27. November 2003

Die genetische Differenz

 

Gregor Samsa war kein Vorgänger von Seth Brundle. Mit Gentechnik hatte Kafka nichts am Hut. Er zeigt keine Verwandlungen, und deren Resultate, so Kafka, seien nicht darstellbar. Das wäre das Aus für das Kino. Irgendwann muss der Weiße Hai auf die Leinwand. Oder Moby-Dick. Der Käfer, der Gregor Samsa war, bleibt letztlich unerklärbar. Dagegen gibt es bei Cronenberg kein Geheimnis. Es ist alles ganz einfach. Ein begabter junger Physiker macht eine Erfindung, weil er vor etwas Angst hat. Die Versuchsanordnung lautet: Wie komme ich von A nach B, ohne ins Flugzeug steigen zu müssen. Schiffe und Autos zählen nicht, jede Art von Bewegung ist ihm unangenehm. Die Antwort lautet nicht: Lass dich einfach die Zeit des Transports über betäuben. Das gäbe einen ziemlich langweiligen Film und wäre außerdem kein Sciencefiction.

Als Physiker kennt sich Brundle aus mit Analyse und Dekomposition. Deren letzter Schrei kann nur heißen: alles zerlegen, dann wieder zusammenfügen. Das kennt man als „Beamen“. Und wenn ein junger Mann eine Erfindung gemacht hat und ein nettes Mädchen sieht, muss er ihr natürlich sofort erzählen, dass er damit eine Revolution auslösen wird. Jeff Goldblum als Seth Brundle am Anfang des Films in der Ausstellung ist einfach goldig. So schlecht angezogen, so miserabel frisiert, so naiv. Immerhin kommt Geena Davis mit in das Fabrikgelände, wo Seth in irgendeinem Obergeschoss sein Techno-Labor betreibt. Seltsame Objekte in einer Mischung aus Riesenwabe und designter Kirchenglocke stehen in dem großzügigen Raum herum. In der Mitte eine Computerkonsole. Dann beginnt die Zirkusshow. Gib mir einen Gegenstand deiner Wahl. Hier ist ein Strumpf. Auch die Liebesgeschichte fängt also gut an. Seth legt den Strumpf ins Innere eines dieser Transformatoren, tippt ein bisschen rum, spricht mit seinem Computer, und los geht’s. Ein greller Blitz, ein verschwundener Strumpf, etwas später, in einem anderen Transformator, einem Empfänger, liegt der Strumpf, noch nebelverhangen. Geena ist beeindruckt, auch als Journalistin, da will sie doch gleich eine Geschichte draus machen.

Die Sache mit dem Pavian kommt vermutlich nur als gelungenes Experiment ins Buch, die erste Probe geht ziemlich daneben, ekelhaft, dieses Fleisch, kleine Einstimmung auf das, was kommt. Seth als guter Physiker lässt sich von Geenas Reizen nicht übermäßig ablenken. Die Sache ist ja noch nicht zu Ende, schließlich geht es um eine Tele-Portation. Jetzt kommt die Fliege ins Spiel. Bei seinem ersten eigenen Versuch, nackt hockt Seth wie ein griechischer Athlet in der Tele-Box, hat sich eine Fliege in den Versuchsraum verirrt, menschliche Unvorsichtigkeit – hätte man es verhindern können, stellt sich techno-kritisch die Frage? Das Spannende ist jedenfalls erst Mal, wie Seth da jetzt rauskommt. Anders jedenfalls, als in dem ursprünglichen Fliegen-Film, nämlich ganz normal. Keine Flügel, keine Teleskopaugen. Aber er ist plötzlich so wahnsinnig sportlich, athletisch, sein Körper hat einen Sprung gemacht. Seine Kraft, seine Potenz, er ist ein Tier, noch bevor er anfängt, so auszusehen. Dann gibt es die ersten Symptome, die Haare auf dem Rücken, die keine menschlichen sind, Geena hat sie extra analysieren lassen. Geena kommt mit der neuen Sex-Maschine nicht mit, flieht, nach vier Wochen ein reumütiger Anruf Seths, es ist alles war, ich habe mich verändert.

Jetzt beginnt die Passion von Brundle-Fliege. Die genetische Analyse des Computers lässt keinen Zweifel, das Genom der Fliege und sein eigenes hat der Computer eigenständig verschmolzen. Seth wird immer ekliger, alles scheint sich nach außen zu kehren, die Flüssigkeiten, das Abfallen von Organen, die nicht mehr gebraucht werden. Am Ende ein verzweifelter Versuch, als das Tier wirklich böse geworden ist, eine Dreiheit zu kreieren, mit Seth, Geena und dem zu erwartenden Baby (und der Fliege, muss man ergänzen). Aber Gott sei dank ist da noch Geenas früherer Lover, der nicht locker lässt, auch wenn er sich mit der Fliege zum Krüppel kämpft. Die letzte Verwandlung, das sieht Seth ein, ist nun wirklich völlig inakzeptabel. Bitte Gnadenschuss. Nicht gerne, aber muss sein. Gibt’s auch eine Moral? Technik ist kein deus ex machina, irgendwo so zwischen Gott und Maschine ist der Mensch, und manchmal ist es nicht ganz einfach zu entscheiden, was man braucht, dann aber spielt der Mensch ja auch gern wieder, und da beißt sich die Katze in den Schwanz, tja …

 

Dieter Wenk

 

<typohead type=2>David Cronenberg, Die Fliege, USA 1986</typohead>