7. November 2003

Metaphern und Dünkel

Die Grundkonstellation von Louis Begleys neuem Roman „Schiffbruch“ ist dieselbe, wie sie bereits in Anna Seghers´ „Transit“ zu lesen war: Ein Unbeteiligter bekommt bei Alkohol unerwartet eine lange Geschichte zu hören.

Es ist ausgesprochen ungeschickt, so oft und nachdrücklich auf andere Literatur zu verweisen, durch mühsam umgeformte Zitate oder gleich durch lobendes Erwähnen von Dickens, Flaubert oder Tolstoi. Man entwickelt eine starke Sehnsucht nach solchen Helden. Ohnehin fühlt man sich bei Begleys Erzähler andauernd an Tolstois Helden Wronskij aus „Anna Karenina“ erinnert.

 

John North ist ein glücklich mit einer Nierenspezialistin verheirateter Romane schreibender Karrierist, der sich von Zweifeln angenagt glaubt. Er fährt von New York nach Paris, um sich als Literat wichtig zu machen. Er ist auch wichtig, denn eine attraktive Journalistin von der „Vogue“ führt ein intensives Interview mit ihm. Nun ja, Ehebruch ist erblich, und Monsieur simply can’t resist. Als der unsympathische North diese Geschichte erzählt, ist alles schon ein paar Wochen her, und er ist sehr unglücklich, aber noch borniert genug, seinem Zuhörer Vorträge über Lebensart zu halten.

 

Apropos Lebensart, wussten Sie, dass, wenn man einen Schwanz ganz lang zieht, er von Frankreich bis nach Amerika reicht. Das ist dann natürlich eine recht angespannte Situation, und ich verrate nicht, an welchem Ende das Ding losschnalzt, um wieder in eine angemessenere Position zu kommen. Das ist dann der Schiffbruch. Ja, Metaphern sind was ganz Großartiges. Es gibt wirklich ein paar rätselhafte Stellungen in diesem Buch. Oder sind das auch Metaphern? Bei so einem Romancier kann man nie wissen. Wie hat man sich beispielsweise folgende Verrenkung vorzustellen: Man legt einen Arm um sie, um mit der freien Hand unter ihrem Rock zu fummeln und stößt dabei mit dem Arm (ich frage mich mit welchem) an eine frisch schönheitsoperierte Nase. Egal.

 

Was nicht egal ist, sind die meist französischen, auf jeden Fall kursiv gedruckten Bonmots, die verquasten Konnotationen durch die Vor- und Nachnamen der Beteiligten. Lea ist eben die weniger geliebte Frau Jakobs gewesen. Lydia, die Purpurhändlerin, „die praktische Vernunft“, der der Herr das Herz auftat. Oh ja, North weiß Bescheid, er liest Augustinus. Und nun wird flott vom Alten Testament zu den Griechischen Sagen gewechselt, zur fiebrigen Nymphe Daphne, an die sich North selber fiebernd und nach Griechenland reisend erinnert.

 

Die vorgebliche Beiläufigkeit, mit der einem diese Bildungskombinationen präsentiert werden. Der Dünkel der Tiefsinnigkeiten, die damit entwickelt werden. Die ganze langweilige Klugscheißerei, könnte einen wirklich ärgern, wenn man nicht sowieso schon die ganze Zeit an Wronskij dächte. Ahhh, dieser Typ, zum Verrücktwerden. Die Szene auf dem Rennplatz, wo er abgelenkt eine falsche Bewegung macht, sein schönes Pferd zu Schanden reitet.

 

Nora Sdun

 

Louis Begley. Schiffbruch. Roman. 279 Seiten, Suhrkamp 2003