25. April 2010

Entdeckungen

 

Autorenlesung mit Martin Lechner,

Aljoscha Brell und Roger Künkel

In Zusammenarbeit mit dem Textem-Verlag

 

Mittwoch, 26. Mai 2010, 19:30 Uhr, Eintritt: 5,- Euro

Lettrétage, Methfesselstraße 23-25, 10965 Berlin

 

 

 

Der Textem Verlag, vor allem bekannt durch die Zeitschrift "Kultur & Gespenster", hat ein fast noch unentdecktes Literaturprogramm. Der Autor Martin Lechner veröffentlichte im Textem Verlag die Erzählung "Bilder einer Heimfahrt". In der Lettrétage liest er aus seinem in Arbeit begriffenen Roman "Kleine Kassa". Der befreundete Autor Aljoscha Brell liest ebenfalls aus seinem Romanmanuskript mit dem Titel "Kress". Ganz frisch im Textem Verlag ist der Erzählungsband "Heft Grün" mit Kurzerzählungen von Roger Künkel erschienen, von denen der Autor einige vorstellen wird. Literatur, so unterschiedlich, wie sie sein kann.

 

Roger Künkel, geboren 1963, arbeitet als philosophischer Praktiker in Berlin. Er wohnt in Berlin-Tempelhof.

 

Martin Lechner, geboren 1974, lebt in Berlin. Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften (Manuskripte, Ostragehege, Idiome, Edit, Bella Triste, Entwürfe, Sprachgebunden, Perspektive, SIC u.a.), 2005 die Erzählung Bilder einer Heimfahrt im Textem-Verlag sowie 2009 die Erzählung Larsen in Covering Onetti (Verlag Lettrétage). 2006 erhielt er das Alfred-Döblin-Stipendium und nahm am Open-Mike, 2008 an der Poetik-Konferenz Dichtes Gerede der Lettrétage teil.

 

Aljoscha Brell, geboren 1980 in Wesel, NRW, lebt in Berlin und arbeitet als Produktmanager bei einem Berliner IT-Unternehmen. 2008 war er Stipendiat der "Autorenwerkstatt Prosa" des Literarischen Colloqiums Berlin. 2009 erhielt er ein Alfred-Doblin-Stipendium der Berliner Akademie der Künste. Veröffentlichungen von Kurzprosa in Zeitschriften, u.a. in "Lichtungen" und "Sprache im Technischen Zeitalter". Gegenwärtig arbeitet er an seinem ersten Roman "Kress".

 

 

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25. April 2010
Aljoscha Brell

Auszug aus Aljoscha Brells Romanprojekt "Kress"

 

Als Kress an diesem Abend nach Hause kam, war ihm mächtig feierlich zumute. Auf dem Heimweg hatte er sich hinreißen lassen, in einem türkischen Imbiss eine Fanta zu ordern. Fanta war sein Lieblingsgetränk, aber weil schöne Dinge schwach machten, gab es Fanta nur in besonderen Momenten. Jetzt, noch während er die Tür abschloss, schüttelte er sich den letzten Tropfen in den Rachen, und weil er noch nicht genug hatte von dem herrlichen Süß, stapfte er in die Küche und suchte aus einem der Kartons das Brotmesser hervor. So ausgerüstet begab er sich an den Schreibtisch und machte sich daran, mit kleinen Sägebewegungen die Aluminuiumdose zu enthaupten, um auch an die in der Dose verbliebene Fantafeuchtigkeit zu gelangen. Er bog den Dosenkopf zur Seite, wischte mit dem Zeigefinger entlang der Innenwände und steckte sich den Finger gedankenvoll in den Mund. Die kleine blonde Person ging ihm nicht aus dem Sinn. Er fragte sich, wie er vernünftigerweise den Erstkontakt herstellte, wenn er sie denn aufgespürt hatte, und weil ihm nichts Besseres einfiel, stand er auf und wanderte hinüber zu seinen Umzugskartons, wo er aus seiner Ausgabe von Goethes Werken Band 3 hervor suchte (Dramatische Dichtungen I) und im Faust die Stelle aufschlug, wo Faust das Gretchen erstmalig anspricht, um ihm seinen Arm und Geleit anzutragen. Das Ganze erschien ihm nicht sonderlich überzeugend, trotzdem legte er einen Zettel zwischen die Seiten, um sie am Morgen noch einmal genau zu studieren. Er trat zurück an den Schreibtisch und streckte neuerlich den Finger zur Dose — ratsch, ärgerlich: Da hatte ihm der gesägte Dosenrand einen halben Quadratzentimeter Fingerkuppe abrasiert. Einen Moment lang war Kress sehr zufrieden mit sich, weil es gar nicht blutete; dann aber füllte sich der Schnitt mit dunklem Rot, und mürrisch latschte er ins Bad, um die Wunde mit Klopapier zu verbinden.

 

 

 

25. April 2010
Martin Lechner

Auszug aus Martin Lechners Romanprojekt "Kleine Kassa"

 

Prüfend hob er eine Hand vor die Augen. Als hätte man ihm die britzelnden Enden eines Starkstromkabels in den Handballen gebohrt, so sehr zitterte sie. Er rupfte einen Kolben ab, prüfte, ob zwischen den Zahnreihen der Körner vielleicht ein Wurm oder Käfer untergetaucht war, und biss hinein. Bitter schmeckte der Mais. Mit weit geöffnetem Mund kaute er fünf oder sechs der gelben Biester weich und schluckte sie herunter, in der Hoffnung, dass sie die in seinem Magen laut knurrende Frage beruhigen würden, was Mama heute, an einem Samstagmittag, wohl aufgefahren hätte, Grünkohl vielleicht oder Kohlroulade oder Pfannkuchen mit Wirsing und zum Nachtisch ein Stückchen Bienenstich, vielleicht sogar mit Sahnehäubchen. Wahrscheinlich machte sie sich die verrücktesten Sorgen, glaubte womöglich, dass er Opfer eines Verbrechens geworden sei, eines Überfalls oder Angriffs, und jetzt in zuckenden, blubbernden Einzelteilen im Göhrdeforst verstreut war. Oder sie tobte, sie kochte vor Wut über all die Geschichten, die ihr Herr Spick, der soeben mit seinem wuchtigen Gesäß in ihre Couch gesunken war, auftischte, all diese Dämlichkeiten, die ihr Sohn sich im Geschäft herausnahm, all diese den gesamten Betrieb gefährdenden Lahmarschigkeiten, mit denen er, Spick, sie, die von Reizen übrigens keineswegs freie Frau Röhrs, bisher nicht habe belästigen wollen. Zumal er auch die Hoffnung, den Jungen auf Linie zu bringen, noch nicht aufgegeben habe. Oder Herr Spick war längst wieder fort und sie drückte das Gesicht ins Kissen, feucht aufschluchzend, weil er, Georg, ihr einziger Sohn, den lieben Herrn Spick so hinterfotzig ausgeraubt hatte, ach, seinen allerersten Chef, der ihm nicht allein eine Arbeit zur Verfügung gestellt hatte, sondern auch eine Wohnung, die noch dazu so günstig war, ein regelrechtes Geschenk, das noch dazu so nützlich war, eine erste schöne Lebensübung, denn in der eigenen Wohnung, da gibt es niemanden, der sich mit dir an die Aufgaben setzt, bloß, weil die zu öde sind, auch niemanden, der dein Zimmer durchpflügt, um irgendwelche Kataloge vorzugraben, irgendwelche Masken, Spiele, Filme, denn in deiner Wohnung, mein Junge, da bist du allein.

 

 

 

25. April 2010

Auszug aus Roger Künkels Erzählband "Heft Grün"

 

Es war kurz, Sekunden bloß, nach acht Uhr dreißig. Die großen Fenster des Botanischen Gartens, eingefasst in schwarzes Gusseisen, waren beschlagen. Tropfen rannen früh nach unten, Tropfen fielen mit Geräusch in den Tropenhallen voller grüner, großer Blätter. Die Luft war nass, durchstoßen von faserigen Palmen und aufgepfropften Epiphyten, von rottupfernen Bromelien und rosazarten Orchideen. Man hatte Kolibris eingesetzt, um kostbare Gesamtheit zu signalisieren. Der Lauscher hörte spitzohrig nur das leise Plätschern des kleinen Wasserfalls mit Goldfischen darin, kein Wind, nur Abgeschlossenheit und einen Schrei!

Die schwerfedrigen Türen des hohen Gewächshauses waren aufgesprungen, ein kühler, winterlicher Luftzug war flott eingedrungen, zwei Menschen folgend, eine verschwitzte Frau, im Tweed gehetzt von einem Manne. Sie rannten durch die Büsche, waren ganz allein, von niemandem betrachtet. Ihre spitzen Schreie gellten durch die Kuppel der Glashalle, er grunzte prähistorisch. Aber sie war schnell und entkam ihm knapp. Er erwischte Teile ihrer Kleidung, immer wieder, wobei ein jedes Mal ein hoher Quieks aus ihrem Munde fiel. So ging die zart taillierte Jacke zuerst in Fetzen, Stücke ihres Rockes fielen, auch weil sie sich damit unachtsam im Gestrüpp verfing. Und bald lief sie barfuß und in Spitzenwäsche auf braungesonnter Haut und voll von Angstschweiß vor ihm her, vor ihm, der sich im geschwinden Lauf selbst entkleiderte, gar hastig. Beim nächsten Klauengriff riss der Busenhalter, und ihre Brüste

wippten zwischen Palmen. Und bald war auch das Höschen fort, Po und Busch leuchteten unter Blumenblättern. Doch ihre Schreie störten nicht einmal die Fische. (...)