9. Juni 2010

Vom Zunähen und Zuklappen

 

Wer schießt hier eigentlich? Und um welche Verwundungen geht es? Denn natürlich liest man bei dem Titel noch ein anderes Wort mit: Schussverletzungen. Der Untertitel scheint dann auch alles klar zu machen: Legitimation medialer Gewalt. Aber wer legitimiert mediale Gewalt? Wieder die Medien? Denn wie sollte man sonst davon erfahren. Man hätte also beides in einem: den Aggressor und den Beschwichtiger, den Bösewicht und den, der rechtfertigt. Ist das eine plausible Konstruktion?

 

In den meisten der in diesem Sammelband vereinigten Texten geht es eher um Gewalt, die in welchen Medien auch immer gezeigt wird. Das Medium muss deshalb also selbst gar nicht gewalttätig sein. Genau das aber wird hier und da insinuiert. Zum Beispiel in Tine Pleschs Artikel zu „Populärmusik, Geschlechterrollen und Gewalt“. Ähnlich wie bei Helmut Salzinger (alias Jonas Überohr), der das nur schon ein paar Jahrzehnte früher feststellte, ist Pop, im weitesten Sinn verstanden, kein Gleis in Richtung Revolution. Pop hat entweder gleich mit „falschem Bewusstsein“ zu tun (Salzinger), oder kommt erst gar nicht raus aus der behavioristischen Gebetsmühle. Plesch: „Der Popsong kann als populistisches Echo der Realität Gewalt in Beziehungen legitimieren. Wie bei allem, was oft genug gesagt wird, entsteht durch die pure Wiederholung, [sic] die Gefahr, dass jedwedem Unsinn Glauben geschenkt wird …“

 

Über die Macht der Wiederholung ist natürlich schon viel geschrieben worden. Aber ist das Produkt der Einschleifung wirklich schon ein Akt der Legitimation? Und wenn, wem gegenüber? Andere Einschleifungen produzieren andere „Legitimationen“. Man kommt hier also nicht recht weiter, wenn man das gleich so hoch ansetzt und nicht etwas vorsichtiger erst mal von Meinungen etc. ausgeht. Etwas später wird vom „Spiel der sich aufschaukelnden Legitimation“ gesprochen. Damit ist erst mal nichts anderes gemeint, als dass das, was da ist, bald nicht mehr beachtet wird und somit durch Übersteigerungen ersetzt werden muss. Aber Legitimation wird dadurch nicht aufgeschaukelt, wenn die einmal da ist, ist sie da. Insofern hat man es hier mit etwas anderem zu tun als mit Legitimation. Leute werden phasenweise besetzt (durch was auch immer), und dann kommt schon wieder was anderes oder neues. Aber zu diesem Zeitpunkt hat die Schranke der Legitimation schon längst durchgewunken.

 

In diesem Reader finden sich in zahlreichen Texten Formulierungen, die stutzen lassen, weil man nicht so recht weiß, wo es lang gehen soll mit der Argumentation oder auf was sich die Argumentation selber stützt. So heißt es zum Beispiel in einem Beitrag zu Quentin Tarantinos Kill Bill: „ Die grundsätzlich weiblich markierte Figur übernimmt im Verlauf des Films verschiedene geschlechterspezifische Funktionen, je nachdem ob sie gerade verletzt wird (weiblich besetzt) oder selbst verletzt (männlich konnotiert).“ Das kann man so nicht stehen lassen, denn wenn eine Figur „grundsätzlich“ so oder so „markiert“ ist, fällt es schwer, in diesen Grundsatz auch noch das Gegenteil einzufügen. Interessant natürlich auch, dass „weiblich“ mit Passivität und „männlich“ mit Aktivität (Aggression) ohne weiteren Kommentar verknüpft wird. Solche Schieflagen und Mitnahmen von Dispositionen, von denen sich die Autoren, so darf gemutmaßt werden, doch eher verabschieden wollen, sind Barrikaden im Lesefluss und führen zum Abbruch.

 

Dieter Wenk (06-10)

 

Günther Friesinger, Thomas Ballhausen, Johannes Grenzfurthner (Hg.), Schutzverletzungen. Legitimation medialer Gewalt, Berlin 2010 (Verbrecher Verlag)

 

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