16. März 2009

Etüden

 

„Ein Sonntag im Sommer“ ist auch der Titel der ersten der hier veröffentlichten vier Erzählungen, die vor zwei Jahren im französischen Original unter dem Titel „Études“ erschienen. Sie entstanden zwischen 1995 und 2005, als der Autor Erfahrungen sammelte bei verschiedenen Einsätzen in humanitären Hilfsaktionen, gehen also dem Schreiben von „Les Bienveillantes“ (Die Wohlgesinnten) zeitlich voraus. Man hat dem erfolgreichen Roman unter anderem vorgeworfen, Gewaltschilderungen durchaus auch mal unmotiviert dem Leser zu unterbreiten. Die zweite der Etüden, „Warten“, scheint nicht anders zu funktionieren. Es ist, als ob irgendein Anlass willkommen wäre, um die Sau raus zu lassen. Ein Mann wartet auf einen Einsatz in einem anderen Land. Man hält ihn hin. Er durchschaut das Spiel, wird aber doch nervös. Dann dreht er durch. Er lässt sich auf eine schwule Begegnung ein, die ihn dann ziemlich fertig macht. Schließlich landet er auf der Toilette.

 

Man kann sich vorstellen, was dort passiert. Wie gesagt, man lernt den Mann nicht näher kennen, kann also nicht nachvollziehen, was da so schlimm war an dem Warten. Irgendwann ist das Warten auch vorbei, aber, so der Erzähler direkt an den Leser: „… es wird wieder von Neuem beginnen.“ Aber dann ist die Geschichte auch schon vorbei. Der Erzählband hätte insgesamt auch „Warten“ heißen können, denn auch in der ersten und der dritten Geschichte geht es genau darum. In „Ein Sonntag im Sommer“ ist man mitten in einem Kriegsgebiet, es geht nicht um Freund und Feind. Ein paar junge Leute vertreiben sich die Zeit, weil sie nicht wegkönnen, die Stadt, wo sie sind, ist eingeschlossen. Geschosse, Granaten etwa, tragen eher zur Heiterkeit der Personen bei. Das ist sehr seltsam. Aber vielleicht werden hier alte Vorurteile abgebaut. Müsste man also mal selbst ausprobieren. Hat man aber dann doch keine Lust dazu. Deshalb gerät die atmosphärische Veranstaltung doch etwas wohlfeil. Die Landschaftsbeschreibungen gerade in dieser Geschichte kommen einem sehr vertraut vor. Es ist auch schwer, da etwas Neues hervorzuzaubern. Genau deshalb fehlt dann aber auch der Clou. Irgendwie fehlt Erzählzeit, damit sich Lakonie aufbauen könnte, einer der Trümpfe bei „Die Wohlgesinnten“.

 

Die dritte Geschichte spinnt die Idee der ersten, eine verpasste Begegnung, ein nicht gegebener Kuss, aus und lässt sie auf einer anderen Ebene hinfällig werden. A fängt an, B zu lieben, B liebt aber nicht richtig zurück. Die beiden kommen sowieso nicht zusammen, weil sie ständig in andere Krisenregionen geschickt werden. Das entbehrt nicht einer gewissen Komik. Aber die geliebte Frau könnte genauso gut eine Putzfrau oder eine Königin sein. Krieg als Dekor. Die jüngste Geschichte, „Vollendete Tatsache“, aus dem Jahr 2002, entstammt unmittelbar aus der Werkstatt Samuel Becketts, dessen „Cap au Pire“ gleichwohl noch einige Grade abstrakter ist. Man muss sagen, dass es heute eher schwieriger geworden ist, so zu schreiben. Das heißt auch, das zu lesen. Man merkt den Entzug des selbstverständlichen Erzählens und kommt nicht mehr in die alten Gleise. Bei Littells Erzählungen will keine rechte Begeisterung aufkommen, aber auch nicht umgekehrt das nackte Entsetzen oder ein blankes Erstaunen. Man hat auf einen Hammer gewartet. Vielleicht demnächst.

 

Dieter Wenk (03-09)

 

Jonathan Littell, Ein Sonntag im Sommer, aus dem Französischen von Hainer Kober, Berlin 2009 (Matthes & Seitz Berlin)

 

Cohen+Dobernigg Buchhandel

 

amazon