2. März 2009

Inside the white cube

 

Autoren plaudern immer wieder aus dem Nähkästchen. Nicht nur in Interviews, sondern auch in ihren Texten selber. Dort geben sie oder ihre literarischen Stellvertreter Auskunft über ihr Vorgehen. Ein Beitrag zur Transparenz. Der Leser wird nicht verstrickt in ein Geheimnis, sondern erhält vom Autor (oder den Autoren) Anweisungen, wie sie den Text beobachten können. Auch in „Ruhm“, einem Roman in neun Geschichten, treten neben Kehlmann als dem allein verantwortlichen Autor noch drei weitere in den Geschichten auf, die ganz unterschiedliche Vorstellungen von Literatur und ihrer Aufgabe im wirklichen Leben haben.

 

Da ist zum Beispiel Leo Richter, der seiner neuesten Bekanntschaft Elisabeth im Flugzeug (also mal nicht wie sonst in der Badewanne) eine seiner „Ideen“ präsentiert: „Ein Roman ohne Hauptfigur! Verstehst du? Die Komposition, die Verbindungen, der Bogen, aber kein Protagonist, kein durchgehender Held.“ Daniel Kehlmann lässt sich das nicht zweimal sagen. „Ruhm“ ist genau nach dieser Anweisung aufgebaut. Namen tauchen immer wieder auf, so der des zweiten internen Autors, Miguel Auristos Blancos, ein Erfolgsautor, der am Ende seines Lebens eine erstaunliche Bekehrung an sich selbst erfährt, die er als ultimative Botschaft seiner wehrten und schockierten Leserschaft mitzuteilen gedenkt. Oder Maria Rubinstein, die Leo Richter, den Autor Kehlmann in gewisser Weise stellvertretenden Autor, auf einer Lesereise in den Osten vertritt und dabei in eine Horrorgeschichte gerät, vielleicht eine von Leo Richter.

 

Es ist also kein Wunder, dass in den Erzählungen immer wieder über Literatur geredet wird – sonderbar allerdings manchmal, auf welchen innertextlichen Niveaus das passiert, denn sogar die erzählerischen Figuren bekommen ein Bewusstsein dafür zugeschrieben, dass sie fiktional sind und dass ihr Schicksal insofern tatsächlich verhandelbar ist und nicht der Logik des Alltags unterliegt. Vor kurzem hat diese „literaturbezirksgeschichtlichen“ Räume in einer ungleich subtileren und verwirrenderen Manier der georgische Autor Giwi Margwelaschwili in seinen Erzählungen „Vom Tod eines alten Lesers“ vorgestellt. In „Ruhm“ wird dieses „ciszendente“ Areal nur gestreift, aber dieses Antippen reicht gleichwohl aus, um dem Leser das unangenehme oder vielleicht auch ganz befreiende Gefühl zu vermitteln, dass er es mit bloßer Literatur zu tun hat, die eifrig vor allem mit sich selbst beschäftigt ist. Die Gesetze der Literatur liegen in ihr selbst und können ihr nicht von außen übergestülpt werden. Insofern ist Kehlmanns Literaturprogramm ein formalistisches, autonomes. Natürlich kommt auch die Wirklichkeit vor und es gibt nur sie: Aber alles liegt in der Art und Weise, dem Wie dieser Vorstellung. Die Buchstaben und Worte und Sätze sind als literarische von ihrer Herkunft her also immer in Literatur verstrickt, man kommt als Leser nur mit einem beherzten Sprung wieder aus ihr heraus.

 

Mimetische oder konstruktivistische Literatur: Das sind Alternativen, die sich bereits im literarischen Raum ergeben. Kehlmann ist nicht der erste, der darauf hinweist. Er macht es allerdings auf eine sehr unangestrengte Art. Dabei lesen sich die Geschichten beinah schulbuchmäßig, ja man kann von Etüden sprechen, die manchmal etwas allzu Steriles haben („Der Ausweg“). Wie auch immer, man wird gut unterhalten von diesem Andreas Slominski der Literatur.

 

Dieter Wenk (02-09)

 

Daniel Kehlmann: Ruhm, 208 Seiten, Rowohlt 2009

 

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