5. April 2010

„Jetzt sind wir alle Keynesianer“

 

„Animal Spirits“ blickt anders mit Keynes auf die ‚Krise’.

 

„Jetzt sind wir alle Keynesianer.“ So Milton Friedman, Keynes’ Antipode. George A. Akerlof und Robert J. Shiller, Berkeley und Yale, rufen dieses verblüffende Wort – es wurde vor 40 Jahren gesprochen – mit „Animal Spirits“ (2009) erneut auf, einem zwitterhaften, zwischen Populärwissenschaft und Manifest unorthodoxer Makroökonomie nicht einzuordnenden 250-Seiten-Band, der pünktlich, noch im selben Jahr, auch in Deutschland erschien – beim campus-Verlag, Frankfurt, der um ein in Farbgestalt wie Typografie vorzügliches Erscheinungsbild Sorge trägt. Es überragt die Qualität der Übersetzung bei Weitem: Ein Kollektiv dreier Damen hat immerhin verstanden, grobe Fehler zu vermeiden. (Mehr war, so scheint es, nicht gefordert.) Geschmeidiger Lesefluss kommt gleichwohl nicht zustande. Akerlof/Shillers Neigung, Hauptthesen gebetsmühlenhaft zu repetieren, trägt wenig zum Lesevergnügen bei.

 

Mehr als einmal erwecken diese Autoren den Eindruck, sie stellten die makroökonomische Theorie auf neue Grundlagen: Adam Smiths „klassische“ Marktwirtschaftslehre, durch Milton Friedman neoklassisch überformt, sei mit Keynes’ „General Theory“ des Jahres 1936 zum Anachronismus geworden. Heute bedürfe es der Neuauslegung Keynes’scher Schriften, weil deren Kern bis dato auch von Keynesianern nicht verstanden sei: An erster Stelle sei es Keynes nicht ums rechte Maß staatlicher Interventionen zu tun, stattdessen müssten animal spirits, nicht-rationale Impulse des Menschen, ins ökonomische Kalkül einbezogen werden. Der homo oeconomicus der Klassik müsse einer Generalrevision im Geiste Keynes’ und der Behavioral Economics unterzogen werden:

 

„Keynes räumte sehr wohl ein, dass ökonomisches Handeln großenteils von rationalen ökonomischen Motiven bestimmt wird, setzte dem aber entgegen, dass es häufig von Instinkten beeinflusst wird, den von ihm so genannten ‚Animal Spirits‘. […] Nach Keynes’ Auffassung sind die ‚Animal Spirits‘ die wichtigste Ursache für Schwankungen der Konjunktur und für unfreiwillige Arbeitslosigkeit. […] Während Adam Smiths unsichtbare Hand den Kerngedanken der klassischen Wirtschaftstheorie bildet, sind Keynes’ ‚Animal Spirits‘ der Kerngedanke eines abweichenden Modells der Wirtschaft – eines Modells, das die fundamentale Instabilität kapitalistischer Wirtschaftssysteme zu erklären vermag.“

 

Die Autoren geben deutlich zu verstehen, dass sie selbst es sind, die jenes Modell mithilfe Keynes’ zu entfalten gedenken. Ein hoher Anspruch, der – wenig überraschend – nicht eingelöst wird. Tatsächlich wird kein neues Modell dargeboten – auf 250 Seiten manifestartiger Prosa in Großdruck –, vielmehr das neoklassische neokeynesianisch modifiziert. Wer Bausteine fordert, nicht die komplette, statisch solide Architektur, wird „Animal Spirits“ dennoch wertvolle Anregungen entnehmen. So stellen Akerlof/Shiller in durchaus suggestiver Weise dar, welche menschliche Regungen Einfluss aufs Marktgeschehen nehmen, darunter Vertrauen und Fairness, List und Tücke, nicht zuletzt habituelle Prägungen durchs Erleben voraufgegangener Generationen. (Für den Fall Deutschlands wäre das Inflationstrauma des Jahres 1923 zu nennen.) Dieser erste Teil des Bandes nimmt rund 50 Seiten ein und wird, leicht übertreibend, als „Theorie der Animal Spirits“ deklariert.

 

Nun war fragliche Sicht auf die Dinge der Wirtschaft schon zu John Maynard Keynes’ Zeiten nicht ganz und gar originell. In der Nachfolge Max Webers – „Die protestantische Ethik und der ‚Geist‘ des Kapitalismus“ (1920) – sind allerlei Forschungen über emotionale Dispositionen angestellt worden, und jüngst haben Behavioral Economics Hochkonjunktur. Dennoch bleibt es ein Verdienst der Autoren, Ideen zu animal spirits gebündelt und aufs weltpolitische Geschehen angewendet zu haben. Aufmerksamkeit auch in den Feuilletons ist ihnen sicher: „Eines der besten Bücher zur Krise“ schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. (Dieses Zitat ziert den Umschlag.)

 

Der zweite Teil des Bandes stellt „acht Fragen“ und bietet „acht Antworten“. Auch hier fehlt ein theoretischer Rahmen. Akerlofs/Shillers Agenda schließt Armutsbekämpfung ein, konjunkturelle Schwankungen und solche der Aktienkurse, psychologische Gesetzmäßigkeiten des Sparens und die Unmöglichkeit, Vollbeschäftigung zu erzielen. Spätestens an dieser Stelle erweist sich, dass Akerlof/Shiller gemäßigte Linke – im amerikanischen Sprachgebrauch ‚liberals‘ – sind: Ob elementare Veränderungen der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung – z. B. durchs bedingungslose Grundeinkommen – möglich und wünschenswert sind, wird nicht diskutiert.

 

Eher am Rande kommt ein Sachverhalt in den Blick, der Keynes’ Insistieren auf animal spirits in einem anderen Lichte erscheinen lässt: Rationales Handeln wird massiv erschwert durch die Offenheit aller Zukunft. Weil Künftiges nicht verlässlich prognostiziert werden kann, steht jedes Kalkül der Nutzenmaximierung – die ökonomische Rationalität selber – auf tönernen Füßen. Das ‚Irrationale‘ ökonomischen Handelns drückt häufig mangelnde Information aus. Rationalitäts- sind Wissensdefizite, auch dort, wo menschelnde, ‚animalische‘ Erklärungen nahe liegen: Die Hausse entsteht, wenn einige Akteure Zuversicht schöpfen, mithin investieren, und andere folgen. Der Sturz geschieht, wenn einige, bald alle, Zuversicht einbüßen. Ein ‚Herdentrieb‘ braucht nicht bemüht zu werden, um solches Verhalten verstehbar zu machen – angesichts knapper Information ist es keineswegs irrational: Animal spirits kommen ins Spiel, wo Orientierungsdefizite des Verstandes kompensiert werden müssen. Wer konjunkturellen Achterbahnfahrten vorbeugen möchte, muss weder den ‚neuen‘, rationalen Menschen erfinden noch aussichtslose Versuche anstellen, grundständig ‚irrationales‘ Verhalten ökonomisch zu modellieren. Eher müsste Transparenz geschaffen werden, dergestalt, dass Finanzprodukte – samt riskanten Inhaltsstoffen – deutlich ausgezeichnet werden, nicht anders als Zigaretten und Feuerwerkskörper.

 

Was bleibt von Akerlof/Shillers „Animal Spirits“? Akademischen Kreisen mag es förderlich sein, mit der Nase auf Seiten Keynes’ gestoßen zu werden, die selten Beachtung finden. Dass Keynes im Kern als Wirtschaftspsychologe verstanden werden kann, ist keine Trivialität – zumal sich die Mehrheit der Wirtschaftswissenschaftler, auch im notorisch marktgläubigen Amerika, mehr oder minder keynesianisch begreift. (Dass die deutsche Volkswirtschaftslehre in staunenswerter Indolenz neoklassischen Dogmen verhaftet bleibt, gereicht ihr wahrlich nicht zur Ehre.) Welche methodischen Konsequenzen aus einer ‚psychologischen‘ Wende im Geist der Behavioral Economics zu ziehen wären, bleibt bei Akerlof/Shiller im Dunkeln: „Animal Spirits“ stellt sich als Ad-hoc-Manifest dar. Was das politische Gespräch betrifft, kann dieser Band unseren Wortschatz zum ‚Dritten Weg‘ wertvoll ergänzen – ein Jahrzehnt nach Anthony Giddens und unter deutlich veränderten Voraussetzungen: In den 90er Jahren war keine Rede von einer Legitimationskrise des Kapitalismus.

 

Der ‚freie‘ Markt gilt in der Gesamtschau auch Akerlof/Shiller als produktivste aller Wirtschaftsordnungen. Weil er animal spirits unterliegt, ist mit allerlei Verwerfungen zu rechnen, deren jüngste und vorerst spektakulärste „Finanzkrise“ heißt. Diese müssen – im Interesse der Bevölkerungsmehrheit – durch massive staatliche Eingriffe ausgeglichen werden. Hierin geht „Animal Spirits“ über gängige Konzepte des ‚Dritten Weges‘ und bürgerlich saturierter Sozialdemokratie hinaus: Es reicht nicht aus, für „Chancengleichheit“ durch „Bildung“ zu sorgen. Der Staat hat das Marktgeschehen zu reglementieren, und ‚Umverteilung‘ ist weniger anachronistisch, als ‚moderne‘ Linke das Wahlvolk glauben machen. Wie sichergestellt werden kann, dass ‚Vater Staat‘, solcherart expandierend, seine ‚Kinder‘, die Bürger, in Freiheit belässt – diese Frage bleibt offen.

 

 

Daniel Krause

 

George A. Akerlof, Robert J. Shiller: Animal Spirits. Wie Wirtschaft wirklich funktioniert. Frankfurt 2009. [Englische Originalausgabe: Animal Spirits. How human psychology drives the economy nad why it matters for global capitalism. Princeton 2009.]

 

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