23. Februar 2010

Unorthodoxer Krieg

 

Die schwarzen Jubiläen: 2010 – 1990 – 1980

 

 

Vor zwanzig Jahre, 1990, wird publik, dass die Nato paramilitärische stay-behind-Gruppen („Gladio“) unterhielt und diese mit Vorliebe aus rechtsradikalen Milieus rekrutierte, denen nicht wenige Anschläge in den bleiernen siebziger Jahre Italiens, vielleicht auch in Deutschland, zugeschrieben werden. Nun setzt die italienische Zivilgesellschaft von jeher sehr wenig Vertrauen in die politische Klasse. Auch war der Leidensdruck der Zivilbevölkerung weit höher als nördlich der Alpen: Aufklärung über den terroristisch-politischen Komplex der siebziger Jahre hat seit 1990 vor allem in Italien stattgefunden – durch  staatsanwaltschaftliche Ermittlungen und Giulio Andreottis öffentliches Eingeständnis, das Gladio existierte.

 

Vor dreißig Jahren, 1980, hatte der Terror seinen Höhepunkt erreicht – und überschritten. Beim Anschlag auf den Hauptbahnhof von Bologna (2. August) starben 85 Menschen. Am 26. September, eine Woche vor den Bundestagswahlen, traf es das Münchner Oktoberfest: 13 Tote, 211 Verletzte, und Franz Joseph Strauß, Kanzlerkandidat der Unionsparteien, war rasch mit der Vermutung zur Stelle, dies sei das Werk jener Linksterroristen, vor denen die rote Bundesregierung die Deutschen nicht zu schützen verstünde. Diese Einschätzung war binnen Tagen widerlegt: Gundolf Köhler wurde posthum als Täter benannt, Student aus Tübingen und reich gesegnet mit Kontakten ins rechtsradikale Milieu. Köhler war Mitglied der ‚Wehrsportgruppe Hoffmann’ gewesen, die mit dem Anschlag freilich nichts zu schaffen hatte – so Bayerns Ermittlungsbehörden, die allerlei Indizien, die aufs Gegenteil hindeuten, nicht berücksichtigten: Sei es, weil Strauß und Co seit Jahr und Tag behauptet hatten, von rechtsradikalen Gruppen gehe keine Gefahr aus. Sei es – hier werden Parallelen zu Italien akut –, weil die Frage, woher der „Einzeltäter“ Sprengstoff und Zünder bezogen hatte, welch letzterer womöglich aus militärischen Beständen stammt, unterdrückt werden sollte. Der rührigste Waffenbeschaffer der rechtsradikalen Szene, Heinz Lembke, seinerseits mit der ‚Wehrsportgruppe’ verbunden, käme sehr wohl infrage. Nahe Lüneburg, in der wildromantischen Heide, hatte Lembke 33 Waffenlager angelegt –  beziehungsreiche Zahl –, aus denen er manche rechte Gruppierung versorgte. Der Verdacht, auch Köhler könne Material von Lembke bezogen haben, liegt nahe. Dieser starb nach Entdeckung der Lager in Haft – „Selbstmord“, so heißt es –, unmittelbar bevor ein Geständnis abgelegt und Hintermänner beim Namen genannt werden konnten.

 

Dergleichen Enthüllungen hätten gewaltigen Schaden auslösen können: Viel spricht dafür, dass Lembke Mitglied von Gladio war. Waffenlager à la Lembke waren in großer Zahl in westeuropäischen Staaten angelegt worden – Zurüstungen für den Partisanenkrieg gegen sowjetische Invasionsheere, möglicherweise für terroristische Aktivitäten im Frieden. Bei konsequenten Ermittlungen hätte sich ein aus Italien vertrautes Szenario – „Strategie der Spannung“ – darbieten können: Rechtsradikale verüben Terroranschläge gegen Zivilisten, mit Waffen aus Nato-Beständen. Ob solches in Deutschland geplant und gewünscht war – oder sich gleichsam durch Zufall ergab, weil einzelne Beteiligte den ‚Auftrag’ überinterpretierten oder Nato-Ressourcen für eigene Ziele zu nutzen begannen, stehe dahin: Die Verbindung mit rechtsradikalem Terror hätte ausgereicht, das Ansehen der Nato zu schädigen. Zwar gab es in Deutschland keine kommunistische Partei, die durch vorgeblich linken Terror hätte diskreditiert werden ‚müssen’, um ihr das Wahlvolk nach italienischer Art abspenstig zu machen. Eine Vertrauenskrise in Teilen der deutschen Bevölkerung gab es sehr wohl. Gewiss trat Helmut Schmidt für die Nachrüstung ein: Den Nato-Doppelbeschluss hatte er selbst angeregt. Aber der Widerstand reichte bis weit in die SPD. Nie hat die Bundesrepublik Demonstrationszüge von solchem Ausmaß erlebt wie Anfang der achtziger Jahre. Weniger Entspannungspolitik, weniger Friedensbewegung musste aus Nato-Sicht wünschenswert scheinen, und was in Italien recht war, konnte in Deutschland nur billig sein – zumal die „Strategie der Spannung“ durchaus erfolgreich gewesen war: Die Kommunistische Partei hatte, auch wegen linken, von rechts orchestrierten Terrors, an Rückhalt in der Bevölkerung verloren.

 

Im Jahre 2010 gibt es Grund zur Hoffnung: Jene Beamten, die in Geschehnisse ums Oktoberfestattentat und dessen ‚Aufklärung’ involviert sind, dürften peu à peu die Pensionsgrenze erreichen. Auch sollte die Öffentlichkeit, nachdem sich Deutschland vor einem Jahrzehnt unter die Krieg führenden Staaten eingereiht hat und Fragen militärischer Gewalt – zwischen Kosovo und Afghanistan – mit Leidenschaft diskutiert werden, über die nötige Abgeklärtheit verfügen, der es zur Aufklärung jener Zusammenhänge bedarf. Im Übrigen ist nicht zu ersehen, wie Deutschlands Staatsräson durch Nachforschungen solcher Art beschädigt werden könnte. Die moralische Überlegenheit gegenüber den Diktaturen des Ostblocks braucht nicht infrage gezogen zu werden. Es handelt sich darum, die für die USA längst eingebürgerte Erkenntnis, wonach sich Realpolitik, wenn nicht aller, so der meisten Mittel bedient, auf Deutschland zu übertragen.

 

Das Standardwerk bleibt Daniele Gansers NATO – Geheimarmeen in Europa (2008). Ulrich Chaussys Oktoberfest. Ein Attentat (1985) ist kurioserweise vergriffen, aber als Hörbuch erhältlich. Tobias von Heymanns Die Oktoberfest-Bombe. München, 26. September 1980, 2008 erschienen, ist von besonderem Interesse: Von Heymann wertet Stasi-Akten aus. Die DDR war naturgemäß interessiert, über stay-behind-Gruppen der Nato im Bilde zu sein. Dies erweist sich post festum als Segen: So konnte nachgewiesen werden, dass die ‚Wehrsportgruppe Hoffmann’ – nach altbewährtem Muster – mit verdeckten Ermittlern des Verfassungsschutzes infiltriert worden war. Auch sind Kontakte des Bundesnachrichtendiensts, der stay-behind-Aktivitäten in Deutschland zu koordinieren hatte, zu ‚dubiosen’ Milieus dokumentiert, darunter Funksprüche der Pullacher zu Aktivisten, denen aufgetragen wird, Waffenlager einzurichten – in der Lüneburger Heide. Im Juni 2009 haben die Grünen, wiewohl ergebnislos, eine parlamentarische Anfrage im Bundestag eingebracht. Ihr Gegenstand: Allerlei Ungereimtheiten beim Oktoberfestanschlag und mögliche Verbindungen zu Gladio, mithin zur Nato und zu den Diensten.

 

Wer online nachforschen will, sei auf eine der würdigsten Bastionen des Online-Journalismus, Telepolis, verwiesen:

 

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/31/31917/1.html

 

Regine Igel hat auf diesen Seiten eine Reihe von Artikeln publiziert, die ohne Paranoia, aber mit allumgreifendem Zweifel Italien und Deutschland unter (staats)terroristischem Aspekt miteinander vergleichen:

 

„Es zeigt sich immer deutlicher, dass die Maßnahmen, die im Terrorismus in den beiden Ländern geheimpolitisch durchgesetzt wurden, sehr ähnlich waren. Das hat 2001 sogar General Gianadelio Maletti, seinerzeit der 2. Mann des militärischen Geheimdienstes SISMI, vor Gericht eingeräumt, als er im Zusammenhang des vorletzten Prozesses zur Aufklärung des Bombenattentats an der Piazza Fontana zur ‚Strategie der Spannung’, also der ‚Stabilisierung durch Destabilisierung’, befragt wurde. In seiner Aufsehen erregenden Zeugenaussage, über die zwar keine deutschen, aber alle großen italienischen Medien berichteten, zeigte er sich darüber verbittert, ‚auch für andere bezahlen zu müssen’ und enthüllte, dass die CIA nicht nur in Italien, sondern auch in Deutschland die Aktivitäten rechtsextremer Gruppen koordinierte. Deutschland sei für die Strategie des ‚unorthodoxen Krieges’ sogar noch wichtiger als Italien gewesen.“

 

 

Daniel Krause