23. Februar 2010

Politisierung des Pop-Diskurses

 

Mit dem Buch „Die Bundesrepublik Deutschland“, Nachfolger von „Plattenspieler“ (2004), intensivieren Frank Witzel, Klaus Walter und Thomas Meinecke einen linken Pop-Diskurs gegen Repräsentation und deutsche Nationalismen. Christopher Strunz, Jahrgang 1975, besprach mit Thomas Meinecke, Jahrgang 1955, und Klaus Theweleit, Jahrgang 1942, Themen und Stoffe des Textes. Ort: Cafélounge des Hebbel am Ufer, Berlin. Statt einer Buchbesprechung wiederholt der Text die Gesprächsform im Buch, um die angebotene Vielstimmigkeit im Pop-Diskurs methodisch fortzusetzen.

 

Christopher Strunz (CS): Die Ausgangsposition des Buches ist so ein bisschen dieses Generationsproduzieren, qua  1955.

Thomas Meinecke (TM): Ja, nicht wirklich, ganz am Anfang war es so, dass dieser Frank Witzel in Klaus Walter und mir zwei Leute gefunden hatte, die genauso alt sind wie er. Und damals wollte er mal so etwas machen, über diesen Jahrgang. Daraus kam aber im Endeffekt dieses erste Buch und die Idee, dass wir in dem Sinne ne Generation sind, teilt eigentlich keiner von uns dreien.

CS: Okay.

TM: Es ist einfach ein Stichpunkt, ein Zeitpunkt, im selben Jahr geboren zu sein. Dass einen sozusagen bestimmte Sachen aus ähnlicher Perspektive aber dann eben doch, wie man sieht, ganz unterschiedlicher Perspektive scannen lässt. Aber Generation, hat, glaube ich, keiner ein Interesse dran, zu definieren. Aber lustig, dass du sagst, mit der antideutschen Linie und so weiter, weil dieses Buch hat, glaube ich, wenig positive Worte sozusagen für den Komplex Deutschland.

CS: Ja.

TM: Und trotzdem ist es ja heutzutage oft schon so, dass, wenn überhaupt was mit dem Etikett kommt, dass es zum Beispiel über Deutschland geht, automatisch in die Nähe des nationalitätsstiftenden Diskurses schlittert.

CS: Ja, genau. Das kommt ja quasi schon...

TM: Wenn so‘n Buch so heißt.

CS: Wenn so‘n Buch so heißt, wie quasi klassische historische Abhandlungen über die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, die ja auch immer so ein identitäts-, deutschstiftendes Moment haben. Dieser Gesprächstext, diese Form: Ist das eine bewusste Entscheidung, eine Differenzmarkierung zu anderen Formen von Popgeschichtsschreibung oder auch Sozialgeschichtsschreibung? Ist das nur etwas, was es irgendwie lockerer macht oder ist es auch etwas Anderes? Ich finde ja, der Text hat so eine Coffeetabletauglichkeit, aber der ist echt nicht ohne.

TM: Ich glaube auch, da gibt es eben so einen Subtext, wenn drei Leute miteinander reden, von denen der einzelne Sprecher nichts weiß. Da kommt sozusagen was rum oder raus, bei dieser merkwürdigen protokollarischen Art, wie wir sie da pflegen, nämlich beim Abtippen nichts beschönigen oder zu korrigieren oder zu verifizieren. Es stimmt ja fast alles, würde ich fast sagen, gar nicht. Also die Jahreszahlen, Adenauer lebt, glaube ich, länger als Kurt Cobain, oder wann das Farbfernsehen eingeführt wurde oder wann was war, haben wir uns sozusagen ständig verbeten zu googeln. Wir haben uns die ganze Zeit im Vagen bewegt, im Vertrauen darauf, dass sozusagen irgendwie dieses Erinnerte ne eigene Qualität besitzt, die sozusagen auch in der Mündlichkeit noch mal besonders, in ihrer Unabgesichertheit, interessant werden kann. Dass da sozusagen eine höhere oder tiefere Wahrheit bei rumkommen kann, bei dieser Art. Die natürlich auch sehr unterhaltsam ist und in der Reproduktion, was wir machen, das wir das dann wieder so lesen, noch mal offenbart, was für’n bullshit man auch eigentlich die ganze Zeit redet, selbst dann, wenn man glaubt, man ist total knallhart am Punkt der Präzision schon angelangt. Und dieses Moment reizt uns, es ist halt ein schönes Nebenprojekt, was man machen kann. Ich würde jetzt nicht sagen, das ist die ultimative Form für Texte, wo es um Differenzierung geht. Da würde ich dann auch immer noch sagen: Nicht schlecht, alleine am Computer sitzen und mit sich das auszumachen oder zu präzisieren. Aber hier gibt es so eine eigene Qualität, finde ich. Dass man merkt, wie es auch durch einen durch spricht, also das Vorgefertigte, der Jargon, die Jives. Und dann merkt man eben im Dialogischen oder im Trio, wie sich das dann auch eventuell gar nicht halten lässt. Lauter Mutmaßungen schwirren da durch den Raum. Also, ich find’s ne ganz reizvolle Form.

CS: Ist es dann auch so eine Art Selbstverständigungstext von euch, als Autoren gewesen? Also so eine Art Positionsbestimmung, wo stehen wir eigentlich im Bezug auf diesen doch, aus einer linken Perspektive, problematischen Staat?

TM: Im gewissen Sinn schon. Aber es gibt natürlich ganz schreckliche Texte, die sich immer so nennen, wie Verständigungstexte.

CS: Ja, genau.

TM: Selbstverständnis auf diese Weise irgendwie rauszuarbeiten. Daran hat man wiederum auch nicht richtig Interesse, weil alle drei, keiner von uns ist jemand, der irgendwie im Mainstream des politischen Geschehens stünde. Es geht um Irritationen, es geht um Sichabsetzen und wie man damit überhaupt umgeht. Von daher ist es eben ein Buch, das große Probleme sozusagen mit diesem Land aufweist und wir wollten auch nie in diese Tri Top- oder Nutella-Falle tappen, das man qua Nostalgie praktisch, irgendwie Gemütlichkeit plötzlich aufkommen läßt. Der Nick-Hornby-Effekt, sozusagen. Naja, es gibt ja so viele Bücher, wo die sich erinnern, als sie noch klein waren, die jeweiligen, die das geschrieben haben. Die Tri Top-Flasche oder das Nutella-Glas dann, sozusagen, als so eine Art heimeliges Accessoire für, als alles noch einfacher war, die gute alte Bundesrepublik darstellt. Das machen ganz viele, die über solche Accessoires so etwas herstellen und die Gefahr ist immer groß. Der Nick Hornby lauert auch immer über dieses Sich-Vergewissern gemeinsam erlebten Popgeschehens.

CS: Das ist mir auch aufgefallen, sehr viele Namen, die ihr da nennt, kenne ich überhaupt nicht.

TM: Ja, klar.

CS: Und da kam ich mir ganz schön ungebildet vor, so, aber das ist einfach so.

TM: Es ist da wirklich kontaminierter Schrott, der da rumschwirrt. Man muss die Namen auch gar nicht unbedingt kennen. Aber das ist interessant, bei dem Buch, weiß ich auch nicht, ob man dann, - aber es geht natürlich bis in die Gegenwart -, das alles kennen muss. Eigentlich geht es um das Gefühl, wenn es so eine Art Generalthema gibt, ist es eigentlich die Kontinuität der Nazizeit, während wir schon dachten, unter Blumenkindern zu leben.

CS: Also, sozusagen, die Dekonstruktion der Stunde null, noch mal.

TM: Genau, oder gegen das ganze Bundesrepublikanische, wie unheimlich das eigentlich war. Und da trifft es sich, wie ich finde total toll mit Klaus Theweleits Texten. Jedenfalls, wenn man sich das anhört, wie er, teilweise auch, oder du kannst auch sagen, sehr autobiographisch an dem Aufwachsen in diesem merkwürdigen Staat Bundesrepublik, du bist natürlich um einiges älter, aber trotzdem, da sind ja Mutmaßungen in diesem Buch drin, über die Zeiten, die du schon bewusst erlebt hast, und die Mutmaßungen gehen in dieselbe Richtung wie das, was du beschreibst. Die Kontinuität eigentlich, des Totalitarismus unter dem Etikett „wir haben jetzt alle Demokratie“. Dies Buch geht nämlich damit los, dass es sich überlegt: Was ist das eigentlich, dieser Adenauer, der da seine Rosen gießt in Bad Godesberg?

Klaus Theweleit (KT): Als Vierzehnjährige wussten wir von Adenauer, dass er seine Rosen gießt und daß er witziger war, wenn man ihn mal im Radio hörte, dass er witziger war als ein Herr namens Ollenhauer. Deswegen zog man ihn als Nichtwähler diesem drögen Quasselkopf vor, dem mit dem berühmten Tausendwortschatz, worüber wir als Schüler gelacht haben. Es war eine Art Büttenrede, die Adenauer hielt, seine Politik machte er ja nicht öffentlich; was da lief mit der NATO und der Wiedervereinigung, das kam ja gar nicht an die Öffentlichkeit. Das erfuhren wir alles später. Öffentlich war das ein Witzereißer, ein rheinischer. Und wie die einen sich beschweren, gut, Wiederaufrüstung, da war man dagegen. Aber sonst nahm man diese Sphäre, ich rede jetzt von vierzehn, 1956, nicht wahr. Wir hatten in Musik gelebt! In Musik, Teil, bisschen Literatur, was anfing und in den von Musik ausgelösten und umwobenen Liebesgeschichten. Deswegen habe ich diese Rede immer, von den toten und stumpfen 50ern, kann ich absolut nicht nachvollziehen, weil es für uns genau das Gegenteil war. Es war ein ungeheuer lebendiges Jahrzehnt, wo man lauter anfing, andere Sachen zu machen als die Alten. Aber es tauchte auf Presseebene, Ostermarschierer und so weiter, da tauchte das nicht auf. Und die waren uns auch vollkommen Wurst.

TM: Aber wie komisch, dass wir, sozusagen als welche, die dann noch mal, also Mitte der 50er geboren wurden, als erstes auch, bei diesem komischen Bild, da steht einer in Bad Godesberg und schneidet Rosen, einsetzen. Und aufhören tut das Buch übrigens bei der Asbach Uralt-Werbung, wo man auch denkt, da ist einer in so einer Art Guido-Knopp-Farbigkeit gefilmt, weißt du, diese Braun-, Feuerbraun-, Gelbrottöne und schwenkt da so ein Cognacglas und sagt irgendwie, für uns Kinder auch völlig unverständlich: Wenn einem so viel Gutes widerfährt, dann ist das schon einen Asbach Uralt wert. Es ist sozusagen so ein gefühltes Bundesrepublik-Ding von irgendeiner Dumpfness, irgendeiner Guido-Knoppschen Exkulpationsszenerie, die aber vor unserem Leben sogar stattfand und trotzdem im kollektiven Gedächtnis da ist.

KT: Dazu gehört für mich natürlich, dass der Asbach Uralt, das ist natürlich Betrug, das ist ja kein Cognac, das ist ja Scheiße. Das haben doch damals nur Rentner getrunken oder die Kriegsversehrten, also, die nichts Besseres kannten.

TM: Eben, und die Rentner waren natürlich Leute, die Nazis gewesen waren und keinen Waschsalon abgekriegt haben.

KT: Klar. Oder keinen Kiosk für Asbach Uralt.

TM: Und so stellt sich das, heute kannst du das direkt in Guido Knopp reinmischen. Da sitzt ein alter Nazi und schwenkt das Ding, in diesen Braun-, Rot-, Gelbtönen und spricht beschwörende Worte, alles sei irgendwie gut, was ich als Kind echt unheimlich fand. Aber wahrscheinlich hat sich diese Werbung noch durchgesetzt, bis ich schon erwachsen war, ich weiß es gar nicht mehr.

CS: Da gab’s mehrere Werbungen. Das Produkt ist wahrscheinlich schon einige Jahre abgesetzt worden.

KT: Es steht ja noch am Flughafen rum. Asbach Uralt, die Flasche. Kostet weniger als ein Grand Whisky, der auch nur 9 Euro kostet.

TM: Nee, aber komischerweise, du hast jetzt zwar gesagt, dass es für dich diese Rock’n’Roll-Rebellion, die ja auch so toll abläuft, teilweise, also, mir hat neulich jemand erzählt, der bei den Schwabinger Krawallen dabei war, dass teilweise die auch gar nicht wussten, was sozusagen der Punkt ist. Aber plötzlich sind die aus dem Kino rausgegangen, in dem lief der schlappe, Rebel, nee, - wie hieß der Film mit Bill Haley? -, nicht Rebel without a cause, sondern Außer Rand und Band.

KT: Rock around the clock.

TM: Rock around the clock war das, genau. Und die Leute sind aus dem Kino gegangen und einer hat gesagt: Ich geh jetzt mal auf dem Kantstein mit einem Fuß und mit dem anderen Fuß gehe ich unten auf der Straße. Und dann haben das alle so gemacht, sind so gehumpelt, und sofort kam die Polizei mit Schlagstöcken, weil das war absolut nicht denkbar. Weil das entspricht eigentlich für dich, dem was du sagst: Ihr wart sozusagen Rock’n’Roll, aber ihr wart natürlich für die Macht lesbar dissident und sei es nur, dass ihr mit einem Bein auf dem Gehsteig gingt. Und da ist so was Vordiskursives.

KT: Mich hat später mal, zwanzig Jahre später mal, ein Freund, den ich aus der Schule kannte, angerufen und gefragt: Bist du immer noch Kommunist? Keine Ahnung, dass wir Kommunisten waren.

TM: Aber das ist doch total wirr. Wie unscharf, die ganze Geschichtsschreibung dann eigentlich. Alle fühlen irgendwie so was, wie das war, außer den ganz bösen, - wie heißen sie? -, Kraushaars und so. Die finde ich ja eben ganz Böse, die eben heute, sozusagen, die Gelegenheit ergreifen, praktisch juristisch, das aufzudecken.

KT: Ich hätte ja praktisch verstoßen, wenn ich mir das nur angehört hätte, Peter Kraus.

CS: Peter Kraus?

KT: Kennst du?

CS: Der Rock’n’Roll...

KT: Singt auf Deutsch. Badenwürttembergisches Englisch, die das im Leben nicht können. Aber wir haben mit Erwachsenen schlicht nicht geredet und das weiß die spätere Geschichtsschreibung nicht. Mit vierzehn war man so weit, die etwas entwickelteren Leute waren so weit, dass sie genügend von Judenvernichtung wussten, KZs. Dass das nicht die ganze Bevölkerungsbeteiligung war, war vollkommen klar, und von den Alten kriegte man das auch auf der Ebene gar nicht geleugnet, dass sie hier die Judenverfolgung wiederholten, in dem, was sie redeten. Alle auf der Ebene: Ja, bisschen schrecklich und Hitler hat das aber alles nicht gewusst, es waren praktisch viele. Aber dass sie weg sollten, war überhaupt keine Frage. Die ganze Generation der älteren Freunde. Und dann, wenn man bisschen nachhakte, wurden sie sauer, und dann fing man an, sich anzuschreien. Wenn man das ne Weile gemacht hatte, ließ man das bleiben. Man redete nur noch, ich hab bestimmt zehn Jahre lang nur mit gleichaltrigen Leuten geredet. Mit keiner erwachsenen Person, weder Eltern, noch...

CS: Aber das kenne ich auch noch aus den 80er Jahren, in denen ich Teenager war.

KT: Da kann sich das wiederholt haben.

 

Buchrezension www.textem.de/1975.0.html

Frank Witzel, Klaus Walter, Thomas Meinecke: Die Bundesrepublik Deutschland. Edition Nautilus: Hamburg 2009. 16 €