23. Februar 2010

60 Jahre BRD

 

Mit Die Bundesrepublik Deutschland, Nachfolgebuch von Plattenspieler (2004), regen Frank Witzel, Klaus Walter und Thomas Meinecke, im 60-Jahre-BRD-Gedenkjahr 2009, einen Pop-Diskurs gegen Repräsentation und deutschen Nationalismus an. 

 

Der Staat Bundesrepublik Deutschland steht in seinem Gründungsmythos für einen Bruch mit der totalitären deutschen Nazizeit, welcher im Alltag jedoch nicht stattgefunden hat. Aus antideutscher Sichtweise, gerade bei Lesern, welche durch Pop und Musik sozialisiert worden sind, klingt ein Buch, welches „Die Bundesrepublik Deutschland“ heißt, provokant. Im Unterschied zur anarchistischen Haltung ihrer Autoren könnte es Staatstreue versprechen. Das Autorenkollektiv Frank Witzel, Klaus Walter und Thomas Meinecke, alle drei Jahrgang 1955, unterläuft methodisch die Nationalisierung des Pop-Diskurses, indem es auf Vielstimmigkeit, geschichtliche Ungenauigkeit und das Projekt einer oral history setzt, welches Differenzen zum politischen Mainstream der realen Parteien produziert. Es ist weniger ein Projekt der geschichtlichen Verwirrung, als der Verunsicherung selbstverständlich gewordener Sprechweisen aus dem kollektiven Gedächtnis. Im Gespräch beschreibt Thomas Meinecke den Ansatz des Buches: „Wir haben uns die ganze Zeit im Vagen bewegt, im Vertrauen darauf, dass dieses Erinnerte eine eigene Qualität besitzt, die auch in der Mündlichkeit noch mal besonders, in ihrer Unabgesichertheit, interessant werden kann. Dass da eine höhere oder tiefere Wahrheit bei rumkommen kann, bei dieser Art. Die natürlich auch sehr unterhaltsam ist und in der Reproduktion, - was wir machen, das wir das dann wieder so lesen -, nochmal offenbart, was für einen Bullshit man auch die ganze Zeit redet; selbst dann, wenn man glaubt, man ist total knallhart am Punkt der Präzision angelangt.“

„Die Bundesrepublik Deutschland“ ist der Nachfolgeband von „Plattenspieler“, dem 2004 veröffentlichten Buch des Autorenkollektivs, in dem es in der gleichen schriftlichen Gesprächsform um eigene Sozialisation durch Musik und Politik ging. Abgesehen davon, dass die drei Autoren im gleichen Jahr geboren sind, 1955, teilen sie in ihren eigenen Geschichten intensive Auseinandersetzungen mit Pop und Musik. Daran geknüpft sind bei ihnen linke Haltungen; von Feminismus bis Anarchismus. Es handelt sich um die Haltung, welche eine Zeit lang Poplinke genannt wurde. Ausgehend von der absurden Annahme, dass Pop und die Linke eine Extrawurst im authentischen linken Diskurs sei.

„Die Bundesrepublik Deutschland“ verarbeitet Themen des vorausgehenden Buches „Plattenspieler“ weiter. Doch es werden keine schwarz-weiß reproduzierten Plattencover mehr am Rand des Gesprächstextes gezeigt. Die Sozialisation mit und durch Musik ist auch jetzt zentral im Ansatz des Textes, doch es gibt eine methodische Verschiebung: Vom „Plattenspieler“ als Werkzeug und im übertragenen Sinn Bezeichnung für eine Art der zitierenden Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte zum mündlichen Diskurs, der Differenzen im Bezug auf einen realen Staat produziert: „Die Bundesrepublik Deutschland“.

Das Anregende dieses Buches von einem Autorenkollektiv besteht darin, dass sie nicht das Gemütliche gemeinsam erlebten Popgeschehens aus eigenen Erinnerungen ausstellen, sondern selbstverständlich gewordene Sprechweisen im Bezug auf das typisch Bundesrepublikanische infrage stellen. Im Gedenkjahr 2009, - 60 Jahre BRD -, ist dieser Diskurs eine Arbeit der humorvollen Differenzmarkierung durch Ungenauigkeiten, welche sich dem normalen geschichtlichen Diskurs von Guido Knopp bis zu den bundesrepublikanischen Geschichtswissenschaften verweigern. Dieses Ungenaue im Bezug auf den repräsentativ geschichtlichen Diskurs, wie in wichtigen chronologischen Datierungen, ist selbst eine gute Pop-Methode, um die vermeintlich gesicherten Annahmen zu befragen: „FW: Ja, aber wann ist Adenauer gestorben? TM: Ganz hochbetagt. KW: Kurz nach Kurt Cobain.“ Abgesehen vom Witz, der darin besteht, die reale Chronologie zu verwirren, wird die Aufmerksamkeit der Leser auf die historisch wichtigen Projektionen gelenkt: Wie die Todesnachrichten historisch gewordener männlicher Persönlichkeiten erzählt werden. Das Nennen des ehemaligen CDU-Bundeskanzlers Konrad Adenauer entlarvt nicht die Sprechweisen um den Komplex „Kurt Cobain“ aus den 90er Jahren als konservativ; das tut Kim Gordon von Sonic Youth im Film „Last Days“ schärfer, als sie den Cobain Spielenden ein lebendes Rock-Klischee nennt. Es kommt darauf an, wie man diese Ungenauigkeiten als Differenzen liest. Das heißt, dieser Text regt als Intervention dazu an, die eigenen Geschichten in der Sozialisation mit Pop zu erzählen. In Differenz zur repräsentativen deutschen Geschichte.

Dieses Anregende kommt von der Form des Textes. In Buchform haben die mündlichen Gespräche der drei Autoren die Ernsthaftigkeit des alten Mediums Buch, so locker und witzig sie auch sind. Doch erst ihre Form, anders als in der Flüchtigkeit im Internet, Radio oder Fernsehen, stellt die Ernsthaftigkeit repräsentativer bundesdeutscher Geschichte infrage. Andere Sprechweisen sind möglich, sie können angeknüpft werden. Auf diese Möglichkeit im Pop-Diskurs zeigt der Text.

 

Christopher Strunz 

 

Frank Witzel, Klaus Walter, Thomas Meinecke: Die Bundesrepublik Deutschland. Edition Nautilus: Hamburg 2009. 16 €

 

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Interview mit Thomas Meinecke und Klaus Theweleit: www.textem.de/index.php