18. September 2009

Mikrodramen

 

Die Faxen fangen schon auf dem Schutzumschlag an, hinten posaunt der Verlag: »Nach dem Sensationserfolg Das Wetter vor 15 Jahren ein neuer Brenner-Roman«.

Sollte da nicht besser stehen »Tot Geglaubte leben länger«? Oder wenigstens statt »Sensationserfolg«, »Verblüffungstat«? Denn schließlich war es doch angeblich vorbei mit Brenner ... aber nein und gottlob!

 

Hinter einer Tafel Schokolade verbirgt sich eine Jauchegrube, und es ist wie immer, wie in allen Brenner-Romanen, ein Krimi im Hauskleid, ein Tratschnachmittag mit sieben Toten, ein unbeschreibliches Lästern und Faxentreiben im Hohlweg einer Kriminalgeschichte. Denn viel wichtiger als die Ermittlung sind die Beschreibungen eines Alimente zahlenden Polizisten, der mächtig Schlag bei immer neuen Frauen hat, sogar bei der Psychologin einer Abtreibungsklinik. Die Schilderungen der Säufergespräche an einer Tankstelle, in deren direkter Nachbarschaft eine Nudeln kochende Südtirolerin mit sehr vielen Zimmerpflanzen wohnt. Die mafiösen Strukturen von Stadtplanung und die Feststellung, dass man angesichts der luxussanierten Almhütten den Spruch »Friede den Hütten, Krieg den Palästen« bei Zeiten aktualisieren sollte. Der Brenner kommt auf solche Überlegungen, weil sich der Blick in die Ferne aufs Gedankliche auswirkt. Und dazu passt, dass man gefesselt und mit verbundenen Augen nicht gut auf die Faktenlage schauen kann. Aber bestimmte Dinge bleiben ganz klar, eine Spielzeugpistole, die ausschaut wie eine echte ist nicht besser, sondern schlimmer als Nichts. Mikrodramen prasseln auf des Lesers Fontanelle.

 

Nora Sdun

 

Wolf Haas: Der Brenner und der liebe Gott, 224 Seiten, Hoffmann und Campe 2009

 

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