7. Mai 2010

Alain alias Jacques Rigaut

 

Das im Juli 1942 geschriebene Vorwort zu seinem umfangreichen Roman Gilles aus dem Jahr 1939 ist eine Rechtfertigung. Nicht die als Kollaborateur. Drieu rechtfertigt sich darin als Schriftsteller, der – neben Céline – als einziger seiner Autorenkollegen es gewagt habe, auf die Zeit, die Zeit der „décadence“, Bezug zu nehmen. Das Wort Realismus ist in seinen Augen kein Schimpfwort. Es schließt in seinen Augen nicht aus, dass der Schriftsteller sich auf Modelle bezieht, die er nicht erfindet, die er aber mit seinem Leben füllt. Mal mehr, mal weniger ausführlich. So sei jeder – und kein – Roman ein Schlüsselroman, noch der irrationalste Autor, so Drieu, habe ein „Gedächtnis“.

 

Le feu follet (zu deutsch: Das Irrlicht) wird in diesem Vorwort zweimal knapp erwähnt, einmal als „kleiner Roman“, das zweitemal benennt Drieu einen Punkt, den Kritiker dem Text vorwarfen, nämlich seine „Strenge“. In der Tat. Obwohl die Hauptfigur des Romans, ein gewisser Alain, einen sehr typischen Drieu-Protagonisten abgibt – ästhetisch begabt, aber für das Leben zu schwach – und ihr die Eleganz in das schöne, aber mit 30 Jahren schon merklich alternde Gesicht eingezeichnet ist, ist die Komposition dieses kleinen Romans nicht gerade elegant. Er ist ein schlichter (und an manchen Stellen, das ist das wiederum Spannende daran, stark verdichteter) Stationenroman. Drieu sieht sich dabei in bester, typisch französischer Tradition: „einsinnige Erzählung, egozentrisch, ziemlich beschränkt humanistisch in dem Maße, abstrakt zu erscheinen, wenig reichhaltig.“ Der Autor präsentiert einen Mann, der noch einmal eine letzte Runde dreht (aus bloßer Gewohnheit), dem nicht zu helfen ist, der das weiß und sich eines Revolvers, den er besitzt, zu bedienen weiß.

 

Alain ist jemand, der nicht arbeitet. Dennoch gibt er kein gescheites Modell ab für Guy Debord. Sein Herumstreunen ist der pure Schlendrian. Er will eigentlich nur ausgehalten werden von einer Frau, die viel Geld hat. Die hat er bisher nicht getroffen, und es ist sehr unwahrscheinlich, dass er sie noch finden wird, da sein Kredit, die Jugend, zunehmend abnimmt. Alain trinkt, und er nimmt Drogen, zum Beispiel Heroin, das er sich spritzt. Sexuell ist er eher ein Pflegefall. Die Eingangssituation des Romans (die Louis Malle in seiner großartigen Verfilmung mit Maurice Ronet kongenial umsetzt) ist raffiniert, weil die Situation, in der sich ein Mann und eine Frau befinden, zunächst nicht einordnen lässt. In dem Moment, wo das dann klappt, fällt rückwirkend wirklich das auf die Szene, was Drieu als durchgängigen Zug seines Schreibens bezeichnet, nämlich satirisch zu sein. Drieu la Rochelle begibt sich nicht der Möglichkeit, auktorial zu erzählen, was nicht ausschließt, dass es auch personal geschriebene Passagen gibt (zu denen die schöne Ouvertüre zählt).

 

Drieu geht nicht in seinen Figuren auf. Der Abstand ist seine Kritik. Erzählerisch mag das ein wenig altmodisch sein verglichen mit den zeitgleichen romanesken Avanciertheiten (Joyce, Carl Einstein), aber der Realismus ist ja nie wirklich von der erzählerischen Bildfläche verschwunden. Gleichwohl, die Lektüre wird mit jeder Station ein wenig mühsamer (ein Film hat es da einfacher). Es gibt großartige Partien – so der Besuch bei Alains Freund Dubourg, der wie eine psychoanalytische Sitzung aufgebaut ist und Drieu auch das entsprechende, sehr maßvoll eingesetzte Vokabular nicht scheut. Aber insgesamt wirken die 170 Seiten, um die Gleichung Universum=Geld=Droge=Nacht (Frauen) durchzuspielen, etwas langatmig. Dieser Alain mag schön (gewesen) sein, er ist ein Nichts, und man weiß nicht so recht, warum man sich für ihn interessieren soll. Immerhin weiß man bei jedem Roman Drieus, warum die Nationalsozialisten so attraktiv für ihn sein mussten. Anders als der Ästhetizist vermochten sie dem Leben, so Drieu, dem Leben Konsistenz zu verleihen. Das ist das entscheidende Wort, auf dessen Heilsversprechen Drieu hereingefallen ist. Céline ist dann noch mal ein anderer Fall. Der wesentlich interessantere.

 

Dieter Wenk (05-10)

 

Pierre Drieu la Rochelle, Le feu follet, suivi de Adieu à Gonzague, Paris 1959 (Gallimard)