25. August 2010

Ein Ort des Unwahrscheinlichen

 

München leuchtete. Über den festlichen Plätzen und weißen Säulentempelchen, den antikisierenden Monumenten und Barockkirchen, den springenden Brunnen, Palästen und Gartenanlagen der Residenz spannte sich strahlend ein Himmel von blauer Seide, und ihre breiten und lichten, umgrünten und wohlberechneten Perspektiven lagen in dem Sonnendunst eines ersten, schönen Junitages. Vogelgeschwätz und heimlicher Jubel über allen Gassen…“ Soweit Thomas Manns „Gladius Dei“ übers München der Vorweltkriegszeit. Inmitten der maxvorstädtischen Gartenanlagen, heute wie damals, der Karolinenplatz.

 

Der Königsplatz, einen Steinwurf entfernt, ist berühmter als Aufmarschgelände der Nazis. Bevor sie marschierten, waren Hitler, Rosenberg, Heß in Hugo und Elsa Bruckmanns Salon am Karolinenplatz zugange. Seine kuriose Geschichte hat Wolfgang Martynkewicz auf 500 Seiten kluger, bestens verdaulicher Prosa: „Salon Deutschland“ zusammengestellt und mit weit ausgreifenden Reflexionen zu „Geist und Macht“ verblendet. Der Titel ruft Jörg Immendorfs „Café Deutschland“-Zyklus auf, der west- und ostdeutschen Verhältnisse der siebziger und achtziger Jahre farbsatt ins Bild zu setzen verstand und seinerseits aufs Caffè Greco deutet, den Römischen Salon Goethes. Es trifft sich, dass Salon Deutschland in diesen Tagen herausgebracht wurde, da endlich ein Museum errichtet wird, das – wenige Meter vom Bruckmannschen Anwesen – ans Parteiviertel erinnert, gleichsam als Münchner Gegenstück zur Topographie des Terrors, Berlin. Es ist wesentlich dem Ehepaar Bruckmann geschuldet, dass Thomas Manns „festliche“ maxvorstädtische „Plätze“ mit Parteibauten der Nazis versehen wurden. Mit Martynkewiczs Worten:

 

„Der Ort ist denkbar präzise: eine Münchner Adresse, Karolinenplatz 5. Hier führte das Verlegerehepaar […] über vierzig Jahre, von 1899 bis 1941, einen literarischen Salon. […] Im Haus der Bruckmanns hatte Adolf Hitler seinen ersten Auftritt vor einem bildungsbürgerlichen Publikum […]. Der erste Besuch fand am 23. Dezember 1924 statt, zu einer Zeit, als im Salon noch Hugo von Hofmannsthal, der Kulturphilosoph Rudolf Kassner und der Weltmann Harry Graf Kessler verkehrten. […] Nur wenige Jahre zuvor hatte Rilke aus seinen Werken gelesen und vom Zauber des Hauses und der verehrten Gastgeberin geschwärmt.“ In solcher Verfremdung liegt ein besonderer, sinistrer Charme: Beinahe noch Männerwohnheimbewohner, tritt uns ein ‚anderer’ Hitler entgegen – in einem Milieu, für das er so gar nicht geschaffen scheint. Verfremdung von anderer, hanebüchener Art: Im Haus Bruckmann ist heute der bayerische Sparkassenverband ansässig.

 

Martynkewiczs besonderes Augenmerk gilt Houston Stewart Chamberlain, dem Wahlbayreuther Schöngeist und hochverehrten Gast am Karolinenplatz. Er kann als Schlüsselfigur im Übergang zum eliminatorischen Antisemitismus des zwanzigsten Jahrhunderts gelten. Die Grundlagen des Neunzehnten  Jahrhunderts (1899) sind in Hugo Bruckmanns Münchner Verlag und wesentlich auf dessen Initiative erschienen. Der „Seher von Bayreuth“ – so Alfred Rosenberg – geriet trotz des Gestus honoriger Bonhomie – und mehr als Gobineau, Guido List oder Liebenfels – zum Anreger des nazistischen Antisemitismus – nicht zuletzt dadurch, dass er den ‚Rasse’-Begriff gleichsam verflüssigte, von der Zugehörigkeit zur jüdischen Religionsgemeinschaft und Abstammungsgemeinschaft  löste. Chamberlain ist es um jüdischen „Rassengeist“ zu tun, der ‚Juden’ wie ‚Nicht-Juden’ infiziere und das Germanentum als kulturstiftende Kraft unterminiere. Man könne „Jude sein […] ohne Jude zu sein“. Mag Chamberlain solches nicht im Sinn gehabt haben (wiewohl er Hitlers Aufstieg wohlwollend begleitete) – von hier ist es nicht weit zum bekannten Wort, wer ‚Jude’ sei, bestimme er, Hermann Göring.

 

Dass „Geist und Macht“ oft trefflich harmonieren, ist nichts Neues, doch schadet es nicht, die unwahrscheinlichen Nachbarschaften immer wieder vor Augen zu stellen: Nicht allein italienische Futuristen, russische Konstruktivisten, französische Surrealisten, Dichterindividuen nach Louis-Ferdinand Célines oder Heideggers Art schöpfen nur allzu gern aus dem gedanklichen Inventar des Totalitarismus. Selbst Lebensreform, Ausdruckstanz, das ubiquitäre Gespräch von Entfremdung, Nation und Natur, von Ordnung und Form, geistiger Führerschaft durch den Künstler – kurzum: sehr viele Ideen, die im Salon Bruckmann – auf dem Niveau der Thomas Mann, Rilke, Hofmannsthal und Stefan George – ventiliert wurden, nehmen, ohne selbst schon faschistisch zu sein, faschistischen Geist und faschistische Machtausübung vorweg.

 

Die Gretchenfrage, weswegen in Mitteleuropa, im Westen, solche Verachtung für alles, was zwischen Westminster und Bastille ‚uns’ heilig sein sollte, aufblühen konnte, die Frage nach dem deutschen ‚Sonderweg’, kann Wolfgang Martynkewicz so wenig wie andere Autoren zufriedenstellend beantworten. Er verlegt sich darauf, ‚alles in einem’, am Ort des Unwahrscheinlichen: Karolinenplatz Nr. 5 zu versammeln. Dies hat bis dato keiner vermocht.

 

Daniel Krause

 

 

Wolfgang Martynkewicz: Salon Deutschland. Geist und Macht 1900-1945. Berlin, Aufbau Verlag 2009