3. November 2008

Glück – welches Glück

 

Wenn aus der Hirnwindungswalnuss ein dorniger Rosenstiel mit Blüte und drei Blättern ragt, sind schon rein optisch neuronale, poetische und philosophische Glücksmomente im Spiel. Im Deutschen haben wir nur das eine Wort, um das zwischen Schicksal, Zufall und emotionalem Wohlbefinden flatternde Glück zu fassen. Glück haben (»luck«) oder glücklich sein (»happiness«) sind unter Umständen völlig unterschiedliche Zustände. Und ohne »fortune« stellt beides sich nicht ein – sonst wäre die Menschheit längst ihrer immer wieder aufkeimenden Hybris komplett erlegen.

 

Liebe, Utopie, Spiritualität, Konsum, Körper – kein Glücksstreben ohne Unglücksempfinden und kein Glücksversprechen ohne Unglücksrisiko. Dass es dabei nicht mehr allein um eine emotionale Ressource geht, haben Neurologen mittlerweile ausführlich gemessen – ohne dass sich am Ergebnis freilich etwas änderte: Glück lässt sich nicht erzwingen, und sei es mit Chemie.

 

Unterdessen erleben wir einen Effekt, der sich zur Bankenkrise irgendwie spiegelverkehrt verhält, aber den Einzelnen trotzdem schwer belastet: In der Moderne werden die Chancen des Glücks sozialisiert – denn alle sollen teilnehmen können – und die Risiken privatisiert: Sie gelten als Folge einer misslungenen Interpretation der je persönlichen Glücksmöglichkeiten.

 

Die sieben Themenbilder der Ausstellung »Glück – welches Glück« (ohne Fragezeichen) hat der aus Benin stammende Künstler Meschac Gaba entworfen. Die multimediale Aufbereitung reicht von der haptischen Schönheit des Gesäßes in der antiken Skulptur bis zum Ausschnitt aus Michelangelo Antonionis »Zabriskie Point«, von textlastigen philosophischen Entwürfen auf kleinen gestapelten Theorieschachteln, bis zu Arnold Odermatts Unfallfotos im Abschnitt über Zufall und Berechenbarkeit oder den gegensätzlichen sozialen Utopien Luigi Nonos und Karl-Heinz Stockhausens. »Moderne Helden« werden im Abschnitt über Sport überlebensgroß in riskanter Bewegung projiziert. In einem begehbaren Gehirn werden Neuronenaktivität und die Ausschüttung von Hormonen sichtbar. Musik macht von der Hymne bis zum Karaoke (im separaten Container zum Selbermachen) glücklich. Schönheit und Unsterblichkeit; Unglück und Zufall werden ebenso thematisiert wie die Tugendlehren der Weltreligionen, die Sexualisierung der Alltagswelt, Verheißungen und Realität bei der Migration und die Ernährung der Weltbevölkerung.

 

Glück ist privat und öffentlich. Seine Wirklichkeit für den Einzelnen ist mit den Glücksmöglichkeiten aller vernetzt. Das Glück des Augenblicks lässt sich nicht immer mit den Zielen eines glücklichen Lebens in Einklang bringen. Das Glück der Sicherheit konkurriert mit dem Glück des Risikos. Von solchen Spannungen lebt die Ausstellung. Ein gewisser pädagogischer Grundgedanke, den man im Deutschen Hygienemuseum kaum als fremd empfinden kann, verbindet sich mit dem Beobachterhabitus der wissenschaftlichen Anthropologie in einer globalen Perspektive und Ästhetik. Die großen Fragen nach Glück, Freiheit oder Gerechtigkeit bewegen schließlich immer auch die jungen Leute. Vor dem Eingang zur Ausstellung können Besucher Post-it-Zettel als Kommentar zur Frage, was Glück sei, ankleben. Es waren Schülergruppen da, und man ahnt, dass diese Gesellschaft sich auf Musik, Sex und Familie einigen kann. Sicher ist nur, Glück ist ein Bauchgefühl, das zu Kopf steigen kann – und was sagt dazu das Bild mit der Rose? J´aime la rose mais je crains ses épines.

 

 

Ralf Schulte

 

 

GLÜCK – WELCHES GLÜCK

EINE AUSSTELLUNG DES DEUTSCHEN HYGIENE-MUSEUMS DRESDEN UND DES SIEMENS ARTS PROGRAM

VERLÄNGERT BIS 4. JANUAR 2009