25. April 2009

Sich gegenseitig bespiegelnde Gehirne

 

Wolf Singer, einer der weltweit führenden Hirnforscher, und Matthieu Ricard, buddhistischer Mönch und ehemaliger Molekularbiologe, trafen ab 2005 mehrmals und auch in Gegenwart des Dalai Lama in Diskussionen aufeinander. Begegneten sich in Frankfurt und Katmandu weiter zu einem Dialog, aus dem Teile für das Buch "Hirnforschung und Meditation" ausgewählt wurden. Die Qualität der Fragen, mit denen Singer in den Wortwechsel geht, bringt den Text sofort auf ein spannendes Niveau. Wie Ricard in Bildern und Metaphern spricht, der Art anspruchsvoller Literaten oder eigentlich Maler nahe, ist dem ein entsprechendes Gegenüber. Zu vermuten ist, dass Menschen, die sich für dieses Buch interessieren, mehr dem Personenkreis des Singer-Umfelds zuzurechnen sind. Die Meditation bringt man weniger leicht mit so einer Diskussion in Verbindung. Will sie das überhaupt? Vielleicht sollte sie sich sogar davor schützen. Die Worte der beiden werden aber doch sowohl auf Seiten der Hirnforscher als auch auf der der Meditierer von Wert sein. Singers vorerst letzten Sätze in diesem Kontext sind: "... Mir ist, als stünde ich jetzt vor sehr viel mehr Fragen über das Wesen und die Wirkung meditativer Praktiken als zu Beginn dieser Unterhaltung, und das ist gut so ..." Eher vermessen wirkt Ricard zum Abschluss: "... Lass uns also dieses Gespräch mit einem Satz der Hoffnung und der Ermunterung beenden: "Ändere dich selbst, um die Welt zu ändern." Wer waren die gleich wieder, die von Weltveränderung sprachen? Oder ginge das ganz einfach mit Gehirnarchitekten, die Hirnwellen manipulieren und konstruieren und das Wissen und Programme der Welt verwalten?

Nicht so leicht veränderbar wird jedenfalls die Meditation sein, nicht nur Teil einer Religion, sondern, so Ricard, Wissenschaft des Geistes und Weg zur Transformation. Und zwar seit über 2500 Jahren. Auch die Hirnforschung begann schon in der Urzeit. Westliche Psychologie hingegen gibt es erst seit einigen Jahrzehnten.

Die Frage ist, wie zeigt sich das intellektuelle Abenteuer Meditation in der Konfrontation mit der Hirnforschung, einer Wissenschaft, bei der es sachlich um Energieerhaltungssätze geht, die nichts Immaterielles, rein Geistiges berücksichtigen können.

 

Auf welches Terrain man sich in diesem Diskurs begibt, kann jedem schon, wenn er einfach zugängliche Informationen über Singer im Netz liest, klar werden: Singer lehnt die Rede vom freien Willen ab. Er argumentiert, das naturwissenschaftliche Kausalmodell, nach dem die Welt als geschlossenes deterministisches Ganzes anzusehen ist, schließe Freiheit aus. Wenn naturwissenschaftlich gesehen niemand frei entscheiden könne, sei es nicht sinnvoll, Personen für ihr Tun verantwortlich zu machen. Gesellschaftlich untragbare Personen müssten "weggesperrt“ und "bestimmten Erziehungsprogrammen“ – so weiter wörtlich – "unterworfen" werden. Das scheint dann leider jede Nivellierung zu forcieren. Dieser fügt sich aber auch, wie Ricard zu Beginn des Dialogs von Gefühlen, Stimmungen, Wesenszügen spricht, die zu transformieren seien, um die am tiefsten verwurzelten Neigungen zu beseitigen, die einer optimalen Lebenseinstellung entgegenstünden. Konfliktbeladene Emotionen können ihm zu Folge als eine Zeitbombe gesehen werden. Schon da spricht dann der Einwand in fragender Form, den Singer anbringt, für Singer: "Warum soll, was uns die Natur mitgegeben hat, a priori schlecht sein, und spezieller mentaler Übungen bedürfen, um eliminiert zu werden?" Während er aber sofort diese "nugget of gold", von Ricard jedem als reinem Kern zugesprochen, verbal angreift.

Wer ein Potenzial der positiven Veränderung für möglich hält und will, wird wohl weiter lesen. Daran denken, Möglichkeiten auszuloten aufgrund einer Notwendigkeit von Weiterentwicklung in so manchem. Die wiederum wissenschaftlich gesehen in den synaptischen Verbindungen zwischen Neuronen stattfindet. Die Frage ist allerdings die Art und Qualität von Veränderung. Auch neurowissenschaftlich gesehen ist das Gehirn ein soziales Organ. Und man befasst sich auch mit den sogenannten Qualia, dem phänomenalen Bewusstsein und subjektivem Erlebnisgehalt eines mentalen Zustands.

 

Ich höre in meiner Erinnerung den den Kontrapunkt und Minimalismen erforschenden Komponisten Moondog, der ein meist unkonventionelles Leben in Extremen zwischen Obdachlosigkeit und Erfolg lebte, die Worte sagen: "Quantity in life we have but not quality."

Einen Dialog wie "Hirnforschung und Meditation" muss man wohl auf die Seite rechnen, auf der nach Qualität gefragt wird. Wichtige Anhaltspunkte und Informationen werden herausgearbeitet. Aber da gibt es auch Untiefen. Während das Gespräch zunehmende Spannung und Mitteilkraft in sich birgt, sagt ein ganzes Kapitel wie "Magische Augenblicke" nur aus der Sicht von Ricard bloß Allgemeines aus. Hingegen wird beispielsweise unter "Aufmerksamkeit" ein Fachbegriff wie "attentional blink", die Unfähigkeit, schnell aufeinander folgende Bilder wahrzunehmen, anschaulich und detailliert erläutert.

 

Von ähnlicher Schönheit und Klarheit wie Haikus sind die Visualisierungen, die Ricard einbringt: "... Eine Flamme braucht keine zweite Flamme, um sich selbst zu beobachten. Ihr eigenes Licht reicht dafür aus. Was ich sagen will: Man kann seine Gedanken betrachten ..." Oder als Vergleich: "Die tiefsten Stellen des Ozeans sind nicht verschieden von den Wellen, doch sie werden nicht von ihnen beeinflußt." Unerschütterlich, doch fast unrealistisch sein Idealismus, sein Glaube an Liebe, Güte, Glück, Weisheit. Wobei er aber das naive Bild, das im Westen vom Meditieren vorherrscht, korrigieren will. Die Position des Bewusstseinstrainings wirkt dabei angreifbar. Schon allein, weil man angesichts der Realität, die einem im Leben und in den Medien begegnet, an eine Zukunft in einer zunehmend guten Welt nicht so leicht zu glauben vermag.

Vielleicht sind die Begegnungen von Singer und Ricard jedoch für die überlegen wirkende Hirnforschung notwendiger als für die echten Buddhisten, die ihren Weg gehen, seit über 2000 Jahren. Und sich nicht beirren lassen werden.

Einmal in diesen verbalen Austausch eingetreten, wird es sowohl für die von spirituellen Zielen sprechende Seite der Meditation wie auch für die Hirnwissenschaft, die reduktiv Determinismus und deterministische Naturgesetze beschreibt, nicht mehr ganz wie davor sein. In Erklärungsschwierigkeiten dürfte sich dabei nicht die direkte Arbeitsweise des Geistes erforschende und Geisteszustände pflegende ergründende Introspektion der Meditation begeben.

 

Tina Karolina Stauner

 

Wolf Singer und Matthieu Ricard: "Hirnforschung und Meditation. Ein Dialog.", Suhrkamp, edition unseld, 2008

 

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