13. März 2009

Heilt Euch nicht selbst!

 

Susanne Amiel ist 23 Jahre, sieht gut aus, und doch ist ihre Welt aus den Fugen. Ihr Freund, ein gewisser Otto Marly (schüttelt sich fast perfekt mit Amiel), hat sie verlassen. Leider wohnt sie – man schreibt das Jahr 1932 – in der Provinz. Ärztlich sind Mann und Frau doch sehr auf sich gestellt, vor allem in seelischen Dingen. In den Zeitungen lauern die Psycho-Hochstapler mit ihren Annoncen: „Neuvitalisierung, Kur durch moralisches Serum“, ein Teil der Kur: „Abwehrmittel durch Sympsychie“, vor allem die Provinz wirkt gelockt mit „Fernwirkung mittels radioaktiver Ausstrahlungen“. Holla. Mittlerweile schützt Grün vor dem personalen Atomreaktor. Natürlich wird Susanne veräppelt. Später hilft sie sich mit Mord. Schnell merkt sie, dass sie das auch nicht weiterbringt. Erst die Gefängniszelle und ein Blick auf Gott bringt letztlich Heilung.

 

So steht es aufgeschrieben in Claire Golls „Arsenik oder Jedes Opfer tötet seinen Mörder“, 1932 zuerst auf französisch, 1933 auch auf deutsch veröffentlicht. Angeblich habe sich Claire Goll mit diesem Roman Luft verschafft aufgrund der unfreiwilligen Entfernung von ihrem lieben Yvann Goll, der plötzlich eine andere hatte. Im gleichen Jahr 1933 schreibt der damals völlig unbekannte Dada-Monteur und spätere Vogue-Fotograf Erwin Blumenfeld an seinen Freund George Grosz: „Noch immer bin ich das Mauerblümchen, das wartet, entdeckt zu werden, habe meinen Lederladen […] und daneben Frauenfotograf und Hypnotiseur, stelle mir eigentlich so was vor, wie Heilphotographie. Analyse durch Entzifferung des eigenen Gesichts. Wenn mal jemand auf den Schwindel so richtig reinsaust, ist damit mindestens soviel zu machen, wie mit Krisnamurti oder Picasso.“

 

Das ist der befreiende Ton der neuen Sachlichkeit, der parawissenschaftlich ausgerüstet ist wie ein Mondrian, aber nichts Veritables mehr damit verbindet. Aus einem Heils- wird ein Marktelement. In einem fünf Jahre später veröffentlichten Text Blumenfelds verschwindet der vertrauliche und (selbst-)entlarvende Part des Programms, das jetzt ganz seriös, gewissermaßen als Serienprodukt, proklamiert wird: „Es ist auch vorstellbar, die Fotografie in der Psychoanalyse zu verwenden, in Fällen von Minderwertigkeitskomplexen, indem dem Patienten der Wert seiner physischen oder psychologischen Qualitäten nach einer gemeinsamen Untersuchung seines Selbstbildnisses bewiesen wird.“ 1938 war Alfred Adler, der Psychoanalytiker des Minderwertigkeitskomplexes, bereits ein Jahr tot. Es ist nicht bekannt, dass er mit Fotos gearbeitet hat.

 

Blumenfelds Programm war wohl von vornherein zum Scheitern verurteilt. Denn das, was kommen sollte mit Blick auf das fotografische Bild, stellte die Verhältnisse ja auf den Kopf. Es kam (und kommt noch immer, mehr denn je) in der Tat zu „einer gemeinsamen Untersuchung“, aber diese Therapie findet nicht mehr im Zimmer des Arztes oder Scharlatans statt, sondern ständig und überall durch die Konfrontation mit Plakaten von Stars und das Anschauen von Filmen im Kino und später Fernsehen. Die Bilder sind alle schon da, an denen man sich aufrichten und an die man sich anlehnen kann. Für jeden mindestens eins. Erwin Blumenfeld hat das ab den 40er Jahren als Modefotograf selbst umgesetzt. Nennen wir es Psychosynthese. Oder: Schönheits-Dada-k-tik.

 

Dieter Wenk (03-09)

 

Helen Adkins: Erwin Blumenfeld. Dada Montagen 1916-1933, Ostfildern 2008 (Hatje Cantz)

 

 

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