23. September 2009

Der Fluch Alteuropas

 

Mit einiger Verspätung ist dieses bereits 1981 in New York unter dem viel hoffnungsvolleren Titel „From Bauhaus to our house“ veröffentlichte Pamphlet auf Deutsch erschienen, in der Übersetzung von Harry Rowohlt. Etwas Schicksalhaftes geht von dem deutschen Titel aus, ja, er liest sich wie ein Fluch. Das Bauhaus ist nun mal da, jetzt heißt es nur noch, irgendwie damit klar zu kommen. Aber wie lebt es sich im Bauhaus? Mehr schlecht als recht, bedenkt man, dass es sich nach Tom Wolfe um nichts anderes handelt als um ein groß angelegtes Projekt Sozialen Wohnungsbaus! Im Einzelnen heißt das: kleine Zimmer, enge Flure, niedrige Decken. Des Weiteren verzichtet man auf jeden Schnickschnack, kein Stuck, keine Farbe, nur die Essenz selber des Wohnens: die eigenen vier Wände, und vielleicht ein paar mehr.

 

Der aus der Schweiz stammende Architekt Le Corbusier hat sich mit solchem Reduktionismus unsterblich gemacht. Aufbauend auf den Ideen der „Weißen Götter“ aus Weimar, ab 1926 aus Dessau, also Walter Gropius, Mies van der Rohe et al. Erstaunlicherweise gab es am Bauhaus erst ab 1927 eine eigene Architekturklasse. Und zwar mit Herrn Meyer, ebenfalls aus der Schweiz und mit sehr kompromisslosen Vorstellungen, was den sozialen Fortschritt mittels Architektur anbetraf. Architektur als Erlösungsmaschine. Das hört man auch heute immer noch. Es ist der alte Glaube, etwas (alles) aus einem Punk kurieren zu können. Das nennt man klassischerweise Selbstüberschätzung.

 

Tom Wolfe legt in seinem sehr lustig zu lesenden Buch den Schwerpunkt auf den imperialistischen Aspekt der Bauhaus-Architektur. Wolfe dreht den Spieß erfrischenderweise einfach mal um. Was man nicht ganz zu Unrecht als intellektuelle und künstlerische Auszehrung Europas (Deutschlands) nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten nennen kann, ist ja meist als Profit gutgeschrieben worden für die Länder, die die Arme offen hielten für die Flüchtlinge, und das waren vor allem die USA. Ein unerwarteter kultureller Segen. Von wegen, so Tom Wolfe: Alteuropas Lasten schwappten über den Ozean: Nicht nur das Bauhaus wuchs in Chicago als „New Bauhaus“ in Richtung „Kathedrale des Sozialismus“, auch die Psychologen bekamen die „Pest“ der Psychoanalyse mitgebracht (nach der Inkubationszeit, die durch Freuds Besuch in den USA ihren Anfang nahm), auch musikalisch brachte Europa schwerstes Geschütz mit in Form von Arnold Schönbergs „Dodekaphonie“. Nicht zu sprechen von der Malerei, die die Amerikaner infizierte und vorbereitete für die künstlerische Machtübernahme nach dem Zweiten Weltkrieg.

 

Und all das lastete, so Tom Wolfe. Man bekam es nicht mehr los. Gefallen hat es niemandem, aber die Weißen Götter hatten freie Bahn, ihre Spuren zu legen und für Nachkommenschaften zu sorgen. Hören wir zum Schluss Tom Wolfes Klage: „Kurz: der herrschende Architektur-Stil in diesem, dem Babylon des Kapitalismus [Amerika] wurde der Soziale Wohnungsbau. Sozialer Wohnungsbau, wie er von einer Handvoll Architekten in den Verbünden inmitten der Trümmer Europas in den frühen Zwanziger Jahren entwickelt worden war, wurde nun hoch und breit aufgetürmt, in Form von Kunstgalerie-Anbauten, für altehrwürdige Ivy-League-Universitäten, Museen für Kunstmäzene, Eigentumswohnungen für die Reichen, Firmensitzen, Rathäusern, Landhäusern. Arbeiterwohnungsbau für jeden Zweck, außer für Arbeiter zum Wohnen.“

 

Irgendwann kam dann natürlich die Postmoderne. Aber baut die Postmoderne „unsere Häuser“?

 

Dieter Wenk (09-09)

 

Tom Wolfe, Mit dem Bauhaus leben, „From Bauhaus to our House“, aus dem Amerikanischen von Harry Rowohlt, Hamburg 2007 (Philo & Philo Fine Arts)