14. April 2011

Siegen - eine Reise wert

Überfüllter Eurocity
Stefan Panhans, Sorry, 2010, Video, 9:35 min., © S. Panhans. Während der Ausstellung im Kunstverein Harburger Bahnhof bekam man eine Ahnung des Schlachtfeldes, das ein solches Bahnabteil nach vielstündiger Passagierüberbelastung bietet. Die Installation des menschenleeren Filmsets im Kunstverein nach den Aufnahmen war übersäht von Müslikrümeln. Ein ins agrarisch, cerealisch gewendetes Bild von den allgemein vegetativ, obszönen Zuständen, die bei Menschenansammlungen unvermeidbar sind und sich als Dreck absetzen.
Stefan Panhans, 2010: Schaumweinglas mit Glücksdrachen und Avokado
Siegen grüßt seine Gäste mit Plakaten der Ausstellung von Stefan Panhans
Kulturgeschichte Kindheit. Ein beunruhigender Zettel, provisorisch montiert an einem halböffentlichen Beleuchtungs-Klingel-Körper mit Gegensprechanlage.
Morandi im Museum für Gegenwartskunst, Siegen. Fotografieren ist im Museum verboten.
Eröffnungsmatinée mit Ansprachen und regem Publikumsinteresse im Foyer des Museums
Hochzeitssaal im Schloss mit bedenklich stimmendem Mobiliar. Als Warnfarbe ist Orange bisher vor allem aus dem Straßenverkehr bekannt, in Siegen wird dieses Wissen offenbar direkt auf dem ehelichen Verkehr übertragen, die Laubsägearbeiten in den Sitzflächen sind nicht dazu geeignet, diesen Eindruck zu entkräften. Das paarweise auftauchen dieser diversen amorphen Formen betont mit Nachdruck, dass man es in diesem Hochzeitssaal mit einem Akt der Egalisierung, zuvor möglicherweise verschiedener Aspekte, zu tun bekommt.
Das obere Schloss zu Siegen

 

Fünf Stunden braucht die Bahn nach Siegen, fast egal, wo man einsteigt, und es gehört zu den amüsanten Kommunikationsmeisterleistungen des in Siegen ausstellenden Künstlers Stefan Panhans, dass er es vermag, rund 15 Personen aus entfernten Städten zur Eröffnung nach Siegen zu schleusen, obwohl die allermeisten die Filme und Fotos gerade noch in Hamburg und Berlin sahen. Aber es ist eben die bisher größte institutionelle Ausstellung, und die Probe, wie sich die Kunst von Stefan Panhans in einem Museum ausmacht, muss man gemacht haben. Noch mal zur Reise selbst. Spektakulär ist nämlich, dass man es wirklich ganz genau, nur eben live, mit dem Video »Sorry« zu tun bekommt. Schiebende Verzweiflung in einem völlig überfüllten Eurocity, über Gleisweichen ruckendes Kaffeeschwappen. Hemd und Hose verkleckert, stoisches In-die-Luft-Starren, kein Augenkontakt, jetzt hat auch noch jemand in den Gang vor das Klo gekotzt, nun, es ist schließlich Karneval, und die Leute sind aufgeregt und betrunken, die Bahn kriegt es außerdem nicht hin, im Verlauf von vier Stunden und Haltestellen, also bis zur Endstation, die Kotze wegzuwischen. Dass Karneval ist, hilft der Ähnlichkeit zum Video umso mehr, da die Fahrgäste tatsächlich verkleidet sind, nicht wie gewöhnlich als Bürozombies, sondern als Feen, Marienkäfer und Räuber. Aber auch sonst startet die jugendliche Bevölkerung mit völlig unbekannten modischen Settings in das Wochenende, das wiederum konnte man besonders gut auf der karnevalfreien Hinfahrt betrachten. Schwarze Hotpants, mit schwarzen Cowboystiefeln ohne Strumpfhose, verfrorenes helles Mädchenfleisch, Haare nach vorne gekämmt, versteift mit drei Dosen Spray. Überall bei den Jugendlichen überhaupt sehr viel Make-up, bis scharf in den Haaransatz gerieben, sieht als matt schimmernde Oberfläche aus wie Altbausanierung für Reiche, sind aber ganz junge Arme.

Im Museum in Siegen hängt Morandi, auf dem oberen Schloss gibt es einen Rubens-Saal und im Untergrund der Anlage einen Schau-Stollen. Schlimm ist das im Schloss eingerichtete Hochzeitszimmer, ekelhaft. Sehr schade um den Prunkspiegel, der dort auch hängen muss.

Wer sich dort trauen lässt, bringt am besten einige Dutzend Meter schwarzen Molton mit, um das schauderhaft orangerote Mobiliar des Zimmers damit abzudecken.

Es ist richtig und hilfreich, sich anlässlich einer Ausstellung von Stefan Panhans durch eine Stadt zu bewegen, spezifischer muss es gar nicht sein, nur ein Mindestmaß an Urbanität muss gegeben sein. Ob man da nun eine Burganlage aus dem 15. Jahrhundert besucht oder ein Einkaufszentrum – ideal wäre, wenn es sich verbinden ließe, Siegen bietet das – wichtig ist eine gewisse Kleinteiligkeit im Nebeneinander der Artefakte, denn dies wird einem auch immer bei der Kunst von Stefan Panhans begegnen. Denn es trifft sich in der Ausstellung die Zahnbürste mit dem Kieselstein, den eine hübsche helle Quarzader ziert, so wie die Zahnbürste auch so einen hellen, flotten Rallye-Streifen hat. Wie man allen Fotos und Videos von Panhans überhaupt einen Einschlag ins Sportive attestieren kann. Es ist die Sorte elastisch federnden Lifestyles, die mehr das Vorhaben, denn die tatsächliche Betätigung meint. Also weniger Sport treiben, als Sportartikel spazieren führen. Das ist jetzt aber nicht im abgeklärt kritischen oder gar zynischen Sinne zu verstehen, sondern ganz affirmativ, sozusagen voll zwischen die Sehnsüchte gerammt, selbst auch Teil dieser erfüllten Körperlichkeit zu sein, was einem tägliche Leibesübungen und begleitend dazu rhetorisch unbedingt nötige Aussagen abverlangt, eben jenes Spazierengehen mit Sporthose, wobei man etwa leise zu sich sagen kann: »Ja, ich interessiere mich für meinen Aszendenten.« oder »Did I actually do the bank transfers or not?« Dies sind keine Kalauer, man denke dabei besser an die Passagiere einer gewöhnlichen Bahnfahrt. Das Setting, welches Panhans jeweils aufbaut, ist genauso empfindlich und dünnhäutig wie der Alltag, dessen Grammatik so unverständlich wie unbarmherzig als dauernde Verstörung durch uns hindurchgeht, welche wir mit allerlei Gymnastik verbaler oder physischer Art zu parieren suchen – was zu irritierenden Höhepunkten von Zufriedenheit oder Beklemmung führt.

Panhans erleichtert den Betrachtern seiner Ausstellung diese Erkenntnis und er weist einige neuartige Reaktionsmöglichkeiten aus, die etwa durch ruckartiges Zusammenziehen disparater Elemente möglich wird: zum Beispiel das zerbrochene Schaumweinglas mit einem jadegrünen Glücksdrachen aus Plastik. Das ist keine neue Ideologie, sondern ein Fluchtweg durch die Korridore der Semantik, der nicht beizukommen ist.

 

Nora Sdun

 

Stefan Panhans. Wann kommt eigentlich der Mond raus?

Video und Fotografie

Museum für Gegenwartskunst, Siegen

bis 3. Juli 2011