20. Januar 2010

Schon eine Kritik der Moderne

 

Schon eine Kritik der Moderne

Anders als später Jean-Paul Sartre hielt August Strindberg nicht viel von der Jugend. Wie soll man auch etwas schätzen, was nicht viel mehr ist als ein Sack, in den erst einmal alles Mögliche hineingestopft wird. „Hat die Jugend je etwas erfunden?“, fragt Strindberg ganz unpolemisch. Sie ist konservierend (noch in ihrer Kritik), sie imitiert, kurz: Sie ist vollständig unoriginell. Mit diesen Ohrfeigen beschließt Strindberg einen kurzen Aufsatz, der 1894 unter dem Titel „Qu’est-ce que le ,moderne’?“ erschienen ist. Der schwedische Autor, der selbst als moderner Schriftsteller gilt, lässt keinen Zweifel daran, was er selbst vom Etikett der Moderne hält, nämlich gar nichts.

 

Dabei beginnt dieser Aufsatz erst einmal ganz unverfänglich: „Die Moderne jeder Epoche ist die Art des Schaffens, die der Auffassungsgabe der Zeitgenossen am besten entspricht.“ Wie bereits Stendhal (wenn auch mit anderer Begrifflichkeit) fasst Strindberg die „Moderne“ formal, nicht inhaltlich (so wäre denn auch die Postmoderne eine Moderne). Und wie Stendhal (der in dem Aufsatz nicht erwähnt wird) versteht Strindberg den Fortgang der Geschichte vor allem im Begriff der Beschleunigung. Für den Menschen der „guten alten Zeit“ war nach Strindberg „richtig: Romane in sechs Bänden, Dramen in fünf Akten und sechsunddreißig Bildern, Gemälde, gemalt in sechs Monaten, nach der Natur.“ Ein paar Jahrzehnte später, in der Zeit der Elektrizität und des Telefons, erfährt die Bezugnahme eine Verknappung: „für uns die Telefonsprache, kurz, klar, korrekt!“ Strindberg wäre heute ein begeisterter Benutzer von Facebook und Twitter.

 

So scheint es jedenfalls. Denn in dem Moment, wo sich etwas allgemein durchzusetzen beginnt und der „Auffassungsgabe der Zeitgenossen am besten entspricht“, beginnt schon die Mode, und die Moderne in diesem Verständnis wäre nichts anderes als der faule siebte Tag der Schöpfung. Aus diesem Fatum ergibt sich die Verpflichtung zur Ruhelosigkeit und Nichtsesshaftigkeit. Der Aufsatz „Was ist die ,Moderne’?“ stellt sehr unterhaltsam das vielleicht exponierteste Exemplum dar, wie Strindberg sein Denken gegen den Strich bürstet. Gegen akademische Lehrmeinungen, und seien sie von Koryphäen wie Newton formuliert, gegen wissenschaftliche Modelle (zum Beispiel das Atommodell). Gleichwohl hat auch Strindberg seine Spezis, nämlich Haeckels Monismus und eine allseits waltende Korrespondenzlehre. So schnell, wie Strindberg fordert, kann man sich gar nicht abschaffen, um neu aus was auch immer aufzusteigen. Wenn also dieser Schwede kein moderner Mensch sein will, so ist er doch innovativ, und eine ganze Reihe von Überlegungen weist auf das 20. Jahrhundert voraus, so auf John Cages „präpariertes Klavier“, auf das sogenannte automatische Schreiben der Surrealisten, auf die Potenzialität des Prinzips Zufall sowie auf psychophysische Parallelismen, die auf Künstler wie Beuys abzielen könnten.

 

Die schönen Abbildungen, die man dem Band beigegeben hat, zeigen einen „anderen“ Strindberg, den Maler, den experimentierenden Fotografen (zum Beispiel mit Fotogrammen), den don-quichottesken Naturwissenschaftler. Vielleicht stimmt es ja, dass er kein begnadeter Techniker war und deshalb darauf verzichtete, Menschen zu malen. Dennoch, die meist relativ kleinen Gemälde Strindbergs (mit dem Messer, nicht mit dem Pinsel gemacht) sind im Grunde bereits klassische, nachmalig abstrakte Bilder. Für die er Zeit seines Lebens nur Spott erntete. Heute sind die Bilder, so sie überhaupt auf dem Markt auftauchen, nahezu unerschwinglich. Strindberg hat gerne scharf geschossen, das merkt man zum Beispiel bei seinen bissigen Ausführungen zum Thema „Hundeliebhaber“, „ein kleiner Despot, der immer an seine Oberhoheit erinnert sein und jede zweite Stunde am Tag Sklavengehorsam erleben möchte.“ Strindberg mochte keine Autoritäten. Er hielt es mehr mit der Transformationslehre der Alchimisten.

 

Das kann auch beim heutigen Leser durchaus verwirrende Effekte nach sich ziehen, aber vielleicht muss man erst alt werden, um die beruhigenden Sicherheitsventile der Jugend abzulegen. Der Band schließt mit einem sehr informativen Nachwort zu den verschiedenen Interessensgebieten dieses ruppigen Autodidakten, ohne aus ihm einen Säulenheiligen eben jener Moderne zu machen, die Strindberg selber am meisten verachtete.

 

Dieter Wenk (01-2010)

 

August Strindberg, Verwirrte Sinneseindrücke. Schriften zu Malerei, Fotografie und Naturwissenschaften. Mit einem Nachwort herausgegeben von Thomas Fechner-Smarsly. Aus dem Schwedischen und Französischen von Angelika Gundlach, Hamburg 2009 (Philo Fine Arts), Fundus 150

 

Dieter Wenk (01-2010)

 

August Strindberg, Verwirrte Sinneseindrücke. Schriften zu Malerei, Fotografie und Naturwissenschaften. Mit einem Nachwort herausgegeben von Thomas Fechner-Smarsly. Aus dem Schwedischen und Französischen von Angelika Gundlach, Hamburg 2009 (Philo Fine Arts), Fundus 150