25. Februar 2011

Surrealistischer Comic aus Deutschland

 

Es gibt bereits eine kleine Anzahl von surrealistischen Comics. Doch diese Arbeiten stammen in der Regel aus der franko-belgischen oder US-amerikanischen Comicszene. Da wirkt es erfrischend endlich mal auch eine Arbeit von deutschen Comickünstlern bestaunen zu dürfen. Der Autor von Aus der Nachwelt, Hanns Zischler, hat den Comic im Eigenverlag (Alpheus Verlag) veröffentlicht und begibt sich damit auf völlig neues Terrain. Denn bisher sind dort Kunst- und Wissenschaftsbücher erschienen. Als Illustratorin hat Zischler Friederike Groß gewinnen können, die bisher auch keine Erfahrung mit Comics vorweisen kann.

 

Aus der Nachwelt spielt in Yorba, im Winter 1971. Seit mehr als zehn Jahren hat der Maler Leonid Kusmin keine Werke mehr ausstellen können. Eines Tages wird der verkannte Künstler in seinem Atelier von einem mysteriösen Fremden aufgeweckt, der vorgibt, aus einer anderen Zeit zu stammen und einen Ausstellungskatalog über eine Kusmin-Retrospektive aus dem Nichts hervorholt. Ob es sich bei Utamor, so heißt der Fremde, um einen Scharlatan oder Zeitreisenden handelt, kann Kusmin nicht sofort entscheiden.

 

Nachdem Zischler die Geschichte mit einer seitenlangen Texteinführung beginnt, löst er sich schnell wieder von diesem für das Medium „Comic“ untypischen Erzählweise – und das ist auch gut so. Fortan bilden Zischler und Groß ein kongeniales Gespann, das fast den Eindruck erweckt schon immer Comics zu machen. Man merkt gar nicht, dass Groß ansonsten keine Comics gezeichnet hat. Zischler hält sich als Autor stark zurück und konzentriert sich auf die Vorgabe des Szenarios, das vor einer innovativen Bildsprache und surrealen Einfällen nur so strotzt.

 

Im Mittelpunkt steht das Motiv der „Möbiusschleife“, einem beliebten Versatzstück aus der Science Fiction. Anfang und Ende bilden nicht nur in der Erzählung eine untrennbare Einheit, sondern bilden auch das Instrument für den Zeitreisenden. Doch Zischler rückt Aus der Nachwelt mehr in den Bereich der surrealen Phantastik und belässt es mit diesem Motiv mit SF-Elementen.

 

Denn Stimmung und Geschichte erinnert ansonsten eher an die Arbeiten europäischer Comickünstler wie Daniel Hulets Immondys (Ehapa Comic Collection) oder Lorenzo Mattottis Stigmata (Edition Kunst der Comics). Es besteht sicherlich auch eine Nähe zu den phantastischen Arbeiten von den belgischen Altmeistern François Shuiten und Benoît Peeters, die zuletzt mit Die Sandkorntheorie (Schreiber&Leser) in Erscheinung getreten sind.

 

Daneben hat Zischler ganz bewusst T. S. Eliots Jahrhundertlanggedicht The Waste Land zitiert, wodurch er nicht nur gekonnt eine intertextuelle Verweisstruktur aufbaut, sondern genauso in inhaltlicher Hinsicht mit dem Motiv der „Gleichzeitigkeit“ spielt, die bekanntermaßen auch in The Waste Land aufgegriffen wird. Das ganze illustriert wiederum Groß durch innovative Comicsprachmittel: lautmalerische Vibrationswellen, die Telefonklingel oder Schallplattenklang zum Ausdruck bringen vermischen sich mit schraffierten Flächen.

 

Die Schraffur-Technik Groß‘ erinnert stark an Mattottis Strich aus seinen Schwarzweiß-Arbeiten wie Schimären (avant-verlag) oder Der Mann am Fenster (Edition Kunst der Comics). Die Szenen, die 1971 spielen sind entweder in einem fast schon monochrom wirkenden Schwarzweiß oder in einer gedeckten, dreifarbigen Farbgestaltung illustriert, wohingegen die Zukunftssequenzen vielfarbig koloriert sind. Dadurch bekommt die Geschichte eine einzigartige Atmosphäre und die Zeitepochen ihren eigenen Flair.

 

Mit Aus der Nachwelt ist dem Gespann Zischler/Groß ein beeindruckendes Comicdebüt gelungen, das gleich mit einem tollen Cover aufwartet. Wer Phantastik, gehobene Science Fiction oder surreale Geschichten liest, sollte sich das Album keinesfalls entgehen lassen.

 

Marco Behringer (01/11)

 

Friederike Groß und Hanns Zischler: Aus der Nachwelt. Alpheus Verlag, 86 Seiten, schwarzweiß und farbig, Softcover. Preis: 20 Euro. ISBN 978-3-9811214-4-5

 
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