28. März 2010

Hausmeister-Kunst

 

Natürlich gibt es in einem Buch, welches die »Pollerforschung« von Helmut Höge in ihrer Ausführlichkeit fasst, Dopplungen. Denn so Höge selbst: »Wir müssen jetzt nach vorne schauen«, was, wenn man den Zeitraum von 1989 –2010 so, also immer nach vorne schauend, betrachtet, eben spielend zu Dopplern führt, und was als Lebenstechnik auch bedeutet, dass man in diesem Buch keine Bibliografie findet, sondern nur einen Überflieger, in dem Höge berichtet, wann er ungefähr mit welchen Fragen beschäftigt war und mit wem er dabei zusammenarbeitete. Ein sehr heiterer Abschnitt des Buches, besonders weil man dieses sorglose Ungefähr in Bibliografien am wenigsten erwartet, in einem sonst auch sehr fein zu lesenden Band.

 

Es macht nämlich, noch einmal zu den Dopplern, wirklich nichts aus, wenn man alle 20 Seiten noch mal daran erinnert wird, dass die kleinen Pflastersteine, zumindest in Berlin, »Kreuzberger Argumente« heißen. Oder eben die Poller »Kreuzberger Penisse«, was den Sozialwissenschaftler Takashi Ota, Japaner, Lacanianer und Berliner aber eben bedenklich stimmt, da die Poller zum Signifikanten einer neuen Ordnung werden und der Phallus zum bloßen Pollersymbol.

 

Kurzum, der öffentliche Raum birst vor Aggression und auch Pollerfeindlichkeit. Dies alles vor allem, weil es keine Moral im Straßenverkehr gibt, sondern eben jetzt zunehmend abgepollerte Flächen, also Zwang. Wiederum in Kreuzberg werden die Poller, es sind extra für Kreuzberg verstärkte Poller der Firma Wellmann, dennoch auch anderen Zwecken zugeführt, so warnte »Radio 100« (Linkes Radio von 1987–1991) vor »Pollerflug«.

 

Wie dem auch sei, Höge begutachtet das gelinde, aber stete Verschwinden der Aufklärung zugunsten des Sachzwangs am Beispiel der Poller. Er landet umstandslos bei Günther Anders, der das prima Wortpaar der »invertierten Utopisten« erfand, ein Zustand, in dem wir uns seit geraumer Zeit befinden und der etwa bedeutet, dass wir de facto viel mehr herstellen, als wir uns mit unseren Hirnen ausdenken können.

 

So zum Beispiel elektronisch versenkbare Poller, die beim Widerauftauchen natürlich Schaden an der Ölwanne des verbotenerweise darüber preschenden Fahrzeugs verursachen. Wer ist schuld? Es gibt jetzt, um solche Vorkommnisse einzudämmen, zusätzliche Lichtanlagen, die vor dem Überfahren eines Versenkten Pollers warnen.

 

»Pollerforschung« erscheint zur rechten Zeit. Stadtplanung ist das Thema, an dem sich, vor allem in Hamburg, das Hirn zermartert wird. Und Höge bietet mit seinem Buch alle Gelassenheit auf, die solch quälende Zustände benötigen. 20 Jahre Expeditionen in den Alltag, »Kreuzberger Argumente« hin, staatliche Restriktionen her, Architekten, die in Berlin für Poller arbeiten, in Amsterdam aber zur selben Zeit ein Entpollerungsprogramm fahren, couragierte Einzelsubjekte, welche Poller nächtens entfernen und in den Landwehrkanal werfen, »drop sculptures« versus Vandalismus, Hausmeister gegen Kunsthistoriker, entzerren die Sicht auf die Dinge erheblich, nicht nur weil die kleinteilig zusammengetragenen Informationen Albernheiten von höchster Güteklasse bergen, sondern auch weil man – denn natürlich behauptet niemand, es würde besser – anhand der Pollerforschung erleuchtet werden kann, dass es sich jeweils um größere Zusammenhänge handelt, welche man auf keinen Fall mit kurzzeitigen Verstimmungen zwischen Ordungsämtern und Bürgern verwechseln sollte.

 

Wie eingewurzelt die Liebe zum Zwang ist, kann man aufs Allerschönste in den Hausmeisterkapiteln des Buchs studieren. Die Hausmeister-Kunst, ein weiterer Forschungsbereich Höges, eröffnet ein weites Feld der zwar in der Form sehr variablen, aber im Effekt stets auf Zwang abzielenden Gestaltung. Das Verfüllen von Plastikbottichen mit Erde oder Beton, ein Bäumchen oder besser noch eine Stange mit Haken dazu, um von dort etwa eine Kette zu spannen, gibt es allerorten zu bewundern. (Dieses Phänomen ist in westlichen Metropolen im Rückgang begriffen, da der Markt für Poller kapitalistisch erschlossen ist, aber ländliche Gegenden sind ein Hort dieser freien Gestaltungswut.) Wie viel zärtlicher Einfallsreichtum manifestiert sich in diesen Gebilden der »Verkehrsabweiser«, sie sind für den, der ein solches Ding herstellt, stets begleitet von intensiven Überlegungen, welche Dinge oder Personen man damit fernhalten will, eine höchst befriedigende Arbeit, sie hilft gegen das Gefühl der Wehrlosigkeit und der Angst, kann allerdings auch schief gehen, wie bei dem Hausmeister, der zuerst drei Poller in eine Rasenfläche pflockte, um Kinder vom Fußballspielen abzuhalten, um schließlich auf 24 zu erhöhen, ohne den gewünschten Erfolg.

 

Nora Sdun

 

Helmut Höge, Pollerforschung, Hg. Philipp Goll, Universität Siegen, Reihe „Massenmedien und Kommunikation“, 225 Seiten

 

www.universi.uni-siegen.de/katalog/reihen/muk/band179und180.html