12. Dezember 2010

Zwischen der Disko und anderen Welten

 

Hans Nieswandt, ehemaliger Autor und Redakteur des Magazins Spex, Musik zur Zeit, als es noch in Köln produziert worden ist, inzwischen renommierter House-Music-DJ, zusammen mit Eric D. Clark und Justus Köhncke Musiker bei Whirlpool Productions, ist seit 2002 auch Autor von Büchern, in denen es um sein Leben als DJ geht. „plus minus acht“, Untertitel „DJ Tage DJ Nächte“, 2002, „Disko Ramallah“, Untertitel „Und andere merkwürdige Orte zum Plattenauflegen“, 2006, und jetzt „DJ Dionysos“, Untertitel „Geschichten aus der Diskowelt“. 2010.

 

Wie in Hans Nieswandts vorausgehendem Buch „Disko Ramallah“ geht es auch in „DJ Dionysos“ aus der Perspektive eines in Köln wohnenden DJs unter anderem um ungewöhnliche Orte zum Auflegen, wie in Hanoi, Nowosibirsk oder in Johannesburg, während der letzten Fußball-WM. Im Unterschied zu den beiden früheren Büchern gibt es in „DJ Dionysos“ viele Reflexionen über den Zusammenhang zwischen repräsentativer, realer Politik und DJ-Kultur. Von der zitierten Zeitungsmeldung über den 34-jährigen DJ Andry Rajoelina, der auf Madagaskar an die politische Macht gekommen ist, bis zum bundesrepublikanischen DJ Dosenpfand, alias Jürgen Trittin. Hans Nieswandt reflektiert den gegenwärtigen Zusammenhang zwischen der politischen Macht und der für sie mittlerweile attraktiven Figur des flexiblen DJs, bzw. wie sie den politisch Mächtigen weiter Widerstand leisten könnte.

 

In der erzählerischen Konstellation der Geschichten wird ein von der DJ-Kultur inspirierter Roman angekündigt, der im Text nicht realisiert wird, aber mit der Figur des Dennis, aka „DJ Dionysos“, ständig einen Link zur Ausgeh-Literatur zur Verfügung stellt, ohne selbst Roman oder Erzählung zu werden. Im „Big in Vietnam“ betitelten Abschnitt beschreibt Hans Nieswandt eine sozial schwierige Situation mit Managertypen einer Disco in Hanoi, in der es um vergangene Probleme mit westlichen DJs im Club ging. Hans Nieswandt, der vermeintlich reale Erzähler, kommentiert: „DJ Dennis, der zukünftige Held meines sich seit Kurzem unter Konstruktion befindlichen Romans, ja, der wäre vermutlich wirklich kein Problem gewesen. Für ihn hatte ich mir schon eigens ein digitales DJ-System ausgedacht, das sogenannte Scratchato. Dennis würde natürlich, genau wie alle vietnamesischen DJs, auf die neuen Techniken schwören, ich dagegen würde bald ein wenig alt aussehen mit meinen schönen Schallplatten.“ Indem dieser Erzählmodus also eine mögliche fiktionale Kontellation vorführt und mit ihr spielt, möchte er gleichzeitig Differenz zur kulturellen Welt des Erzählerischen in der Literatur markieren. Diskowelt gegen erzählte kulturelle Welt. Diese Abgrenzung wirkt wie ein rhetorischer Trick, in dem es allein darum geht, die realen Skills, - Fähigkeiten -, des Autors als DJ hervorzuheben. Das ist widersprüchlich, da Hans Nieswandts Text das Motto „This is to all the DJs keeping it surreal“, eben nicht real, vorangestellt ist.

 

In „DJ Dionysos“ gibt es jetzt, im Unterschied zu den beiden zeitlich früheren Büchern, Illustrationen und ein Cover zum Thema DJing von Felix Reidenbach, der in den 90er Jahren zum Magazin Spex die Comicserie „die niedlichen“ beigetragen hat. Die Figuren in den Illustrationen zum Buch von Hans Nieswandt sehen ähnlich wie „die niedlichen“ in alten Spexheften aus, doch sind sie nicht mehr mit einfachem Computergrafik-Strich gezeichnet. Sie wirken jetzt dreidimensional, wie Standbilder aus einem aufwendig animierten Computerspiel, nicht mehr wie ein einfacher Comic, in Panels, mit Bilder ergänzendem Text. Ist es eine Modernisierung von „die niedlichen“ als Comic aus dem Magazin? Oder sind „die niedlichen“ als Illustrationen zu Hans Nieswandts „Geschichten aus der Diskowelt“ nicht mehr mit den älteren Comics identisch? Auf eine Buchillustration reduziert, wirken sie wie ein die vergangenen Comics gegenwärtig machendes Zitat, in dem jedoch nicht mehr ihre eigene, einfache und gleichzeitig seltsame Comicerzählweise vorkommt. Man muss sich als Leser die Mühe machen, die älteren Spex-Hefte aufzuschlagen, um diese Illustrationen richtig lesen zu können. Mir gefallen die alten „die niedlichen“ besser, aber erst durch das „die niedlichen“ verkürzende, demolierende Zitat als Illustration im Buch bin ich darauf gekommen, sie jetzt wieder in den alten Heften zu lesen.

 

Wie in jedem der Bücher von Hans Nieswandt werden am Ende Listen aufgeführt, „Listenwesen“, jetzt nicht wie in „plus minus acht“ Tracks und Songs zwischen Punk und Deep House, sondern „15 Aphorismen“, „Die 10 hippsten Disko-Mix-Getränke“, „DJ Dosenpfands Playlist“, „9 potentielle Labelnamen“ und anderes. Dieses „Listenwesen“ ist gewöhnlich aus Magazinen und Zeitschriften bekannt, DJ-Playlists, Charts, Jahresrückblickslisten. Wer ist drin, wer ist draußen? Wie sind die Listen komponiert? In der Anthologie „Trivialmythen“, 1970 im März-Verlag veröffentlicht, gibt es einen Essay von Uwe Nettelbeck, Generalthema ‚Trivialmythen‘ (um es einmal so zu nennen)“, in dem der Autor alle Titel seiner Schallplattensammlung zum Zeitpunkt der Anfrage des Beitrags auflistet. Diese Auflistung ist eine künstliche Auseinandersetzung mit den eigenen, vermeintlich einfachen Faszinationen, wie Musik auf Schallplatten und das Sammeln von Schallplatten, die ohne kommentierenden, die Platten erklärenden Text auskommt, jedoch in ihrer extremen Ausführlichkeit Differenz zum vorherrschenden „Listenwesen“, von den Charts bis zur DJ-Playlist, markiert. Das „Listenwesen“ in Hans Nieswandts „DJ Dionysos“ hat sich inzwischen vom gewöhnlichen DJ-Playlist-Diskurs zwischen Groove Magazin und De:Bug emanzipiert, es setzt jedoch auf humorvolle Originalität, nicht auf gegenwärtig richtig andere Schreibweisen, in denen eine Auseinandersetzung mit den eigenen Faszination in der Liste vorgeführt werden könnte. Daher liest sich das „Listenwesen“ in „DJ Dionysos“ wie eine humorvolle, originelle Zugabe zum eigentlichen Text und das richtig Andere, wie Listen gegenwärtig geschrieben und komponiert werden könnten, ist in ihm, wenn überhaupt, nur als ferne Erinnerung da.

 

Alles in allem ist „DJ Dionysos“ ein weiteres, gelungenes DJ-Geschichten-Buch von Hans Nieswandt geworden, auch wenn man, - von Spex bis heute -, manches im Text zu erwartbar oder nicht richtig reflektiert finden mag. Hans Nieswandt öffnet, beim Erzählen, unvorhersehbare, seltsame Querverbindungen zwischen der glamourösen „Diskowelt“, in der er alltäglich und dauernd viele Erfahrungen sammelt, souverän geworden ist, und anderen Welten, in denen sich die eigene kulturelle Souveränität auflösen kann.

 

Christopher Strunz

 

Hans Nieswandt: DJ Dionysos, Geschichten aus der Diskowelt. Kiepenheuer & Witsch: Köln 2010. 8,95 €

 

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