29. Mai 2009

Einmal Religion – immer Religion?

 

Man kann ganz unterschiedlich zum homo religiosus stehen, der das Thema dieses schmalen Bandes bildet. Die einen werden erleichtert sagen, dass man diesen Typus seit einiger Zeit doch hinter sich gelassen habe. Zumindest im Westen. Andere zucken verständnislos die Schultern, weil dieses Genre sie nicht mehr betreffe. Wieder andere werden nicht müde zu betonen, dass man diesen Menschen noch lange nicht überwunden habe, weil er in camouflierter Form nach wie vor den Ton angebe. Peter Sloterdijks jüngste religionskritische These ist im Grunde nur die Umkehrform der Eliade’schen These, dass man das Heilige so schnell nicht los wird.

 

Während der eine sich zeitgemäße dialektische Übungssysteme wünscht, würde der andere darin immer nur den transformierten Charakter einer vergessenen Ursprünglichkeit ausmachen. Das Heilige, und damit den religiösen Menschen, so Mircea Eliade, wird man nicht einfach abhaken können. Gerade in der Gegenwendung bleibe man darauf bezogen. Aber wird man, so könnte ein Mensch der Aufklärung behaupten, nicht durch die Religionskritik ein wenig weniger religiös? Inwiefern sollte das Abbruchunternehmen des 18. Jahrhunderts mit eben den Kategorien beschrieben werden, gegen die es sich doch richtet? Gilt bereits hier schon die „Wiederkehr des Verdrängten“? Aber inwiefern wird hier denn verdrängt? Hier wird doch abgesägt. Wirklich hinter sich gelassen. Die Dinge, die wirklich nicht mehr zählen.

 

Dagegen behauptet man immer, so auch noch Sloterdijk, dass die Menschen dadurch, durch die Kritik, nicht glücklicher geworden wären. Dass eine Lücke sich aufgetan habe, die durch nur noch mehr Ratio oder Vernunft nicht hätte gefüllt werden können. Deshalb die Karriere der Romantik. Die Reanimation eines an seiner eigenen Vertrocknung Erstickten. Auch Eliade ist davon überzeigt: All die Spiele, mit denen sich der moderne Mensch die Zeit vertreibt, um eben in eine andere Zeit einzutauchen, sind Relikte aus der guten alten Zeit des „totalen Menschen“, wobei man für die gute alte Zeit eher vom geschlossenen Raum eines Clans, Stamms etc. reden müsste, denn die Rede vom „totalen Menschen“ ist eine moderne Rede, die genau auf die Devianz anspielt, die es in der frühen Zeit des homo religiosus gar nicht gegeben habe aufgrund des generalisierten Anschlusses an das Heilige, das dem modernen Menschen nur noch in kontingenter Form, als Privatismus oder als aufgedrückt Politisches begegne. Die Selbstverständlichkeit der Anbindung nach oben, an die Götter, an die heiligen Orte, durch die Mythen, vermittelt durch Priester oder Schamanen, das ist etwas, das es in der heutigen „profanen“ Zeit nicht mehr gebe, es sei denn in einer devianten Form der idiosynkratischen Selbstergänzung. Das heideggersche „Man“ ist keine Kategorie archetypischer Kulturen.

 

Während Peter Sloterdijk behauptet, man müsse das Religiöse nicht so dick auftragen, weil es sich dabei eher um ein Missverständnis physisch und psychisch arbeitender Kraftmaschinen handele, glaubt Eliade an einen religiösen Echoraum, in dessen akustischem Bann der Mensch gefangen sei, so rational er auch immer tun möge. Marx etwa wird in den zyklischen Raum von glücklichem Anfang, Krise und gutem Ausgang eingefangen, den es so auch schon bei den „primitiven“ Kulturen gegeben habe. Auch die Psychoanalyse entkommt strukturell dem zu Grunde gelegten Schema von Initiationsriten nicht. Ob Proletariat oder durchzuarbeitende Neurose, am Ende steht der Eintritt ins geheiligte Land und sei es nur in Form einer akzeptierten Norm. Vermutlich bringen Deszendenztheorien wie die Eliades, dass vollgültige Lebensformen irgendwann zu Ende sind und nur noch die Chance haben, als ihr eigenes Gespenst weiterzuleben, Tabula-rasa-Fantasien dagegen auf, die ersehnten Unabhängigkeitserklärungen, die wirklich Schluss mit allem machen wollen, die aber genau diesen Impetus so notwenig haben, wie sie ihm ausgeliefert sind.

 

Der postmoderne Mensch, von dem Eliade noch nichts wissen konnte, hat diesen Impetus extrem zurückgeschraubt. An Stelle der Abdichtung tritt die radikale Öffnung. Dies aber anders verstanden als bei Eliade, bei dem „Öffnung“ den Bezug zu den (Haus-)Göttern meinte. Die Postmoderne verliert sich im „Netz“ und gewinnt an Entspannung. Das ist aber keine religiöse Kategorie mehr.

 

Dieter Wenk (05-09)

 

Mircea Eliade, Das Heilige und das Profane, Hamburg 1957 (Rowohlt)