ein Fragment) seinerzeit nicht als konventionelle Bücher erschienen, sondern als Faksimiles der überdimensionalen Typoskripte, mit allen ihren Fehlern, Ausstreichungen und Korrekturen. Auch, weil sich die Setzer mit den Techniken der 1970er-Jahre außerstande sahen, aus diesen Vorlagen konventionelle Bücher herzustellen. Das hat sich längst geändert: Die anderen späten Werke liegen bereits seit Mitte der 1990er-Jahre in gesetzten Fassungen vor.

 

Nur auf „Zettel’s Traum“ (1970) musste man warten – jenen maßlosen Koloss, den Schmidt im ebenso heroischen wie selbstdestruktiven Alleingang über fast sechs Jahre schuf, und dessen Handlung aus der ebenso zarten wie hoffnungslosen Liebe zwischen dem alternden Schriftsteller Daniel Pagenstecher und der 16-jährigen Franziska und märchenhaften Verwandlungen der Charaktere besteht, vor allem aber aus nicht enden wollenden Exegesen der Werke Edgar Allan Poes, in denen Pagenstecher wieder und wieder „nachweist“, dass dieser ein koprophiler Voyeur war. Muss man das lesen? Nicht unbedingt. Aber wenn einen dieser faszinierende Wälzer einmal ergriffen hat, bleibt man dabei.

 

Aber auch wer sich nicht auf das Original einlassen mag, ist mit Jan-Frederik Bandels kleinem Buch gut beraten. Mit einer wöchentlichen Kolumne in der „jungen welt“ begleitete der Autor, Journalist und Literaturwissenschaftler das letzte halbe Jahr bis zum Erscheinen des „Überbuchs“. In kleinen Seitenblicken auf den Autor, das Buch, seine Leser und Exegeten liefert Bandel eine leichtfüßige Einführung in das Werk. Nebenbei erfährt man auch noch Vieles über missglückte Joyce-Übersetzungen, Bangemannschränke, das Arno-Schmidt-Dechiffrier-Syndikat und den Branntwein „Alte Kanzlei“, den der Autor vorzugsweise in sich hineinschüttete. Das im kleinen, aber feinen Textem-Verlag erschienene Büchlein wartet gegenüber der Kolumne mit Bonusmaterialien auf, vor allem mit den Repliken des Malers und jahrzehntelangen Schmidt-Lesers Frank Grüttner. „Zettel’s Traum“ mag ein Coffee-Table-Book sein oder wahlweise, mit vier drangeschraubten Beinen, das Kaffeetischchen ersetzen. „Warten auf Zettel’s Traum“ ist dagegen die ideale Begleitung für einen angenehmen Kaffeehausnachmittag.

 

Stefan Höppner, www.literaturkritik.de April 2011

 

Jan-Frederik Bandel: Warten auf »Zettel’s Traum«.

Mit Zeichnungen von claire Lenkova und Einwürfen von Frank Grüttner.

Textem Verlag, Hamburg 2011.

64 Seiten, 6,00 EUR.

ISBN-13: 9783941613447