5. November 2003

Der Geist der Jugend am Strand von Californien

 

Es handelt sich bei „Too much of nothing“ um den Debütroman von Michael Scott Moore, und der ist gelungen. Eric und Tom sind Freunde im imaginären Stadteil Calaveras von Los Angeles in der ersten Hälfte der achtziger Jahre. Eric ist gebildet und nachdenklich und hätte, wäre es nach dem Wunsch der Eltern der beiden Jungen gegangen, eigentlich eher so etwas wie ein großer Bruder mit gutem Einfluss auf seinen Freund sein sollen. Das Gegenteil tritt ein. Tom entwickelt im Laufe des Heranwachsens eine Vorliebe für Partys, Drogen und Ungesetzlichkeiten. Es geht also wieder einmal um die Jugendkultur, aber es geht auch um mehr. Die Freundschaft der beiden verstrickt sich in einem Machwerk aus Kokain, Rangstreitigkeiten und Illegalität. Sie sind gefangen in einem Netz aus Eifersucht, Freundschaft und Hass. Leider hat dieses Netz keinen doppelten Boden und wird Eric zum Verhängnis. Er stirbt auf dem Beifahrersitz eines gestohlenen Chryslers auf dem californischen Highway. Tom sitzt am Steuer.

 

Die Zohar ist das Kernstück der Kaballah, des jüdischen Mystizismus. Die Seele zerfällt der Zohar nach in drei Teile. Die Einteilung mag einen an die Psychoanalyse und Es, Ich und Über-Ich erinnern, jedoch sei man gewarnt, dass man nicht den gleichen Fehler wie der Autor begeht, für den er sich im Nachwort vorbeugend schon entschuldigt. Nefesh ist die nach dem Körper geformte Seele, fühlt Freud und Schmerz. Ruach ist der Geist, der auf der Seele ruht, zu urteilen zwischen Gut und Böse. Neshamah ist der heilige alles umschließende Teil der Seele, der mit dem Tod des Menschen hinauffährt zu dem Gott, von dem er geschickt wurde. Ruach verlässt den Körper in den irdischen Garten Eden und Nefesh schaut dem Verfall seiner organischen Überreste zu und wandert auf Erden umher. Wird der Neshamah der Aufstieg verweigert, so sind auch die anderen beiden Teile der Seele dazu verdammt, keine Ruhe zu finden. Für den Verlauf eines Jahres irrt der Nefesh dann als Geist ruhelos, getrieben auf Erden zwischen den ehemals seinen umher, um schließlich endlich vereint mit den höheren Seelenteilen zur Ruhe zu kommen und in die Ewigkeit einzugehen.

 

Zwar deutlich mehr als ein Jahr, nämlich fünfzehn Jahre nach seinem Tod (ein Umstand, der auch dem Erzähler etwas Unbehagen bereitet), beginnt Eric als Nefesh die Geschichte der Freundschaft während der letzten Monate vor seinem Tod zu erzählen. Von dem, wie alles anfing, wie Tom es zunächst nur auf die Playboyhefte vom Kolonialwarenhändler Mr. Bartholomew abgesehen hatte und später fast persönlich Geschäfte mit mittelamerikanischen Kokaingroßhändlern vollzieht. In der Spur der Adoleszenz geht es um Leitfiguren, Philosophie und Geschlechter.

 

Die Erzählperspektive des Geistes macht es möglich, nach dem Tode die Vergangenheit zu erzählen und ist somit für die Konstruktion der Geschichte glücklich. Ob es notwendig ist, den jüdischen Mystizismus in diese Geschichte einzubeziehen ist fragwürdig. Es bietet den Rahmen zur Reflexion, es entsteht keine zusätzliche Spannung. Insgesamt ist der Zugewinn relativ gering.

 

Moore unterscheidet sich von seinen popliterarischen Zeitgenossen dadurch, dass in seinem Roman Coolness und Gefühllosigkeit existieren, aber nicht im Vordergrund stehen. Die angesagte Großtadt ist die Kulisse der Geschichte, aber nicht Selbstzweck, noch weniger Mysterium. Streckenweise handelt es sich sogar um eine warme, einfühlsam erzählte Geschichte. Es wird keine kulturelle Szene oder gesellschaftliche Klasse beschrieben, sondern diese sind nur ein Teil des Einflusses auf den Wandel des Individuums, die Bildung seines Charakters und dessen Folgen. Es gibt nicht das eine Böse, was Tom schließlich zu dem werden lässt, was er am Ende der Geschichte ist, wie es vielleicht Erics Mutter in ihrer Trauerbewältigung glaubt. Sie gründet, vollkommen amerikanisch, eine professionelle Organisation zum Vorantrieb des Verbots von Gewalt in den Medien. Es ist eben nicht nur der Einfluss von Film, Musik, Freunden, Gesellschaft oder Elternhaus, was uns zu guten oder schlechten Menschen werden lässt, sondern eben auch wir selbst

 

„Too much of nothing“ erzählt von der tragischen Freundschaft zweier Jugendlicher am Strande von Californien, ohne mit jugendlicher Peinlichkeit zu dealen.

 

Tobias Else

 

„Too much of nothing“ von Michael Scott Moore, Carroll & Graf Publishers 2003