23. Januar 2009

Ein Mönch in der Referenzhölle

 

Zur Ausstellung The Follower and other works that follow on from The Follower in der WCW Gallery, Hamburg Wilhelmsburg, Januar 2009

 

Die Ausstellung des britischen Künstlers Jonathan Monk in einer kleinen Galerie im umkämpften Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg – umkämpft einerseits in der Theorie, als ein Musterbeispiel für Aufwertungspolitik (früher: Mietpreiserhöhung; heute: „gentrification“) durch Ansiedlung von Künstlern, und umkämpft in der alltäglichen Praxis (Jugendgruppen werden am Abend von Polizeiwagen durchs leere, klirrend kalte Viertel gescheucht) – präsentiert sich den Besuchern als ein recht internes Kunstkunst-Rätsel. Den Auftakt macht ein ausgestopftes Schaf, das in einem rotweißen Rettungsring feststeckt, eine noch leicht zu dekodierende Paraphrase der berühmten Skulptur Monogramm von Robert Rauschenberg, schon vor 50 Jahren in New York gezeigt, damals etwas anders: als Ziegenbock mit Autoreifen. Das Schaf im Rettungsring nennt Monk The Follower, wobei er die weltweit verständliche Symbolbedeutung des Tieres aktiviert, wahrscheinlich um einen einfachen Einstieg zur Verfügung zu stellen, so einfach wie der Rhythmus, den er mit der Wiederholung des Wortes im Titel der Ausstellung schlägt. Insider wissen allerdings, dass jenes Nachfolger-Motiv den Kern der eigenen künstlerischen Vorgehensweise vorführt, benutzt er doch mit Vorliebe den Mantel anderer Künstler als sein Material.

Die zweite Einheit der Installation ist ebenfalls leicht entschlüsselt. Diesmal geht es um ein Bild aus Martin Kippenbergers Serie Lieber Maler male mir von 1981: ein Spitz, das wachsame Schoßhündchen im überdimensionierten Format porträtiert, Klassiker des Kitschs aus deutschen oder amerikanischen Wohnstuben, flach hingemalt in seinem flauschig spitzen Fell, und wenn Kippenberger sich seinerzeit das Künstlerwunschprogramm des Publikums von einem Kinoplakatmaler erfüllen ließ, so engagierte Herr Monk chinesische Spezialisten der Kunstkopie, allerdings mussten sie das süße Fotomotiv gleich dreimal abliefern: Oh dear painter, not again, heißt es bei ihm, und das erste zusätzliche Bild hat er beim Hängen einmal, das zweite zweimal gekippt. Gekippter Kippenberger? Rauschebärtiger Rauschenberg? Wird hier ein linguistischer Twist and Turn getanzt, eine etwas albern durchgehauene Retourkutsche?

Auch das kleinste Element der Ausstellung schlägt in diese Kerbe: A single slide of a single record projected over a single hole (version 1) besteht aus einem Diaprojektor, der das Bild einer Schallplatte in Originalgröße auf die Wand projiziert. Das Loch in der Wand geht durch alle Mauersteine bis zur Straße hinaus, im Durchmesser passgenau dem Loch in der Single folgend, eine Single von The Monkees mit ihrem Hit: „(I’m Not Your) Steppin’ Stone“. Nun scheinen sich die Bausteine der Referenzhölle sehr eindeutig zu fügen: Die Künstler treten mit Tieren auf, im weißen Schafsfell und ebenso weißem Spitzplüsch, und Monk selbst als schwarzer Monkey, ein Klassiker im Kompendium der Künstlermaskottchen, sein Ebenbild sogar, als Hinweis auf die Kunst im Nachahmungsproblem und ihre unberechenbare Wirkung, den Ärger, den das Nachäffen bereiten kann. Von Monk zu Monkey ist es nicht weit, und vom Song der Monkees – eine der ersten Boygroups aus der Retorte des Musikbusiness’ – zum Sinn, den die Strophen des Liedes für den Künstler machen sollen, scheint es auch keine Hindernisse zu geben: Er will uns nicht als Sprungbrett dienen; er macht vielleicht den Affen als Rauschenberg-Schaf und Kippenberger-Hund, aber Erklärungen gibt es nicht.

Irrtum! Jonathan Monk gibt bereitwillig Auskunft über seine Intentionen. Der 40-Jährige ist mittlerweile ein international gefragter Künstler. Dass er in der WCW Gallery ausstellt, ist eine mittlere Sensation, und während der Vernissage platzt die kleine Galerie aus allen Nähten. Ja, das Schaf habe er vom urban-ländlichen Rauschenberg; es hätte allerdings mit der Situation in Wilhelmsburg zu tun, einem Viertel, in dem die Schafe neben dem Supermarkt grasen. (Das alte Hafenarbeiterviertel liegt etwas ab vom Schuss zwischen Deichen und Brücken im Süden der Großstadt.) Seit ein paar Jahren ist es auch ein Residuum für Künstler, die nun langsam dorthin trotten, einer dem anderen folgend, etwas unwillig, aber vertrieben aus Hamburg (Wahrzeichen Rettungsring) von den dort steigenden Mietpreisen, „gentrification, you know“: Die Herde der Künstler werde das Viertel mit Sicherheit aufwerten und bald schon zu teuer machen.(Tatsächlich wirkt das Schaf im Rettungsring nicht gerettet, sondern eher etwas unglücklich eingefangen.) Wie eine Schallplatte nudelt er die notwendigen Informationen zur Zwangsläufigkeit des Mechanismus ab. Ja, und durch das Loch in der Wand – Innen und Außen, Kunst und Wirklichkeit – pfeife der kalte Wind, weshalb diese Kopftücher hier notwendig gewesen seien. Zum Verständnis: Er spricht von einigen bunten Kopftüchern, die an die Wand hinter ihm gepinnt sind; square bagde pinned to second hand head scarf der Titel – einer dieser Titel, die konsequent minimalistisch demonstrativ nur den konkreten Gegenstand der Kunst benannt wissen wollen, also keine metaphorische Ebene (etwa: Sehnsucht oder Winterimpression) zulassen und daher einfach die Werkstoff-korrekte Aufreihung des Materialbestandes aus der Zeile für die Werkbeschreibung in die Titelzeile rücken.

Spätestens an dieser Stelle – Loch, Kälte, Schal – werden seine Erklärungen unglaubwürdig oder das, was sie sein sollen: eine Schallplatte, die sich um ihr Loch dreht. Spätestens in diesem Moment hallt durch Jonathans Monkees nur noch eine Absage, wie sie auf der Schallplatte steht: „Ich bin nicht dein Trittstein“. Und nun wendet die Verweigerung sich nicht nur gegen den neugierigen Ausstellungsbesucher, sondern auch gegen das sattsam bekannte Thema selbst („gentrification, you know“), das er wie ein Leierkastenmann repetiert. Tatsächlich bleiben im linguistischen Kreislauf der Referenzen die Kopftücher eine auffällige Leerstelle. Welches Werk kopieren/zitieren die Seidenschals? Welcher Künstler folgt dem Follower im Quadrat auf quadratischem Tuch zweiter Hand? Der Mönch verweigert die Auskunft. Vorher war er über alle Maßen gesprächig, doch gegenüber dieser konkreten Frage hüllt er sich plötzlich in Schweigen. Sieht der notorische Follower Monk seine bekannten Vorbilder weniger als Riesen, auf deren Schultern er sich stellen kann, sondern eher als Hindernisse, die zu durchbohren oder versetzen sind? Versucht er sich als unschuldiges Lamm vor dem weisen Rauschebart zu retten und spitzfindig den flachen Berg zu kippen, um als Monkey zu entwischen? Könnte er sich hinter dem dritten Hügel nicht mehr verstecken? Malewitsch kommt nicht infrage.

Die Referenzen suggerieren eine Logik der Reduktion und Variation, führen vom einfältigen Schaf über den hysterischen Spitz zu den verhuschten Tüchern, oder vom vollen, zottigen Kreis der Skulptur über das geglättete Drei-Ecken-Spiel der Malerei hin zum dünnen luftigen Quadrat einer Drucksache, angeheftet ein kleiner quadratischer Meinungs-Badge, ein Allerweltsding mit nach innen fallendem Echo, denn auf ihm steht noch einmal, was wir schon vom Titel gehört haben: square bagde pinned to second hand head scarf, ein leicht schüttelreimiges Endloszeichen: „A rose is a rose is a rose.“ Im Grunde können nur die anderen linguistischen Reststücke helfen: ein felliges Tier muss zum Namen führen, in dem „Berg“ nicht fehlen darf, und da das Tier sich in den bunten Exponaten selbst nicht zeigen will, wird es wohl im Namen stehen. Ein weiterer Follower und wahrscheinlich selbst im Kunstkunst-Bereich unterwegs.

Rehberger! Das scheue Tier, eine dünne kleine Antwort aufs Kontra seines Lehrers. Kippenberger war für kurze Zeit Professor in Frankfurt und Tobias Rehberger sein Student, ein vielfach spürbarer und wichtiger Einfluss für den Jüngeren. Dem Nachfolger war diese Schule in jeder Hinsicht nützlich, vor allem in der Kunst der Auftragskunst, dem Secondhand-Business. Nun ist die Logik des spiralförmig um die eigenen Elemente und die Zeit kreisenden Monkeybusiness’ klar. Jonathan Monk selbst als Meister der Lücke ist immer bereit, eine falsche Fährte zu legen; er ist geschickt genug, um im Abdruck alter Spuren, bekannter Zeichen und abgedrehter Melodien die eigenen Wege zu vertuschen. Iam not your steppin’ stone ist seine Signatur, und wer immer noch an das Märchen von der „gentrification“ glauben möchte, der lese den Song der Monkees ganz. Als Monk das Lösungswort Reh hört, senkt er den Blick. Sein Schweigen wird ein Schmunzeln, und er gibt sich geschlagen.

 

I said

I I I I I'm not your stepping stone

I I I I I'm not your stepping stone

Not your stepping stone,

Not your stepping stone.

 

You're trying to make your mark in society

Using all the tricks that you used on me.

You're reading all those high fashion magazines

The clothes you're wearin' girl are causing public scenes.

 

I said

I I I I I'm not your stepping stone

I I I I I'm not your stepping stone

Not your stepping stone,

Not your stepping stone.

 

When I first met you girl you didn't have no shoes

Now you're walking 'round like you're front page news.

You've been awful careful 'bout the friends you choose

But you won't find my name in your book of Who's Who.

 

 

Niklas Schechinger und Roberto Ohrt

 

 

Wer es nicht verstanden hat, sollte einfach noch mal von vorn anfangen oder umschalten aufs Regionalprogramm: www.zeit.de/online/2009/05/jonathan-monk-hamburg