3. September 2009

Institutionenkritik

 

Von den mittlerweile circa 140 Kunst-Biennalen, die es weltweit gibt, ist ihr aller Modell, die „Biennale di Venezia“, die 1895 zum ersten Mal veranstaltet wurde, nach wie vor die bekannteste und wichtigste. In Venedig ausstellen und sterben – so könnte eine Künstlerdevise lauten. Aber leider macht auch Venedig nicht unsterblich. Das zeigt sich unter anderem an dem erstaunlich schwachen geschichtlichen Aufarbeitungsimpetus, der sich einem heutigen Historiografen zeigt. Und das ist eigentlich sehr schade, denn wenn man die 13 Kapitel dieses im Untertitel etwas hochtrabend „Eine Geschichte des 20. Jahrhunderts“ genannten Überblicks über die Biennale von Venedig liest, so bekommt man Hunger auf mehr, und man möchte Robert Fleck dringend auffordern, auch noch über die ausstehenden 40 Biennalen zu schreiben.

 

Das Schöne an dem Buch ist, dass man überall einsteigen kann. Fleck beginnt auch nicht brav mit Giacomo Grossos Skandalauftritt aus dem Jahr 1895, sondern mit dem Skandalauftritt von Maurizio Cattelan aus dem Jahr 2001. Als ob sich seit den Anfängen nicht viel geändert hätte. Als ob sich Kunst mit Event nicht erst seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts reimen würde. Hatte man nicht 1851 die erste Weltausstellung gefeiert? Konnte man dem doch ziemlich provinziell gewordenen Venedig durch eine Kunst-Weltausstellung ein wenig auf die Beine helfen? Man konnte.

 

Bereits 1895 kamen über 200.000 Gäste aus aller Welt. Viel mehr sind es heute auch nicht. Vielleicht gibt es heutzutage ein paar mehr akkreditierte Journalisten (2001 waren es 3000!), aber ein Spektakel hatte man bereits 1895 gefeiert, und das hatte man vor allem der Ankündigung zu verdanken, dass ein Bild gezeigt werden sollte, auf dem man sechs junge reiche Menschen bei einer Orgie bestaunen könne. Die Kirche versuchte zu intervenieren (es sollte nicht das letzte Mal gewesen sein, dass sie blockieren wollte), aber die Biennale, die keine staatliche, galeristische oder sonstige kommerzielle Veranstaltung war, konnte diese Attacke auf den Schultern von zahlreichen Künstlervereinigungen als eigentlichen Veranstaltern abfedern. Heute kennt niemand mehr Giacomo Grossos „Supremo convegno“ (zumindest im Original, es ging bei einem Kaufhausbrand in Flammen auf), aber eine wichtige Struktur solcher Großveranstaltungen zieht sich bis heute durch, und das ist die Fähigkeit, etwas aus fast nichts zu machen.

 

Auf dieses gewissermaßen akustische Signal macht Robert Fleck sehr schön aufmerksam, wenn er eine ganze Reihe seiner den wichtigeren Biennalen aus der Zeit von 1895 bis heute gewidmeten Kapiteln mit einem nur leicht variierten Satz beginnen lässt, der die Einstimmung auf das kommende Ereignis deklariert: „Die Besucher kannten die Skulptur längst, als sie die Ausstellung betraten.“ (Auftakt zu Cattelans „La Nona Ora“, eine Skulptur, die den von einem Meteor getroffenen Papst Johannes Paul II. zeigt.) „Die Besucher kannten das Gemälde längst, als sie die Ausstellung betraten.“ (Grossos „Supremo convegno“) “Die Besucher der Eröffnungstage wussten über die Großen Preise längst Bescheid, als sie die Giardini betraten…” (Dies ist der erste Satz des fiktiven Kapitels zur Biennale von 2009: Man sieht, hier schreibt nicht nur ein Historiograf, sondern auch ein Humorist, der Kritik nicht mit dem dem In-Anschlag-bringen einer Kettensäge verwechselt.)

 

Trotzdem kann man auch sagen, dass die Biennale in anderer Hinsicht ihr Gesicht gewechselt hat. Waren zu Beginn gerade mal zwei Kontinente in Auswahl anwesend (Europa + USA), so sind im 21. Jahrhundert nun wirklich alle fünf Kontinente dort versammelt, 2001 zum ersten Mal, 2007 hatte Afrika zum ersten Mal einen eigenen Pavillon. Man hatte es übrigens den Belgiern zu verdanken, dass die Idee eines Nationalpavillons aufkam, sie wollten sich nicht länger von den Venezianer bevormunden lassen und ließen einen eigenen Bau für die Schau bauen. Andere zogen nach. Natürlich spiegeln sich die politischen Verhältnisse sehr deutlich in den Ausstellungssituationen der Biennale.

 

Die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts standen im Zeichen einer „Faschistischen Internationale“, und es war ja auch der Faschismus, der der Biennale ihren heute geläufigen Titel gegeben hat. 1942 wurde aus der Nationenschau eine Spartenschau in Sachen Kriegsführung: „Der vormalige französische Pavillon war nun der ,Pavillon der Luftwaffe’, der britische der ,Pavillon des Königlichen Heers’ und der US-amerikanische der ,Pavillon der Marine’. Nicht nur die ausgestellten Künstler waren italienische Soldaten der jeweiligen Waffengattungen, auch die Ausstellungsaufsicht in den Pavillons oblag den Waffengattungen.“ Die in den Augen des Autors wichtigste Biennale überhaupt fand direkt nach dem Zweiten Weltkrieg 1948 statt, noch ohne deutsche Beteiligung (es gab ja noch keine(n) deutschen Staat(en)), im 1938 neugebauten deutschen Pavillon fand 1948 eine Impressionistenschau statt.

 

Aber der eigentliche Hammer war der griechische Pavillon, in dem Peggy Guggenheim ihre Sammlung präsentierte. „Die Schau war die erste enzyklopädische Ausstellung der modernen Kunst des 20. Jahrhunderts in Europa. Sie eröffnete die Vorstellungswelt der modernen Kunst, in der wir uns seither bewegen.“ Auf gerade mal 220 Seiten hat Robert Fleck es vermocht, eine der spannendsten und interessantesten Geschichten des 20. Jahrhunderts zu schreiben. Es lohnt sich, in die Schule Klabunds zu gehen.

 

Dieter Wenk (08-09)

 

Robert Fleck: Die Biennale von Venedig. Eine Geschichte des 20. Jahrhunderts, Hamburg 2009 (Philo Fine Arts, Fundus 177)

 

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