7. November 2008

Im Schatten Ulrichs

 

Dass in einem Roman, und sei es nur – wie in „Mein Freund Klaus“ – im Nachwort zur überarbeiteten Neuausgabe, die Aufforderung an die „Massenmedien“ ergeht, sie mögen die im Roman „gelieferten Informationen als Anregung für eine Korrektur ihrer bisherigen Falschmeldungen“ verwenden, ist eher selten. Damit dieser Seltenheitswert gewahrt bleibt, könnte man natürlich, gegen den Autor, einwenden, dieser habe mit „Mein Freund Klaus“ gar keinen Roman, sondern eher ein Reisetagebuch geschrieben. Und in der Tat wird in diesem Buch nur ganz selten erzählt, hier zählt der Bericht und der oft nackte Dialog.

 

Peter O. Chotjewitz tourt durch Deutschland und klappert Adressen ab. Von Leuten, die in irgendeiner Hinsicht mit Klaus zu tun hatten. Wer ist Klaus? Klaus Croissant, zeitweilig Anwalt einiger RAF-Häftlinge, der bald selbst als mutmaßlicher RAF-Sympathisant in die Fänge der Justiz geriet. Und dem später ein Prozess wegen Hochverrats gemacht wurde. Im zweiten Abschnitt des ersten Kapitels gibt Chotjewitz Auskunft darüber, „Warum überhaupt Klaus“. Von A bis Z werden listenartig (Chotjewitz ist trotzdem nicht der Großvater der Popliteratur) Eigenschaften und Eigenheiten des Freundes festgehalten. So um die hundert. Keine Frage, Klaus Croissant hätte das Zeug für einen Roman: Frauenheld, Anstifter, Ästhet, Häftling, Organisator des Terrors, Schickeria, Stalinist, Wirrkopf…

 

Aber, wie gesagt, „Mein Freund Klaus“ ist kein Roman. Man entfernt sich beim Lesen von der ganzen Liste und erhält am Ende des Buches einen „Mann ohne Eigenschaften“, eines der Lieblingsbücher Croissants. Was aber bringt der Autor dem Leser bei? Material in Form von Zahlen, Einschätzungen, Personenbewertungen usw. Chotjewitz ist kein Formalist, wie man das in der DDR genannt hätte. Hier fallen keine Schüsse, werden keine Pistolen geladen, Kassiber ausgetauscht, wohl aber wird man darüber informiert, ob überhaupt die Möglichkeit bestand, Kassiber zu übermitteln. Eines der Hauptanliegen des Berichts: der angebliche Selbstmord im Oktober 1977 in Stuttgart-Stammheim. Das als Mord geraderücken. Ein wenig die Staats-Hysterie nachzeichnen, unter der Leute wie Croissant zu leiden hatten. Den Mythos zerstören, die RAF-Häftlinge hätten bessere Haftbedingungen gehabt als normale Gefangene.

 

Chotjewitz führt im Laufe des Textes die ganze Batterie an Literatur an, über deren Lektüre man sich schlau machen kann über das, wie es wirklich war. Aber wie war es wirklich? Der kühle Bericht von „Mein Freund Klaus“ lässt nichts aufleben. Der Anfang des Buchs ist der gelungenste Teil, hier trifft sich Recherche und das, was man vielleicht Anmutung nennen kann. Später zerfällt der Bericht und zergeht in Kleinteiligkeit. So viele Dinge, die man als Leser noch gern wüsste. Aber der Autor hält einen auf Entzug. Irgendwie fällt Croissant durch alle Raster. Kein (Roman-)Schema macht ihn dingfest. Und so wundert es kaum, dass Chotjewitz seinen Freund beinah nicht auf dem Friedhof findet, wo er begraben ist. Eine seltsame Verflüchtigung, auf die der Autor genau dadurch aufmerksam macht.

 

Klaus Croissant war für Chotjewitz ein Held. Im wirklichen Leben. Ihn als Romanhelden wiederaufleben zu lassen weigert er sich. Aber dazu gibt es ja Leser.

 

Dieter Wenk (10-08)

 

Peter O. Chotjewitz, Mein Freund Klaus. Roman, Überarbeitete Neuausgabe, Berlin 2008 (Verbrecher)

 

Cohen+Dobernigg Buchhandel

 

amazon