22. November 2008

Fanpost

 

 

„Den Feigen und den Leisen müssen wir beweisen, dass wir für sie mit frei sind.“ (Tobias Gruben)

 

„Wann werden wir fei sein?“ Oh, mein Gott! Keine Freiheit, solange man nicht ausgelesen, sich durch den Text gefräst hat. Prügel beziehen, den Wesen beim Reden zuhören, ganz hilflos gegenüber Grausamkeiten, Hirnwichserei, betäubt von Exkursen, Mathematik wie Gebete, kämpfen und lieben, auch im Weltraum. Sich ekeln und europäische Mystik als Sirup lecken, flach, nervös atmen – nicht verstehen, dies ganze gesellschaftstheoretisch „beschemselte“ Zeug, weil man die Originaltexte nur dem Namen nach kennt, auf die hier im Vorbeisprengen verwiesen ist. Kann es sein, dass „Die Ästhetik des Widerstands“ einfach nur einen betörenden Titel hat?

 

Hilfe, ich werde wieder 14. Ich will auch gerne tapfer denken und tun, was Dietmar Dath hervorruft – Was tun, wenn man ganz besoffen ist vom Text? Schließlich komplett anästhesiert durch „semiotischen Schlachtenzauber“. Um zu verhindern, dass die Menschheit in die Bronzezeit zurückfällt, wird zur rettenden Tat geschritten. Der Leser fällt dabei zurück aufs erste Lesealter. Gläubig, abhängig, in Aufruhr, und im Sturm der Ereignisse, zu keinem klaren Gedanken in der Lage.

 

Stimmt das alles? Ja, wenn ich als Erstes bitte von dieser Droge bekommen könnte, diesem Schwester-Mitternacht-Zeug, was man schon aus einem anderen Roman von Dath kennt – dann kann ich vielleicht mitmachen, als Statist einiger Szenen der Heroen. Es sind Helden, ausnahmslos. Auf jeder Seite des Buchs. Auf allen Seiten der Kampflinien. Sie gehen ineinander über und das nicht nur beim Ficken. Es geht ganz generell um Verwandlung. Und man verwandelt sich vom Leser zum Süchtler, mehr... mehr. Lächerlich. Die Heroen winken dir freundlich, spöttisch. Selbst wenn man sich an Fahrradständertreffpunkte erinnern kann, an den Weltuntergang hat man dabei nicht gedacht, aber die Freunde (was für ein Wort) in dem Buch, haben das schon ganz früh. Sie haben nachgerechnet.

 

Der Text beginnt aber erst mal ganz harmlos, heute, mitten in dekadenten Szenarien großstädtischer Kompensationsfrust- und Kulturindustrie. Läppische Intrigen: Gehirntier, mit redaktionellem Hintergrund, leistet sich zum Schein eine Affäre mit zart geil pubertierter Jugend. Nur um einen verbockten Bekannten aus der Reserve zu locken. Das ist nicht der Auslöser für das, was kommt, aber die erste brutale Verwerfung, die man vor den Latz geknallt kriegt. eine erste entsetzliche Verwandlung – nämlich Liebe. Guck nicht so! Theorien bringen es allein nicht. Es ist alles verkehrt, verhext. Die Weltgeschichte soll wieder wahr werden und nicht nur wirklich – Revolution. Scheiße, wenn Rationalität der Mörtel des Universums ist, muss man wenigstens den Mörtel verstehen, um effektiv gegen die Gebäude vorzugehen. Auf dass nicht nur ein postmodernes Schaf im Innern blökt, sondern der Wolf seinen Pelz abwirft.

 

Wenn ich mich zu Nüchternheit zwinge, kann ich sagen: riesen Text. Saugend. Geschickt mit Abhängigkeiten und Entzug von Textlieblingen operierend. Den ganzen Kulturquatsch der Bundesrepublik elegant zur Kotztüte gefaltet. Lange, entsetzlich lange Abstecher in Gesellschaftstheorien, die einem die eigene Actiongier beschämend merken lassen. Andererseits die krachend, splitternde Tat, erhellend und wie zur Beruhigung der wunden Schwänze und Gewehrläufe sanft abstrahierend und leichter als die Luft, um dann wieder zwanglos in phantasmagorische Szenarien abzuglitschen.

 

Albernheiten werden mit dem größten Ernst durchgezogen. Ein grüner VW-Bus wird Fluchtgefährt und Gesinnungsvehikel, es ist wohl ein Victory, Valerie-W-Bus, damit können nicht alle fahren. Die so genannten W retten nicht nur ein paar Menschen, sondern auch den Fortgang des Romans aus diversen Komplikationen. Sie können fliegen, brennen, Messerschwärme tanzen lassen und bei Gelegenheit denken wie andere.

 

Verschiedene Namen bezeichnen dieselben Personen, klassischer Agentenplot. Dieselben Personen sind aber auch andere Wesen und andere Personen – Paranoia und Siencefiction. Man muss sich erinnern, wer man ist, besonders wenn alles darauf hindeutet, dass man ein Buch wird. Um Klarheit wird sich selbstverständlich bemüht, aber manchmal ist einfach nichts mehr zu machen, und wer nicht aufpasst, wird von Zombies gefressen. Häme prasselt auf „Lumpengeist und Wissenschaftsfellachen“. Literaturkollegen bewirbt der Roman aber auch, immer wieder, und das können sich nur die Besten leisten, da man sich sonst schleunigst diesen anderen Büchern zuwenden würde, ohne zu Ende zu lesen.

 

Lesen hilft immer, „um die Unruhe, den Haß, die Wirrnis im eigenen Kopf abzutöten, zu betäuben ...“ Und noch viel besser, man soll durch Lesen heldenhaft werden können, wie die im Buch. „Furchtloser, als der verängstigte Kopf sich das ohne die Hilfe von Geschichten trauen würde.“ „Kunst als Ausweg“, nie täppisch demagogisch, eher tapfer ironisch und verzweifelt komisch entschlossen, denn Lesen nutzt doch nichts gegen den Tod. Wunderbar pubertäre Machbarkeitsfantasien blühen im Kopf des Lesers – wann werden wir frei sein?

 

Nora Sdun

 

Dietmar Dath, Für immer in Honig, Roman, Verbrecher Verlag 2008, 970 Seiten

 

Die Illustrationen von Daniela Burger gurken auf der Website des Implex-Verlags animiert umeinander.

 

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