11. August 2009

Ein Brief an Franzobel

 

Lieber Franzobel,

 

nicht, weil wir ein Tauschgeschäft mit Blut besiegelt hätten und dabei eine Seele den Besitzer gewechselt hätte, sondern aus dem archaischen Grund, dass wir schlicht zwei Gegenstände ohne Vertragswerk und Tricks tauschten, sitze ich nun hier und schreibe dir. Eigentlich handelt es sich doch nicht nur um Materie (über die du dich in deinem Roman so herrlich auslässt), sondern um Ideen, die aber auch wieder Materie sind oder in Materie transformiert werden. Da kann dann ein Buch sichtbar werden, oder auch ein Film, ein Bild, ein Skalpell, in manchen Fällen auch eine Atombombe. In unserem speziellen Fall aber waren es nur, und im Antlitz des Atompilzes, der nicht einfach wegzupflücken wäre, muss man das betonen, Bücher, die über den Postweg sich kreuzten, ohne sich zu bemerken.

Wir tauschten also unsere Bücher. Du wurdest auf die Spur von „Keine Spuren“ gesetzt, während ich mich einer „Liebesgeschichte“ aussetzen sollte. Hab ich getan. War ein braver Bursche. Wollte es ja auch so. Ich hoffe, du willst auch noch, wenn du dies alles hier gelesen hast. Aber schlimm wird es nicht, soviel sei schon verraten. Aber das Schlimme haust ja meist im Auge des Betrachters und was dem einen schlimm scheint, ist für den anderen eine Wohltat. Man befrage da nur so manchen Besucher einer eifrig-strengen Domina, die sich züchtig züchtigend des schwierigen Falls des Herrn Bischof erbarmt, der doch ansonsten ebenso wie sie, so züchtig züchtigend von der Kanzel seine Lämmer ermahnt, ja nicht der Sünde zu verfallen. Ansonsten, so schockt er die Zuschauer, verfällt recht rasch der wahre Glaube wie auch der Körper, der sich bald zuckend in einem Rollstuhl wieder finden wird. Man kann nur an die vielen Fälle von hemmungsloser Masturbation erinnern, die noch in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts Millionen in den Rollstuhl brachten. Beflügelte zwar die Kassen der herstellenden Firmen von Rollstühlen, nicht aber die Engel im Himmel, die sich ob dieser Abscheulichkeiten rasch vom Menschengeschlecht abwandten. Kein Wunder also, dass es mit uns bergab ging.

Irgendwie und irgendwo habe ich den Faden verloren. Nicht in einem Labyrinth, sondern in dem jetzigen Moment vor dem Computer, den du so gar nicht erleben kannst. Verpasst auch nichts, weil das ein eher scheußliches Bild abgibt. Der Rohm mit kurzer Hose und nach Zigarettenqualm stinkend, der sich in die nächste Wortohnmächtigkeit hineinschreibt. Eine Rezension wollte er doch eigentlich schreiben, der Rohm, und nun ist noch nicht mal bei deinem Roman gelandet. Wo soll das mit dem Rohm noch enden? Fragten meine Eltern sich nie offiziell, aber vielleicht in so manch ruhiger Minute vor dem Schlaf, der sich nicht einstellen wollte, weil der Herr Sohn wieder mal bis in die frühen Morgenstunden unterwegs war.

Leider habe ich schon wieder den Einstieg in die Rezension verpasst. Was soll ich also machen? Aussteigen? Da bin ich zu alt für. Zumindest fühle ich mich zu alt dafür.

Das muss anders gehen.

Schlagen wir das Buch auf. Obwohl mir das fast zu gewalttätig klingt. Öffnen wir das Buch und beginnen wir zu lesen. (Das mit dem Öffnen gefällt mir. Hat was von Siegelbruch, von Eindringen, Rumstöbern. Da ist man meist einem, wenn auch belanglosen, Geheimnis auf der Spur.)

Du bist ein Fabulierer, schreibst in manchen Sätzen wie ein Gestriger, nur um uns dann das Gestrige heute noch um die Ohren zu hauen. Das Lachen, das sich fortwährend einstellt, bleibt einem nicht im Halse stecken, weil es wie ein Schwall Erbrochenes an die Luft will, um sich zu zeigen. „Seht mal her“, will es sagen. „Ich war in dem da drin.“ Und ich wusste gar nicht, was alles in mir drin ist, bis du es heraus gekitzelt hast.

Die Gesetze des Buches finden sich auf Seite 24. Ich bitte nun die anwesenden Leser und Leserinnen (beachten Sie bitte die politisch nicht korrekte Bevorzugung der männlichen Leserschaft) eiligst Seite 24 aufzuschlagen, damit wir fortfahren können. Sie wissen nicht, welches Buch wir hier besprechen? Tölpel! Sie können gehen. Die anderen blättern zur Seite 24. Haben wir das alle? Sehr gut!

Auf Seite 24 im letzen Absatz unten finden wir die Sätze: „Einem Liebenden war alles zuzutrauen. Die Liebe setzte alles außer Kraft, die Liebe hatte ihre eigenen Gesetze.“

Das ist natürlich ein böser Schachzug von mir, solcherlei Sätze ans grelle Licht der Öffentlichkeit zu zerren. Immerhin könnten die ja auch von Barbara Cartland stammen. (Keine Angst, mein lieber Franzobel, mit der ollen Kamelle würde ich dich nie vergleichen. Und darauf essen wir erst mal eine Praline.) Ich habe diese Sätze deshalb beigeschleppt, weil sie dem Roman das Programm vorgeben.

Und wie sieht dein Programm aus? Dein Programm ist es, alle Programme zu zerstören und dies mit einer Wortmächtigkeit, dass jedem Bischof in deiner Nähe das göttliche Wort im Halse stecken bleiben müsste. Du durchstöberst die Räume der Literatur wie eine böse Spitzwegfigur, die sich nach vorne beugt, um unter dem Wortteppich nachzusehen. Und was man da alles so finden kann. Du zeigst es uns. Und dies immer mit Humor, weil der Humor in der „Liebesgeschichte“ das oberste Gebot ist. „Lachet über euren Nächsten, wie auch über euch selbst.“

Alexander Gansebohn, dein Held, deine Hauptperson, dein Hirngespinst, kommt von der Geliebten nach Hause. Es gibt eine schreckliche Szene. Die Frau stürzt sich mit den Kindern aus dem Fenster. Er begibt sich eilig zur Geliebten. Bringt den Hausfreund der Geliebten um die Ecke, träumt sich hinfort. Begibt sich auf eine groteske Tour.

Klingt nicht unbedingt nach Barbara Cartland, um den Vorwurf ein für alle mal auszuräumen. Weil um das „Ausräumen“ geht es vor allem in diesem Roman. Die Sprache, sie ist der eigentliche Held, die Hauptperson, das Hirngespinst. Sie räumt er aus, leert sie von ihren kollektiven Bedeutungen, aber nur um sie mit seinen eigenen Bedeutungen wieder voll zu räumen, so voll, bis sie bald zu platzen scheint. Da werden dann die Franzobelbedeutungen zum Allgemeingut.  

Ich bin dir also auf die Spur gekommen. Du bist ein barocker Sprachspieler, mit einem Hang zum Dadaismus. Obenauf findet sich dann Franzobel. Sonst nichts. Gibt es Franzobel wirklich oder ist er nur sein eigenes Hirngespinst? Die Erfindung eines anderen?

Da habe ich dir nun also den Ball zugespielt. Jetzt bist du am Zug. Per Mail kannst du mich ja jederzeit erreichen und mich davon überzeugen, dass es dich als Worte, die sich zu Sätzen auf eine Schnur ziehen lassen, gibt. Den Beweis deiner körperlichen Existenz musst du noch erbringen. Hast ja meine Anschrift und kannst mich jederzeit besuchen.

 

Alles Liebe und Gute!

 

Guido Rohm

 

 

 

Franzobel: Liebesgeschichte, Roman, Zsolnay-Verlag

 

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