22. Mai 2010

Mode

 

In dem Roman »Perrudia« von Hans Henny Jahnn gibt es eine Binnenerzählung mit dem Titel »Die Marmeladenesser«, dort wird in einem dann nur recht kurzen Absatz eine überaus präzise Schilderung verschiedener Marmeladengeschmäcker geliefert, die in ihrer Genauigkeit aber doch vor allem die ganze Kümmerlichkeit von Sprache, so expressionistisch man sie auch gebraucht, zum Ausdruck bringt. Wie lassen sich also Dinge beschreiben, die man nur versteht, wenn man sie anzieht.

 

Weich-faltig, verschwindende und wieder auftauchende Fülle, herumgewickelt und von der Schulter in die Manschette verwandelt. Ein liegender Kragen steigt an der Schulter zu einem Looping. Farbig entlang einer gelben oder türkisen Paspel lässt sich die Naht verfolgen. Es ist keine Seitennaht, es handelt sich bei den Kleidern nicht um Futterale mit nahezu gleichen Seiten, symmetrischen Ein- und Ausstiegen wie bei S-Bahnen, sondern um ungleichseitige Gebilde, die, wenn sie auf dem Bügel hängen, aussehen wie verdächtige Beutel, jedenfalls nicht als das zu erkennen sind, was man hinterher trägt. Betrachtet man die einzelnen Schnitteile von SIUM, muten sie an wie Zeichen einer neuen Straßenverkehrsordnung. Erst auf dem Körper getragen rundet sich der Stoff, bilden die Falten plötzlich Taschen, schlingen sich zweifarbige Bahnen zu einem Ausschnitt, der unter Umständen eigensinnig die Richtung wechselt und plötzlich abbiegt, um als Gürtel weiterzumachen.

 

Wie bringt man zwei Dimensionen – also zum Beispiel Stoffflächen – an drei Dimensionen – also Körpern – an, insbesondere Damenkörpern?

Konfektionskleidung lässt den Verdacht aufkeimen, dass es sich bei Menschen um eine flach-säulenförmige Spezies handelt. Flächen werden um Körper gebogen und üblicherweise mit einer Seitennaht geschlossen, da es mit der Säulenförmigkeit doch anders bestellt ist, werden die dabei entstehenden Falten mit dem typischen Angela-Merkel-Abnäher zum Verschwinden gebracht. Das Beharren auf solch symmetrische Kleidung mag anthropologischen Konstanten geschuldet sein – Reproduktionsbegehren sind nämlich umso dringender, je symmetrischer das Gegenüber ausfällt – was das für Politiker bedeutet, kann man übrigens leicht erklären – als Rudelführer der Bundesrepublik gilt die Symmetrieforderung natürlich in besonderem Maße, sie sind durch ihre Abnäher vertrauenstiftend, sehen aber eben bekloppt aus.

 

Nicht kategorisch krumm, aber mit Vorliebe asymmetrisch sind also die Schnittmuster von SIUM, nicht weil es darum geht, nicht vertrauenstiftend sein zu wollen, sondern weil, so man die angenommene Säulenförmigkeit der Körper als unsinnig erkannt hat und die Merkelbrustabnäher als stumpfarchaisch, Flächen anders gar nicht um Körper zu legen sind, besonders wenn man die Kleider direkt an einer Figur entwirft, und nicht auf dem flachen Tisch, und genau das ist die Vorgehensweise bei SIUM.

 

Kleider sind keine Brillenetuis, sie liegen auch viel enger an, als das Etuis müssen.

Nicht statuenhaft, sondern aus der Bewegung erklärt sich also, dass es sich bei diesen Asymmetrien nicht um formalistischen Tüdelkram, um gespreizt nonkonforme Attitüde handelt. Denn natürlich hat die Schulternaht etwas mit dem Handgelenk zu tun. Oder hängen Ihre Arme nicht an den Schultern hinunter?

 

Diese Kleider sind gemacht für einen aufgerichteten Gang mit ruhig schwingenden Armen, ohne dass in der Dramatik des rasch wechselnden Faltenwurfs die Person dahinter verschwindet. Sie leuchten. Die Krägen liegen lässig um den Hals, sie sind aber nicht so lose, wie es den Anschein hat. Es gibt nämlich nur einen Platz für sie, dies gehört zu den Verblüffungseffekten von SIUM. Schulterpartien scheinen zu fallen, unkontrolliert zu rutschen und wegzukippen, Halsausschnitte aufzuklappen, Futterstoffe zu spuken, aber sie können sich nicht von dem ihnen zugewiesenen Platz entfernen. Man weiß das jedoch nur, wenn man die Kleider am Körper trägt, dann liegen sie selbstverständlich, unaufgeregt, was wiederum in kurioser Spannung zu den prächtigen Farben und der Vermutung der Betrachter steht, dass jederzeit ein Teil der Kleidung hinabgleiten wird, ein Saum hochwandern, sich das ganze Gebilde, oh Schreck, in ein Knäuel verwirrender Linien verwandeln könnte und man nackt dasteht, die Arme voller Wäsche. Aber keine Sorge, SIUM-Kleider lassen sich nicht hinzupfen, sie passen sofort, oder man braucht gleich eine andere Größe.

 

www.sium.net