4. November 2003

Gebrauch der Jugend

Jugend ist nicht Langeweile, ganz im Gegenteil, es ist das Widerstreben selbiger. Es ist nicht per se Nihilismus, der die Jugend reitet, sondern sie hat die Zügel selbst in der Hand und steuert auf das zu, was den langweiligen Rest ihres Lebens bestimmen wird. Glücklicherweise lässt Nelson den Leser die Ankunft der Reise nicht miterleben. Meist ist alles danach ja so oder so banal. Aber das was davor liegt, ist wild, unerbärmlich, besessen und bleibt für alle das, wonach sie sich ein Leben lang immer wieder sehnen werden.

Mitch Smith lebt in Portland, geht Gelegenheitsjobs nach, hat Freunde und einen besonders guten Freund Namens Stuart, seine Eltern wohnen unweit entfernt und er verliebt sich. Letzteres ist nicht ganz richtig, es gibt da vielmehr einige junge Damen in seinem Leben, aber eine, Amy, hat alles, was eine große Liebe braucht. Nur Mitch besitzt noch nicht das richtige Gespür dafür, aber wer weiß, was die Zukunft noch bringt. Abgesehen von der expliziten Beschreibung der jugendlichen Partnerschaft geht es in diesem Buch um Techno, Drogen und Partys.

 

Von einer Party zur anderen und vom Billardschuppen zum Striplokal und von der Technodisco in die kurzweilige Zweisamkeit lässt Nelson den Leser an Mitchs Leben teilhaben. In einer wunderbaren Authenzität, der es Spaß macht zu folgen, wohin es auch geht. Es wird Butthole Surfes „Hurdy Gurdy Man“ über Trip Hop gesampelt. Es wird Sexualität über noch nicht bewusst fassbare, reine Liebe gesampelt. Realistisch auch die Nahrung, man arbeitet in einem Naturkostladen und ernährt sich von Fastfood. Man gebraucht und wird gebraucht.

 

Fragt man sich nach der Lektüre, was eigentlich passiert ist, dann ist im Grunde nur Mitchs Großmutter gestorben. Und an diesem Punkt kondensiert als Einziges Sentimentalität und Emotion. Dinge, die sonst sehr angenehm aus der Geschichte herausgehalten und stattdessen durch Geschwindigkeit ersetzt werden. Mitchs Großmutter schenkte einst dem Jungen die Beastie-Boys-LP „License to ill“, ein wahrer Brückenschlag zwischen Jugend und Alter. Leider fällt Mitch das erst posthum auf, aber er hat dabei gelernt, ist vielleicht einen kleinen Schritt weiter. Seiner „Freundin“ Amy wäre es zu wünschen. Weisheit ist keine Eigenschaft der Jugend.

 

Nelson gibt uns einen Ausschnitt aus dem Leben draufgängerischer Jugendlicher, ohne ihnen zwangsläufig eine Geschichte aufzudrängen. Und so zeichnet sich alles, was in Zusammenschau einer möglichen Vergangenheit und Zukunft einen Wendepunkt oder eine Landmarke in Bezug auf ihr Leben darstellen könnte, nur ganz seicht und matt ab. Am Ende sitzen alle immer noch im selben Boot und das ist gut so, denn warum müssen immer in allen vermeintlich großen Werken Schiffe sinken oder Sinkende gerettet werden. In dem Buchladen meiner Heimatstadt stand immer eine kleine Spendendose für die Rettung Schiffbrüchiger, eine Hilfe, die die Jugend nicht braucht.

 

Tobias Else

 

 

 

„User“ von Blake Nelson, Versus Press 2001