26. Dezember 2010

PorYes

 

Zu Marion Herz: PornoGRAPHIE. Eine Geschichte

 

Schon durch den Titel wird hervorgehoben, dass es sich bei diesem Werk um eine unkonventionelle Arbeit handelt. Das Wort „Pornographie“ wird anders geschrieben, indem der zweite Teil (Graphie) in Großbuchstaben gesetzt erscheint. Das Wort Graphie kommt von dem altgriechischen graphein (dt. so viel wie einritzen, zeichnen, schreiben), sodass die Betonung auf den Vorgang des Schreibens gelegt wird. Außerdem handelt es sich um „eine Geschichte“, also nicht um ´die´ Geschichte der Pornographie, noch konkreter: um eine mögliche Geschichte, nicht um die einzig gültige.

Um es gleich vorwegzunehmen: Es ist ein zwar ungemein reiches, dennoch ausgesprochen prätentiöses Werk.

Unter anderem kann Marion Herz zeigen, dass das Wort Pornographie im Prinzip eine künstliche Erfindung aus dem 19. Jahrhundert ist, und sogar ein pseudowissenschaftliches (S. 29-31), mit dem man zunächst die antiken Statuten, die nackte Personen darstellten, etikettieren und stigmatisieren konnte, wovon erst in einem zweiten Schritt die Bezeichnung für ein literarisch-künstlerisches Genre ausgeweitet wurde. Erst in diesem Sinn setzte sich das Wort durch; ältere Vorläufer wie Nicolas Restif de la Bretonne, der bereits 1769 eine utopistische Abhandlung unter dem Titel „Le pornographe“ vorlegte und in dem er die Nutzung der (proletarischen) Prostituierten durch die Bürger verteidigte, damit diese, die Bürger, ihre Gesundheit erhielten, blieben vereinzelte Stimmen (S. 27). Die Pornographie als Begriff ist erst aus der aufgeklärten Prüderie des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts entstanden und diente zur Charakterisierung des Verbotenen und Geheimen. Die antiken Statuen nackter Frauen und Männer durften nicht öffentlich, sondern nur versteckt in einem Geheimkabinett ausgestellt werden. Sie blieben der Allgemeinheit unzugänglich. Bemerkenswerterweise wurden sie doch aufgestellt. Im Prinzip wurden Verbotsgrenzen errichtet, und zugleich einige Schlupflöcher gewährt, durch die eine kleine, wie auch immer legitimierte Elite hindurchgelangen konnte. So ganz extrem ist das Pornographie-Verbot im 19. und 20. Jahrhundert nicht ausgeübt worden, der gesellschaftlich-konventionelle Umgang blieb zweideutig, gar widersprüchlich.

            Um diese Zweideutigkeit (Ambivalenz) und Widersprüchlichkeit (Paradoxie) geht es ihr, wobei Marion Herz genauer das künstlich aufgebauschte (aber dann ja eben doch nicht eingehaltene) Verbot der Pornographie in der europäischen Gesellschaft des 19. und 20. Jahrhunderts auf seinen tieferen kulturellen Sinn befragt. Es geht eigentlich um „regulierte Pornographie“ (S. 39, auch S. 47), und d.h. nämlich auch gesellschaftlich ´irgendwie´ akzeptierte Pornographie. Hierzu gehört auch, dass sie sich vertiefte Gedanken über das Wesen der Pornographie macht: „Was ist Pornographie? Ein sprachliches Argument oder eine materielle Sache, Sexualität oder Darstellung? ´Eine dumme Frage´, würde das als ´Pornographie´ beworbene Produkt antworten“ (S. 1), woraufhin Marion Herz festhält, dass „PornoGRAPHIE eine Darstellungsform ist, die verspricht das Geschlechtliche zu enthüllen und dieses doch durch die ent/bergende Bewegung erst herstellt […]“ (S. 2).

An diesen kurzen Zitaten aus der Einleitung wird bereits deutlich, dass dieses Werk einen eigenen Sprachduktus hat, der erst verständlich wird, wenn man weiß, dass in ihn nicht nur die postmoderne Philosophie mit ihrer Kritik an der konventionellen Wissenschaftlichkeit eingegangen ist, sondern auch die moderne Literaturwissenschaft mit ihrer Diskursanalyse, die moderne Soziologie mit ihrem Gespür für die informellen Machtverhältnisse in der Gesellschaft, der vergleichende sprachwissenschaftliche Ansatz, der die Sprachgrenzen überschreitet, und nicht zuletzt die das Sexuelle bejahende Psychoanalyse, die den einzelnen Menschen in den Mittelpunkt stellt. Hintergrund ist also die Vereinigung vieler Wissenschaften, die die übliche Trennung der Wissenschaften (und Universitäten) in zahlreiche Disziplinen überwindet, insbesondere die übliche Trennung der Geisteswissenschaften. Kurzum: das Werk ist dem modernen Kulturalismus verpflichtet, es sprengt die konventionellen Grenzen, und das macht es (leider) so abstrakt und schwer verständlich. Was schade ist, denn es ist so überaus reich an Einsichten und Behauptungen, dass man an ihm nicht einfach vorbeigehen darf.

Ein Beispiel für die Abstraktheit: Marion Herz spricht wie eben gesehen von der „ent/bergenden Bewegung“ der Pornographie (S. 2). In Pornos wird das eröffnet, was eigentlich verborgen bleiben sollte. Weit verbreitet ist die  im wissenschaftlichen Ausdruck daher kommende Formulierung, dass in Pornos Obszönitäten dargestellt werden. Marion Herz nimmt dieses zum Anlass, dem Wort ´obszön´ hinterher zu gehen (S. 9-12). Seine Herkunft ist nicht ganz klar, vielleicht leitet es sich ab von dem griechischen Theater der Antike, so jedenfalls bei den meisten Autoren (sie übt an allen Kritik), in welchem die Bühne als ´skene´ bezeichnet wurde (daher auch Szene), auf der das Sichtbare zur Schau gestellt wurde. Das Ob-szene ist dann das, was nicht zu sehen sein sollte, also hinter der Bühne bzw. in der Phantasie der Zuschauer sich abspielte. Deswegen muss es auch das Gegenteil geben, also das, was ausdrücklich gesehen werden soll, das On-szenische, bei dem es keine Phantasie mehr gibt. Das Besondere an Pornos ist, dass sie auf dem „Effekt der onszenischen Darstellung des Obszenischen“ (S. 12) beruhen. Sie kann diese Interpretation noch weiter treiben. Da Sex in der einen oder anderen Form wohl in allen literarischen, filmischen, künstlerischen, medialen Werken vorkommt (nicht zuletzt der täglichen Boulevardpresse, auch und erst recht im Fernsehen), kommt das Obszöne in unterschiedlicher Form überall vor. Aber nur im Porno wird es offensichtlich.

Konkret handelt es sich um eine Dissertation im Fach Komparatistik an der LMU München, an der sie, wenn man dem beigefügten Lebenslauf entnehmen darf, jahrlang gearbeitet hat. Methodisch ist noch zu sagen, dass es nicht einfach darum gehen kann, die Pornoverbote der europäischen Staaten zu betrachten, also die Gesetzgebungsverfahren mit ihren Begründungen, die polizeiliche Umsetzung, Strafverfolgungsaktionen usw., weil man damit ja nur den offiziellen regierungsamtlichen Stellen hinterher schriebe und nur das präsentieren könnte, was in den von Männern konventioneller Prägung beherrschten Staatsapparaten festgeschrieben worden war (gegen diese Methode S. 3). Neben der juristisch-staatlichen Geschichte des Pornoverbots gibt es ja noch anderes, nämlich z.B. die Frage danach, warum diese Pornoverbote nie funktioniert haben. Der Drang (zumindest einzelner Frauen und Männer) zum Porno und damit zur Aufklärung war (und ist) stärker als das auferlegte Verbot.

Getragen wird das Gesamtwerk von einer grundsätzlichen Bejahung der Pornos. Aufgabe der Pornographie ist es, den Menschen und seinen Körper aus den gesellschaftlichen Konstrukten und vorgeschriebenen Rollen zu befreien – Pornographie ist Befreiung. Wohl wahr. Deswegen wendet sich die Autorin auch gegen die von einigen Feministinnen aufgestellte PorNO-Kampagne (S. 4), wobei von der Autorin hier einige Machtfloskeln in den Text eingeflochten wurden. Die Prosexualitätsbewegung ging als „Siegerin“ hervor, habe einen „Markt für ihre akademischen Thesen und einen [weiteren Markt] für ihre pornographischen Produkte geschaffen, während der PorNOgraphismus überholt erscheint“ (alles S. 5), PorNOgraphismus ist als „durchweg lächerlich“ abzulehnen (S. 167) - Polemik.

So ganz frei von Ausdrücken der Machtausübung ist dieser Text also nicht; wenn es eine Siegerin gibt, bedeutet dies, dass es auch eine Verliererin gibt. Und mit ´Märkten´ geht man dem Kapitalismus auf den Leim (der Kapitalismus ist mit seinen eigenen Mitteln zu schlagen, lieber gründe man eine Bank als andere prosexualitätseingestellte Frauen und Männer mit überteuerten Produkten auszubeuten, und Banken sind bekanntermaßen sowieso nur verkappte Bordelle).

Im Prinzip besteht die Arbeit aus Studien (Snapshots, wie man neudeutsch zu sagen pflegt) zum kulturellen Umgangs mit der Pornographie in der bürgerlichen Gesellschaft vom frühen 19. Jahrhundert bis zur PorYes-Bewegung der sex-positiven Feministinnen im späten 20. Jahrhundert. Nach dem eventuell als Einleitung zu verstehenden Eröffnungsteil mit der Überschrift „PornoGRAPHIE. Eine Geschichte“ (der Gesamttitel wird wieder aufgenommen) besteht die Arbeit aus zwei großen Kapiteln, nämlich erstens „Pornographie und Biomacht“ und zweitens „Die pornographische Normalisierung des Sex“, und dem letzten Kapitel „Die Pornographie der Frau“, dass vielleicht als Schlusskapitel gelten darf. Anders als konventionelle wissenschaftliche Arbeiten gibt es also keine ausdrückliche Einleitung, keine Fragestellung, keine gebündelte Begründung der Auswahl der Studien (die man gut hätte geben können), keine Zusammenfassung, keine methodische Begründung, stattdessen ein eklektizistischer Brei, der es dem Leser nicht einfach macht, der Leserin auch nicht, also überhaupt dem Lesenden.

Dieses alles lässt sich nur so verstehen, dass sie keine einfache Geschichte der Umgehung des Pornographieverbots vorlegt, sondern eine historisch hergeleitete Bejahung der Pornokultur (hier trifft sie sich mit der von mir propagierten sex-positiven Intellektualität, weswegen ihr Buch für mich so außerordentlich wertvoll ist). Sie hat in ihrer Arbeit einen ausdrücklichen Gegenwartsbezug, letztlich verfolgt sie sogar ein politisches Anliegen. Deswegen kann sie auch von einer „Siegerin“ in der feministischen Pornodebatte sprechen, womit sie nämlich ihre eigene Haltung meint.

Pornokultur ist ein Stichwort. Was macht einen Porno zum Porno? Was unterscheidet einen Porno vom Aufklärungsfilm? In beiden werden Schwänze und Votzen in voller Aktion gezeigt, aber nur im Porno gibt es eine laszive Performance, während im Aufklärungsfilm eine verstörend nüchterne Stimmung herrscht, indem eine neutrale Umgebung gezeigt,  medizinische Worte gebraucht werden. Im Porno herrscht im Allgemeinen ein vulgärer, rüder, direkter Ton, Dirty Talk, im Porno müssen kulturelle Grenzen überschritten werden, verschiedene Grade von Kokettheit über Erregtheit bis zur puren Geilheit ausgekostet werden. Pornographie ist ein vollgültiges literarisches bzw. filmisches Genre. Im Laufe der Jahre verschieben sich dabei die kulturellen Grenzen. Das Entscheidende im Porno sind bemerkenswerterweise gar nicht die Votzen und Schwänze an sich (die kommen ja auch im Aufklärungsfilm vor), sondern das jeweilige ´Drumherum´, die Ausstattung, die Dialoge, die Propagierung der Promiskuität, überhaupt die Legitimierung der Wollust. Deswegen können Werbung und Modeindustrie mit pornographischen Stilelementen arbeiten, wenn sich z.B. eine Frau einen Rest vom Eis von den vollen Lippen lutscht, was als drastische Nahaufnahme (close up) zu sehen ist, oder G-String und Hüftjeans mit dem als Time-Tattoo aufgebrachten Arschgeweih als modisches Ideal propagiert werden – und viele Mädchen diesem Ideal tatsächlich nachlaufen. Die Laszivität ist der entscheidende Ausdruck, sie bliebe kultur- und filmästhetisch zu erforschen.

Meines Erachtens wäre man bei einer umfassend kulturalistischen Untersuchung des von den Staaten propagierten (aber nur teilweise umgesetzten) Pornoverbots auch danach zu fragen gewesen, welchen Stellenwert das Gegenteil des Pornos hat, also welchen Stellenwert Prüderie, Keuschheit und vielleicht noch Josefsehe einnahmen, und warum diese Kategorien für die modernen Staaten so ungeheuer wichtig waren, und ob sie nur für den modernen Staat so wichtig waren. Hiermit hätte Marion Herz auch einen Ausgangspunkt dafür gefunden, warum diese Haltung bei manchen Frauenrechtlerinnen in den 80er Jahren wieder aufgegriffen wurde (bzw. noch wird: hat PorYes wirklich gewonnen?). Der politische Gegner ist gar nicht der bürgerliche Staat des 19. Jahrhunderts mit seinen tradierten Konventionen, sondern der um Emanzipation kämpfende Feminismus der 60er-80er Jahre, der in den traditionellen Sexualvorstellungen verhaftet geblieben ist.

Als entscheidende Schritte in der Entstehung der Pornokultur kann sie herausstellen, dass am Anfang die pornographischen Bilder aus Pompeji für die männlichen Wissenschaftler zugänglich gemacht wurden – und zwar nur für die Wissenschaftler; Pornographie und die Wissenschaft hängen zusammen, wie auch Pornographie mit der Kunst zusammenhängt. Die Wissenschaft um 1800 stand damals in der Tradition der Aufklärung, also der Befreiung aus der Theologie, zugleich war es die Zeit des Klassizismus, der als Ideal die griechische Antike hervorhob, so dass es für die Wissenschaftler nur ein kleiner Schritt war, sich die ganze Antike zu betrachten, eben inklusive der Bilder aus Pompeji. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurden die pornographischen Bilder zunächst in einer Sonderausstellung ausgestellt und erst 1821 in einem Geheimkabinett des königlichen Museum in Neapel als Dauerausstellung präsentiert, die nur ausgewählten und besonders legitimierten Besuchern eröffnet und bereits 1853 wieder geschlossen wird. Was die wissenschaftliche Entwicklung angeht, so verweist Marion Herz ferner darauf, dass in der Pariser Bibliothèque Nationale gegen Ende der 1830er Jahre eine eigene Abteilung (Collection de l´Enfer, dt.: Sammlung der Hölle) für die pornographischen Schriften, insbesondere die libertine Literatur des 18. Jahrhunderts, eingerichtet wurde, in der Londoner British Library 1860 die Abteilung Private Case, so S. 37)  Nach der libertinen Literatur des 18. Jahrhunderts (zu ihr nur extrem kurz S. 43) setzte im 19. Jahrhundert eine regelrechte Flut an pornographischer Literaturproduktion ein, in der Privatsammlung des Henry Spencer Ashbee werden insgesamt 15.299 Titel aufgeführt (aber nicht nur Pornographica) (so S. 43-45). Man hätte noch anfügen können, dass Theodor Mommsen in Band 5 des Corpus Inscriptionum Latinarum, 2 Teile, Berlin 1872 und 1877 die pornographischen Texte, den Klosprüchen der Moderne vergleichbar (also gerade nicht die Bilder) nach den Regeln der Epigraphik edierte und für die Wissenschaft der Alten Geschichte zugänglich machte (heute populär: Karl-Wilhelm Weeber: Decius war hier. Das Beste aus der römischen Graffiti-Szene. Zürich 1996).

            Überzeugend kann sie zeigen, dass Pornographie sehr wohl eine Geschichte hat, Pornos nicht immer verboten waren, sondern im 19. Jahrhundert zur Wissenschaft gehörten, und dass deswegen das manchmal vorgebrachte Argument, Pornos seien schon immer verboten gewesen und müssten deswegen auch heute verboten sein, widerlegt ist (S. 40f.). Erst die prüde bürgerliche Gesellschaft des 19. Jahrhunderts steigerte ihr Interesse am Sex (wobei die Frage entsteht, ob die wirklich so prüde war oder ob sie mit der Prüderie gespielt hat), und ließ Pornographie als Genre entstehen; andere, ältere Gesellschaften mit einem offenerem Umgang mit dem Sex kannten diese Form der Zurschaustellung nicht (hier bräuchte man genauere Studien zur Sexualkultur der älteren Gesellschaften, aber die werden von ihr nicht angeführt). Pornographie, so die Hauptthese, entstand erst in der Moderne, und als „vermarktbares Produkt“ (S. 46f.) und stellten die „direkteste und vielleicht auch naivste Antwort“ (S. 47) auf die Frage nach dem Sex dar.

            Auch im heutigen Umgangs-Deutsch spricht man davon, „´es´ wissen zu wollen“, wobei das ´es´ eine weite Bedeutung haben kann. U.a. kann das Wort ´es´ eine eindeutig sexuelle Bedeutung haben. Zwischen Sex und Wahrheit gibt es folglich eine Beziehung, und die ist nicht nur sprachlicher Art. Vielleicht sollte man vorsichtiger sagen, dass zwischen Sex und Erkenntnisgewinn eine Beziehung besteht. Auf dieses Verhältnis aufmerksam gemacht zu haben ist das Verdienst des französischen Philosophen, Soziologen, Psychologen und Historikers Michel Foucault (1926-1984). Von daher verwundert es nicht, wenn Marion Herz eigens in einem längeren Abschnitt auf die soziologische Theorie der „Biomacht“ von Foucault einzugehen sich gezwungen sah, wobei sie dessen Werk „Sexualität und Wahrheit“ selbst als zu untersuchenden Text behandelt, den sie im Hinblick auf seine Darstellungsweise und Argumentationsmuster befragt. Hierfür zieht sie jüngere literaturwissenschaftliche Forschungsansätze heran, die, politisch überaus korrekt, aus dem (männlichen) Akteur und der (weiblichen) Akteurin den (neutralen) Aktanten machen (S. 53 mit Anm. 94), was gewiss gut gedacht ist und die wissenschaftliche Abstraktheit fördert – die Anschaulichkeit leidet dennoch darunter.

Das Werk Foucaults ist so vielgestaltig und selbst bereits Gegenstand intensiver Debatten geworden (siehe Clemens Kammler u.a. [Hg.]: Foucault-Handbuch. Leben, Werk, Wirkung. Stuttgart 2008), weswegen zum Verständnis dieser Passagen eine gehörige Auseinandersetzung mit der jüngeren Foucault-Diskussion nötig ist. Die kann hier nicht gegeben werden. Hervorgehoben sei lediglich, dass Foucaults Denken auf der philosophischen Denkrichtung des Poststrukturalismus und dessen eigener Ausdrucksweise beruht. Diese Beziehung wurde wiederum von ihm selbst bestritten, da er keiner akademischen Schule angehören, sondern konsequent selbständig sein wollte. Unter anderem ging es Foucault um die Lösung des einzelnen Menschen aus den gesellschaftlichen Zwängen. Den gesellschaftlichen Zwängen der seit der Sattelzeit um 1800 entstehenden modernen Gesellschaft schrieb er weitreichende Gültigkeit zu. Etwas frei gesagt: Die Gesellschaft regiert mit ihren Reinlichkeitsvorstellungen und Anforderungen an das, was sich gehört und was nicht, bis in die Unterhose hinein. Es ist für den Einzelnen sehr schwer, sich dem zu entziehen. Deswegen stellte Foucault auf, begründete und verteidigte gegen Anwürfe (es geht in der Wissenschaft ja um Machtfragen) das Konzept des individuellen Lebensentwurfs, insbesondere, was den „Gebrauch der Lüste“ angeht. Eine der Verteidigungsstrategien Foucaults bestand in einer verklausulierten Sprache, also in einer Verschleierungs- und Geheimniskrämerei-Taktik, die von den Befürwortern ein außerordentlich hohes wissenschaftliches Bewusstsein fordert und von den Gegnern ein solches abverlangt – aber wer bringt das schon mit?

Heute mögen Foucaults Konzepte weitgehend selbstverständlich erscheinen, in den 60er Jahren waren sie revolutionär – in Frankreich gab es noch die Todesstrafe, und die katholische Kirche war eine bestimmende Größe im öffentlichen und privaten Leben der Franzosen. Foucault steigerte seine Theorie noch weiter, indem er in radikaler Weise die gesellschaftlichen Rollen von Frauen und Männern hinterfragte und das die Gesellschaft in ihren Grundfesten prägende System der Zweigeschlechtlichkeit erkannte, und selbst diese gehört in Frage gestellt, wenn ein Mensch wirklich zu sich selbst finden will (Foucault hatte u.a. Psychologie studiert). Wann ist ein Mann „ein Mann“? Welche gesellschaftlichen Attribute muss man haben, um als vollgültiger Mann gelten zu können? „Feuer, Pfeife, Stanwell“, wie eine Tabak-Werbung in den 70er Jahren in einem elegant-einprägsamen Dreiklang propagierte? Dieselbe Art von Fragen kann man gewiss auch an Frauen stellen. In radikaler Weise wird deswegen auch die Identifizierung einer Person über ihr Geschlecht in Frage gestellt. Die Geschlechtsidentität bildet keine feste Größe mehr. Von hier aus ist es nur noch ein kleiner Schritt zu den jüngeren queeren Entwürfen, die Bi- und Homosexualität und Geschlechterwechsel als positiv gegeben akzeptieren. Je länger man über den Sex nachdenkt, desto weniger vermögen die konventionellen Strukturen zu binden.

Pornographie hat eine „Funktion als Mittel der Selbsterkenntnis und als Instrumentarium, sowohl anderen [nämlich mächtigen Menschen] ihr großes Geheimnis, den Sex, zu entreißen als auch sich selbst sein geheimsten Wesen einzugestehen“ (S. 70) – bon.

            Auch heute noch bedeutete der Satz „Ich gucke gern Pornos“ das gesellschaftliche Aus desjenigen, der diesen Satz von sich in die Welt setzte. Die Gegenwart ist nicht wirklich besser als die verklemmte 50er-, 60er- und 70er-Jahre-Gesellschaft, gegen die Foucault anschrieb. Heute wird unser alltägliches Leben von der Nahrungsmittelindustrie mit ihrem fünffach größeren Werbeetat als die Autoindustrie, der Unterhaltungsindustrie und vor allem der IT-Branche geprägt, und zwar bis ins Unterbewusste hinein. Individualismus und Eigensinn haben keine Chance und können höchstens im kleinen privaten bzw. intimen Kreise gepflegt werden. Es wird nicht besser. Die moderne Popkultur des frühen 21. Jahrhunderts arbeitet weitgehend mit Versatzstücken aus der Pornographie, bietet aber selbst kein Porno. Die freimütige Behauptung, gerne Pornos zu gucken, zöge immer noch die gesellschaftliche Ächtung nach sich – und in einer Dissertation an der LMU kann man dergleichen erst recht nicht so einfach sagen bzw. schreiben.

            Einwände? Wenn man die Zeit um 1800 als Sattelzeit zwischen Moderne und Vormoderne herausstreicht, so gehört in der allgemeinen Gesellschaftsgeschichte auch die Zeit um 1200 als die andere Phase hinzu, die die Vormoderne von der Archaik trennt. Dort muss sich also auch was getan haben. Zudem: Ist die Zeit um 1800 wirklich als einzige so entscheidend? Wenn es auch keine direkten Kontinuitätslinien in die Antike gibt, so gibt es doch ältere Bruchstücke, die von Bedeutung waren, da man auf sie zurückgreifen konnte; Marion Herz macht ja gerade die Ausstellung der antiken Bilder und Statuen zum Ausgangspunkt der Pornographie, also ein Phänomen der Rezeption zur Zeit des Klassizismus; wenn man aber den Klassizismus zum Thema macht, muss man auch auf die kulturelle Gegenbewegung, die Romantik zu sprechen kommen, die den Schwerpunkt ihrer Wahrnehmung auf das Mittelalter legte (genauer: ausgewählte Teile des Mittelalters wie z.B. die, die das Rittertum glorifizierten). Foucault kommt u.a. auch auf die mittelalterliche Beichtpraxis und die Beichtbücher zu sprechen, die den gesamten Katalog aller auch heute gängigen Sexpraktiken und –phantasien aufweisen. Der reine Sex (der Sex an sich) bleibt unverändert (ausgerechnet in dieser Hinsicht ist die Moderne nicht modern), das Drumherum ist das Problem. Die Vergangenheit ist größer als man denkt, nichts als ein großes Angebot, quasi ein Gemischtwarenladen an Ideen, ein Supermarkt an Argumenten, aus dem man sich nach Gutdünken bedienen kann, um die eigene Position historisch-kulturell zu legitimieren. Eklektizismus stellt sich ein. Er gilt im Kulturalismus als gerechtfertigte Methode, um Positionen zu beweisen (besser: herzuleiten) – l´art pour l´art.

            Marion Herz schließt eine Interpretation von Nicolas Restif de la Bretonnes weiterem Werk L´Anti-Justine von 1798 an (S. 77-102), in welchem inzestuöser Sex beschrieben wird und der Vater seine Töchter zur Prostitution treibt. Sie fragt dabei insbesondere nach der Rolle der Ehefrau, wobei sie zeigen kann, dass sie eine den Ehe-Mann normalisierende Aufgabe erfüllt (der Roman ist voll von selbsterklärenden Äußerungen): Der Ehe-Mann ist faktisch für den ehelichen Sex anzuregen. Hierzu dient der Roman. – Erneut geht es um die „Geburt der Pornographie aus der inzestuösen Verquickung“ (S. 80) von ´Text´ und ´Sex´. Die reiche Literatur über das libertine Schreiben des 18. Jahrhunderts wird dabei außen vor gelassen, Marion Herz setzt den Anti-Justine in Beziehung zu Foucault, wobei die rege Forschung wohl mitgedacht werden muss. Immer wieder spielt in der Diskussion ´die Gesundheit´ eine Rolle, der Sex sei „gesund zu erhalten“ und die bürgerlichen Eheleute sollten „an ihm gesunden“ (S. 100). Mit der Gesundheit und Hygiene kommen die von der Aufklärung propagierten und als erstrebenswert deklarierten Güter in die Diskussion; man brauchte den Sex und konnte ihn nicht hinweg definieren; aber man konnte ihn regulieren. Genauer: Es geht um die Domestizierung der Wollust. Diese ist auch bereits von der katholischen Kirche im Mittelalter propagiert worden, womit sie zum Teil sogar Erfolg hatte.

Einen weiteren Wandel kann sie beschreiben, in dem die allein für die männlichen Wissenschaftler zur Wahrnehmung gebrachten Darstellungen in der Folge für einen weiteren Markt hergestellt und verbreitet wurden. Es gab also Nachfrage und Angebot (bzw. umgekehrt). Die Markt-Metaphorik wird von ihr nicht thematisiert. „Aus Darstellungen des Sex [wurden] sexuell erregende Darstellungen“ (S. 109) – nur ein kleiner Kreis durfte und konnte sich an der Wollust delektieren, aber in diesem Kreis wurden „die Medien der Erregung“ (S. 111) konsumiert. Man wundert sich dann allerdings, über den Pornokonsum zu lesen, dass er zu „einer im 19. Jahrhundert noch relativ neuen sexuellen Praktik, die Masturbation, führte“ (S. 111) – nein. Neu war allenfalls der Umgang mit der Onanie, die im Zuge der Aufklärung als ungesund gebrandmarkt und verboten wurde. Die Betonung liegt darauf, dass sie erst in der Aufklärung im frühen 18. Jahrhundert als ungesund ausgegrenzt wurde (so S. 116, 118f.) – und vorher praktiziert wurde (und eben nicht als im 19. Jahrhundert als ´neu´ eingeführt wurde). Die Praktik ist nicht neu, sondern die Ausgrenzung und damit der im Übrigen intensive Diskurs, der im 18. Jahrhundert nach der Veröffentlichung der ersten Schriften gegen die Onanie einsetzte – die Welt ist größer als der Diskurs. Die feinsinnige Unterscheidung zwischen Onanie (Selbstbefriedigung ohne Hilfsmittel) und Masturbation (mit Hilfsmitteln wie der aufgeilenden Lektüre) war mir nicht bekannt, wird auch nicht belegt (S. 119f.) – gibt’s das wirklich?

Untersucht wird des Weiteren die Rechtsgeschichte der Gesetzgebung über die Obszönität im 19. Jahrhundert in Frankreich, England, den USA und Deutschland mit seinen Ländern mit dem Verbot des Imports und der Verbreitung unzüchtiger Schriften. Das französische Gesetz von 1810 im code pénal (unter dem fortschrittlichen Napoleon also) diente der Gesetzgebung in einigen deutschen Ländern als Vorbild. Wieder aber zeigt ein genauerer Blick, dass es Schlupflöcher gibt, indem der Handel reguliert wird, weil die Pornographie bestimmten Berufsgruppen doch zugänglich bleibt. Die Etablierung einer Rechtsprechung führte weiter zur der Praxis, dass man öbszöne Schriften als solche erkennen musste, weswegen man in England die Literatur hinsichtlich ihrer obszönen Qualität prüfte bzw. „testete“ (S. 113). Dieses war 1857 Gegenstand einer Debatte im Parlament, bei der der das Obszönitäts-Gesetz befürwortende Lord Campbell mit einem Exemplar der „Kameliendame“ erschien. Die Medienprodukte wurden daraufhin einer systematischen Kontrolle  unterzogen, weswegen man für die Pornographie eigene Vertriebswege suchte, bzw. aus der Sicht der Mehrheitsgesellschaft formuliert: man in den Untergrund ging, der den Porno-Händlern auch zugestanden wurde; solange sie nicht in die Öffentlichkeit drangen, blieben sie von den Strafverfolgungsbehörden unbehelligt (S. 115).

            Neue Medien hielten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Einzug, der Guckkastenbühne mit Schaubildern und das Stereoskop, das dreidimensionale Bilder zu zeigen und betrachten erlaubt. Dieses spielt auch in der Kameliendame eine Rolle, die ja als „Beweis“ für die Richtigkeit des Obszönitäts-Gesetzes dienen musste und deshalb folgerichtig einer eingehenden Interpretation unterzogen wird (S. 125-145), geht es doch um die Verführung eines jungen Mannes durch eine reife Frau (cougar, Puma, im pornographischen Code des 21. Jahrhunderts) und um Theater- und Operaufführungen, die zum Verlustieren einladen. Auch hier geht es wie bei Restif de la Bretonne darum, dass die Frau weiß, was gut für den Mann ist, so dass es nur noch ein kleiner Schritt ist zur „Pornographie der Frau“, dem letzten Abschnitt des Buches (S. 149-167). Methodische Besinnung: Eine Frau schreibt hinsichtlich der Sexdarstellung über Frauen, was für einen konventionell-einfachen Mann schwierig zu beurteilen ist, für einen sex-positiven Intellektuellen hingegen sehr wohl möglich. In diesem Kapitel bildet die politische Debatte um das Prostitutionsverbot in England und Amerika, die in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts einsetzte, den Einstieg, die wiederum „ungewusste, ja geradezu unheimliche Wurzel der feministischen Anti-Pornographie-Bewegung“ der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts ist (S. 150). Gegen diese wiederum wendet sich die „so genannte dritte feministische Generation“, die ihrer Vorgängergeneration „Naivität und Essentialismus“ vorwirft (ebd.); als Träger des männlichen Geschlechts gehöre ich als sex-positiver Intellektueller ebenfalls der dritten Generation an, wenn ich mal so sagen darf, und kann und darf deshalb zu diesen Fragen Stellung beziehen. Geht sie zunächst auf den wissenschaftlichen Diskurs über die Prostitution (der auch als ´Pornographie´, [über] Huren-Schreiben, im engeren und wortwörtlichen Sinn bezeichnet wurde) ein und arbeitet die Hygienevorstellungen heraus, die in der grundlegenden Literatur Frankreichs und Englands postuliert wurden. Es ging in erster Linie um den Schutz der bürgerlichen Kunden sowie um die Bewahrung des Unterschiedes zwischen der proletarischen Hure (lüstern, Sex um seiner selbst willen) und der bürgerlichen Ehefrau (rein, Sex für die Zeugung von Nachfolger). Hier hinein trat in den 1860er Jahren der von Bürgerfrauen vertretene Feminismus, der auf ein Verbot der Prostitution hinarbeitete. Damit verschob sich der Diskurs von der wissenschaftlich-sexualhygienischen auf die politische Ebene. Leider arbeitet sie nicht wirklich an den Quellen heraus, wie die Prostituierten in diesem Diskurs beschrieben wurden, sondern basiert lediglich auf Werken zweiter Hand wie dem von Jill Harsin: Policing Prostitution in Nineteenth-Century Paris. Princeton 1985.

            Das letzte Kapitel geht mit der Anti-Porno-Kampagne („PorNOgraphismus“) der 1970er und 80er ins Gericht, „in dem die um das sexuelle Wohl der Gesellschaft besorgte Bürgerin des 19. Jahrhunderts eine Auferstehung feiert“ (S. 163). Bürgerliche Frauen benutzen keine Pornographie, und weiter halten sie Pornos von ihren Männern fern. Sie halten die Sexualität ´rein´, indem sie sie in die Ehe als einzig dafür gehörigen Ort einschließen. Für sie gibt es ´wahre´ (richtige) Frauen, was bedeutet, dass es auch ´falsche´ Frauen gibt, z.B. Pornographie benutzende Frauen. Das Problem ist, dass die Vertreterinnen der PorNO-Kampagne in den USA und Deutschland sogar Gesetzesinitiativen lostraten, womit die Pornographie benutzenden Frauen kriminalisiert worden wären, wenn es denn zur Verabschiedung eines solchen Gesetzes gekommen wäre. In Deutschland beispielsweise waren zu Beginn der 70er Jahre die entsprechenden Gesetze weitgehend liberalisiert worden, weswegen diese Kampagne im Erfolgsfalle einen Rückschritt in die älteren Zustände bedeutet hätte. Kämpferische Feministinnen wollten andere Meinungen von Frauen nicht gelten lassen, trieben gar Machtspiele, kümmerten sich ihrerseits nicht um Huren, die sie als Verräterinnen an der Sache der Frau links liegen ließen. Feministinnen kümmerten sich nicht um Huren. Feministinnen hatten einen engen Begriff von Sex, enge Vorstellungen von (aus-)gelebter Sexualität. Hiergegen wendet sich Marion Herz. Es geht um die Akzeptierung weiter Vorstellungen von Sexualität bei Frauen, letztlich um die Propagierung eines Individualismus, der die Wollust akzeptiert. Ein Porno-Verbot stellt letztlich so etwas wie „eine Vergewaltigung der Leserinnen“ dar (S. 165).

            Kurz: Marion Herz hat eine wissenschaftliche Begründung der PorYes-Bewegung vorgelegt. Dies ist zu begrüßen.

            Es ist ein absolut hoch gelehrtes Werk, in das viel Eingang gefunden hat. Diese Besprechung ist nur ein kleiner Abklatsch von der Fülle und Tiefe der Gedankenführung. Die vielen französisch- und anderssprachigen Zitate werden bis auf die englischen durchgehend übersetzt, sie belegt ihre Aussagen sowohl mit Fußnoten (mit arabischer Zählung) als auch mit Endnoten (mit römischer Zählung), schaltet Zitate in den normal in den Fließtext, manchmal auch als Inserat, gleichsam als Abbildung in den Text – ein doppelter Belegapparat, der manchmal mehr verwirrt als erklärt; das Zweidimensionale eines Lesetexts wird aufgebrochen zugunsten einer Mehrdimensionalität. Dabei ist Lesen trotz des links-rechts- und oben-unten-Schemas gar nicht zweidimensional, sondern im Kopf eines Lesenden fügen sich dank der Merkleistung des Gehirns alt- und neugelesene Sätze zu einem gedanklichen Ganzen. Sie schüttet das Kind mit dem Bade aus. Auch der Satzbau stört wegen Verschachtelung und der Überlänge der Sätze. Es ist beileibe kein Vergnügen, das Buch zu lesen. Sondern Arbeit. Und eine Arbeit, die zu Widerspruch führt, wenn man einmal durchdrungen hat, was sie sagen will. Es kann passieren, dass man sich genasführt und ausgebeutet fühlt. Es wäre auch einfacher gegangen.

Deswegen kann ich mir ein Quentchen Kritik nicht verkneifen. Das Werk ist hoch gelehrt, und trotzdem missfiel es mir. Zu dieser Kritik halte ich mich berechtigt, weil ich mich intensiv mit Fragen der Wissenschaftlichkeit beschäftige und die sex-positive Intellektualität als Lebensform propagiere (womit ich aber keinen Erfolg habe, was ich gerne zugebe). Dass man viel offener, freier und anschaulicher über Sex und Pornographie schrieben kann, als Marion Herz es tut, zeigt die Ehrenrettung der Wollust, die Simon Blackburn 2004 vorgelegt hat, die übrigens keinen Eingang in ihre Dissertation gefunden hat (siehe meine Rezension von Simon Blackburn auf der von Matthias T.J. Grimme betriebenen Seite schlagzeilen.com [dort im Memberbereich]). Manchmal darf man auch schlicht sein. Es gibt den schönen Spruch, dass WissenschaftlerInnen (eigentlich hat der Spruch nur die männliche Form) kein Interesse an der Verbreitung ihrer Ideen hätten, denn sonst würden sie nicht so geschwollen und unverständlich daher reden. Da ist was dran. Manche WissenschaftlerInnen sind geradezu froh, den gesunden Menschenverstand hinter sich gelassen zu haben, was letztlich aber nur eine arrogant elitäre Haltung, ein Machtspiel darstellt. Zugegeben: Wissenschaft ist Macht. Aber das missfällt mir auch.

Es wäre auch einfacher gegangen. Ich befürworte stattdessen die Devise ´Erkenntnis für alle´, und die war es auch, die mich zwang, diese Rezension zu schreiben. Damit ein eigentlich gut gedachtes Werk nicht untergeht.

Noch ein Wort. S. 5 wird behauptet, die Prosexualitätsbewegung bestünde [1.] „aus essentialistischen Pornographinnen, die den Lesbianismus als einen machtfreien Ausgangspunkt für ihre Rebellion gegen die vermeintliche Verbotspolitik ihrer Mütter begreifen, [2.] Befürworterinnen einer juristischen Regulierung und [3.] Vertreterinnen des dekonstruktiven Feminismus“ (S. 5). Es fehlt der von mir vertretene sex-positive Intellektualismus, der die traditionelle Geschlechter-Trennung überwindet, Individualismus bejaht, jegliche Form von Machtspielen ablehnt (es sei denn unter safe, sane, consensual-Bedingungen, über die man sich vorher geeinigt hat) und eine extreme Freundlichkeit propagiert.

 

Hellmuth von Behren

 

Marion Herz: PornoGRAPHIE. Eine Geschichte. Phil. Diss. München 2005. Im Internet unter edoc.ub.uni-muenchen.de/8740/1/Herz_Marion.pdf als pdf-Datei, 205 Seiten.