12. Februar 2009

Die Ewigkeit kann uns gestohlen bleiben

 

Man sollte den Zauberberg sprengen. Wenn das nicht geht, sollte man ihn wenigstens meiden oder einfach umfahren. Deutsche Autoren, diese selig verträumten Bauchnabelbeschauer, scheinen in vielen Fällen nur eines im Sinn zu haben: ihre eigene Unsterblichkeit.

 

Und weil die ihnen wichtiger als jede Geschichte ist, vermeiden sie das Erzählen wie der Teufel das Weihwasser.

 

Man könnte sich in endlosen Aufzählungen ergehen, die all die Dinge benennen, um die sich Autoren nicht kümmern mögen: Naturwissenschaften oder die Wirtschaft sind da nur einige wenige Oberbegriffe. Viel lieber erzählt man von den Schwierigkeiten des Erzählens. Die Qualen der Autoren. Gott, wie wir mit ihnen leiden würden, wenn sie das alles doch nur interessant erzählen könnten.

 

Einer, der interessant erzählen kann, der alle Kniffe und Techniken der Literatur wie kaum ein anderer in diesen Landen beherrscht, ist Daniel Kehlmann; eben der Mann, der mit seinem Welterfolg „Die Vermessung der Welt“ zu Recht den größten Erfolg der Nachkriegsliteratur hatte.

 

Daniel Kehlmann ist es auch, der nun allen anderen vormacht, wie man die Themen der Moderne am Schopf packt und aus dem Sumpf der Gegenwartsliteratur zieht.

 

In seinem neunen Roman „Ruhm“ erzählt Kehlmann in neun Geschichten von Doppelgängern, von Verlust, von den Tücken der modernen Technik und dies mit dem Können eines Großmeisters, der so ganz nebenher auch noch neun verschiedene Stile im Ring auspackt. Wer will gegen einen solchen Boxer schon gewinnen?

 

Man könnte jetzt natürlich einwenden: Halt, halt, halt! Okay, der Mann beherrscht die Tonfälle von Carver bis Burgess, aber er hat keine eigene Handschrift, hat keinen eigenen Ton. Das ist falsch und richtig!

 

Daniel Kehlmann gehört zu jener seltenen Spezies von Autoren, die sich ganz und gar in den Dienst einer Geschichte stellen, auch wenn er das in einer seiner Geschichten („Rosalie geht sterben“) mehr als gekonnt unterläuft. Hier mischt sich die literarische Figur gegen ihren Schöpfer auf, schwächlich versucht sie Argumente gegen ihren Tod zu finden, aber der Herr, ihr Schöpfergott, kann ihr schnell klarmachen, dass es sie ja nur wegen ihres zu bestehenden Todes gibt. Drum fügt sich das literarische Personal dann doch. Der Frieden des papierenen Kosmos ist wiederhergestellt. Scheint zumindest so …

 

Schon die erste Geschichte „Stimmen“ spielt mit den Machtmitteln der Fiktion. Da bekommt einer Anrufe an sein frisch erworbenes Handy, die überhaupt nicht für ihn sind. Weil es aber keiner merkt, gewinnt er schnell Spaß an der fremden Rolle und spielt Schicksal. Da ist die Sucht nach der fremden Identität vorprogrammiert; das romantische Doppelgängermotiv wird zum tonangebenden Klang, der sich durch das ganze Buch zieht. Die Sprache ist unprätentiös. Da muss einer erst gar nicht mit dem angeben, was er sowieso kann.

 

„Ruhm“ ist ein Buch gegen die Bedeutungssucht und somit ein schon fast perfekter Nachfolger für den Bestseller „Die Vermessung der Welt“. Sich selbst um die Ecke zu schreiben, sich nicht in den Kanon hineinschreiben, weil man sonst schon zu den Toten gehört. Kehlmann tut dies alles. Wo ein Tellkamp sich an Thomas Mann heranschreiben will und eine wortfüllige Darmentleerung betreibt, schnappt sich Kehlmann den Lachsack und drischt gekonnt auf ihn ein.

 

Selten ist ein Autor so sehr von Beginn an auf der Höhe seines Könnens gewesen, und da nutzt all das Lamentieren mancher Kritiker nichts.

In „Ruhm“ erleben wir den Autor Kehlmann als einen, der sich einen Dreck um die Erwartungen von Lesern wie auch Kritikern schert. Er schreibt, als ob es dabei um sein Leben ginge. Und er gewinnt.

 

Und ganz nebenbei bekommt auch noch ein Paolo Cuello sein Fett weg, den Denis Scheck einmal als „Supergau der Literatur“ bezeichnete. Der Scheck war gedeckt. Kehlmann verrät Cuello nicht, das tun Autoren seines Ranges nie, sie nehmen ihm den Heiligenschein und machen ihn zu einer halbwegs erträglichen Person, nämlich einem Menschen.

 

Die Ironie ist ein verlässlicher Begleiter Kehlmanns. Die beiden verstehen sich gut, und so entkommt er gekonnt den Schergen der Schwerfälligkeit, die sich ach so wichtig nehmen. Solche Schreiber sind die idealen Sprengmeister für die Ewigkeitssehnsüchte der Zauberberglehrlinge. Seine Lunten hat er gelegt. Jetzt muss er noch sprengen.

 

In dem Autoren Leo Richter, der immer wieder in „Ruhm“ seine Nase nach oben streckt, hat er nicht sich abgebildet. Richter ist ein Autor ganz in der Tradition der Ausbeute. Man hätte ihn fast auch Thomas Mann nennen können. Er schreibt einfach alle Menschen seines Lebens (oder beinahe alle, denn auch davon handelt eine Geschichte) in Literatur um. Ein nervöser und ängstlicher Übersetzer. Ein Abbild deutscher Literaten. Aber gibt es die überhaupt noch, diese deutschen Literaten? Natürlich gibt es die. Und natürlich gibt es die nicht. Eines der Vorteile der Literatur ist es, jede Art von Dogmatismus unterlaufen zu dürfen. Daniel Kehlmann jedenfalls unterläuft beständig und fleißig alle Dogmen.

 

Die Welt könnte auf so intelligente Art interessant sein. Leider tut sich das deutsche Geraune immer so schwer damit, sich selbst zu verstehen. Daniel Kehlmann gibt uns die Leichtigkeit der Sprache zurück. Fast könnte man Freude an der Endlichkeit des Lebens entwickeln …

 

Aber Sie wissen ja: Miesmacher gibt es auf jeder Party. Wenn man aber einen Kehlmann hat, der sie in eine Geschichte baut, dann kann man auch an denen seinen wahren Spaß haben.

 

Guido Rohm

 

Daniel Kehlmann: Ruhm, 208 Seiten, Rowohlt 2009

 

Cohen+Dobernigg Buchhandel

amazon