27. November 2009

Frère Jacques

 

 

Jemand musste Adolf H. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hatte, nannte man ihn Adolphe Jacob Hitler. Nichts Böses getan? Immerhin befindet man sich im Jahre 1924, und der sogenannte Hitler-Putsch, mit dem sich A.J.H. in die Illegalität begab, liegt gerade mal ein Jahr zurück. Wenn aber auch keine Verleumdung vorliegt, wie kam es dann zu diesem kuriosen Namen?

 

Wie erst jetzt bekannt wurde (vgl. Le Monde vom 20.11.2009, S. 20, „Genre fasciste“, Thomas Wieder), hatte der damalige französische Geheimdienst (Service de sûreté) eine Akte zu Hitler angelegt, der darin inoffiziell „der deutsche Mussolini“ genannt wird. In dieser Akte, die ein paar Angaben zur Person und einige Bewertungen sowie ein Foto Hitlers enthält, finden sich einige abenteuerliche Daten. Ganz oben an der Schnittkante etwa Geburtsort und Geburtsdatum Hitlers: „né en 1880 à Passau“. Legt man diesen Ort zugrunde, kann an in der Tat von einem „deutschen“ Mussolini sprechen. Aber natürlich wurde Hitler in Braunau am Inn in unmittelbarer Nähe zur deutschen Grenze geboren (In Le Monde wird aus Passau immerhin „Braunauam-Inn“).

 

Etwas ungenau ist auch das Geburtsdatum, denn Hitler wurde 1889 geboren. Als Vornamen werden wie schon gesagt „Adolphe, Jacob“ angegeben. Dass in Frankreich aus Adolf Adolphe wird ist geschenkt. Mit Jacob hat es aber eine eigene Bewandtnis. Vermutlich hatte der Geheimdienst Wind davon bekommen, dass einem Gerücht zufolge Hitler jüdischen Wurzeln entstammte (was sich später als unbegründet erwies; etwas später hatte der Dichter Gottfried Benn sich gegen den Vorwurf zu wehren, dass er seinen Nachnamen arisiert habe: nämlich aus „Ben“ Benn“ gemacht zu haben).

 

Ein weiterer Schnitzer gelang dem Service mit der Angabe der „Profession“: Hitler war angeblich Journalist. Maßgeblich war wohl hier, dass man Hitler nicht ganz zu Unrecht mit dem „Völkischen Beobachter“ in Verbindung brachte, den die Nationalsozialisten 1920, im Jahr ihrer Gründung, aufgekauft hatten. Die Wertungen sind, zumindest angesichts dieser Akte, zuverlässiger als die „Fakten“: Man gesteht Hitler zu, „kein Dummkopf“, „sondern ein sehr geschickter Dämagoge zu sein“. Andererseits heißt es aber auch, dass sein „versuchter Staatsstreich am 8. November 1923 geben die bayrische Regierung kläglich gescheitert“ sei. Überdies sei Hitler nur ein „Instrument höherer Mächte“ (das sahen John Heartfield und die Kommunisten genauso, womit sie sich täuschten).

 

Viel mehr gibt es auf dieser „fiche“ nicht zu lesen. Aber es gibt noch etwas zu sehen, abgesehen von Hitlers Foto: ein Hakenkreuz, vermutlich das erste, das der betreffende Angestellte oder Beamte in seinem Leben auf ein Blatt Papier auftrug, denn es sieht fast so aus, als hätte sich Cy Twombly einen Spaß erlaubt. Darf man vermuten, dass weiteres Archivmaterial zum späteren Kanzler der Deutschen gefunden wird? Die französischen „Archives nationales“ sind sehr umfangreich, und vielleicht vermag Isabelle Neuschwander, die Direktorin, den Anstoß zu geben für einen weiteren erheiternden Artikel.

 

Dieter Wenk (11-09)