6. Oktober 2008

Über allem thront die Partei

 

Es ist das chinesische Jahr der Ratte. Man könnte meinen, dass es kaum besser passt, betrachtet man die Ereignisse, die dieses Jahr China geprägt haben. Teils waren es Ereignisse, die über das Land hereinbrachen, wie die Kältewelle im Februar, die mehr als einhundert Millionen Menschen traf, oder das verheerende Erdbeben in der Sichuan-Region, das mindestens 70.000 Menschen das Leben kostete. Teils waren die Aufsehen erregenden Vorkommnisse auch selbst provoziert, wie die tibetischen Unruhen im März dieses Jahres. Was mit friedlichen Protesten der Mönche begann, weitete sich zu gewaltsamen Aufständen in der ganzen Region aus. Die weltweiten Sympathiebekundungen mit dem Volk des Dalai-Lama begleiteten schließlich auch den Großteil des olympischen Fackellaufs, der provozierend-demonstrativ auch durch die Hauptstadt Tibets führen musste. Die erst kürzlich stattgefundenen Olympischen Spiele stellten schließlich ein gigantomaneskes Lehrstück über die Besonderheit der gelenkten chinesischen Freiheit dar. Sie haben China der Welt so nahe gebracht wie kaum ein anderes Ereignis zuvor. Das Jahr der Ratte – ohne Zweifel ein besonderes Jahr für China.

Doch nicht erst seit den Olympischen Spielen spricht die Welt von dem fernöstlichen Giganten. Die unaufhaltsam wachsende Bedeutung Chinas für die Weltwirtschaft, für globale Energiefragen, den Klimawandel oder den Weltfrieden haben mit Faszination und Schrecken das Interesse an der Volksrepublik stetig wachsen lassen. Über allem schwebt die Frage nach der Funktionalität eines Staates, der mit 1,3 Milliarden Einwohnern knapp ein Fünftel der Weltbevölkerung zu seinen Bürgern zählt. Wer nach einer ehrlichen Antwort auf diese Frage sucht, muss die Antwort in einem erstaunlich kleinen Kreis suchen, der Kommunistischen Partei Chinas, kurz KPCh.

Die Entwicklung der Partei und die Entwicklung der Volksrepublik China sind aufs Engste miteinander verquickt. War die KPCh 1949 noch eine Klassenpartei erster Güte – auch wenn sie ihre Ideologie nicht in den Dienst des kommunistischen Proletariats stellte, sondern in den der chinesischen Bauern – so ist sie heute eine reformerische Volkspartei, die durch ihre ideologische Öffnung inzwischen fast alle Gesellschaftsschichten anspricht, so der erst 29-jährige Journalist und Sinologe Falk Hartig. Damit hat Sie eine Entwicklung vollzogen, von denen die westlichen Parteien nur träumen können, die trotz der fortschreitenden Auflösung traditioneller Wählerschichten geistig weiterhin in den klassischen Milieus verwurzelt sind.

Hartig kennt China. Mehrmals hat er das Land bereits bereist, studierte ein Jahr in Chongqing. Er kennt seine Befindlichkeiten und Besonderheiten und hat sich in seiner Tätigkeit als Journalist eingehend mit den politischen Prozessen in China auseinandergesetzt. In seiner aufwendig recherchierten Studie der KPCh erschließt er dem Leser nicht nur die Genese der Partei, sondern lässt durch kluge Schlüsse den stufenweisen Wandel insbesondere seit den 1980er Jahren nachvollziehen. Hierfür hat er in Kleinarbeit sämtliche Parteitagsreden der sogenannten Reformphase von 1982 bis 2007 analysiert. „Die Partei ändert sich, und das mehr, als wir wahrnehmen“, so Hartig im Gespräch. Diese Wandlungsfähigkeit der Partei ist die Basis für das fortwährende Bestehen des chinesischen Staates in seiner momentanen Verfasstheit und Grund dafür, dass China im Gegensatz zur Sowjetunion 1989 nicht am berühmt-berüchtigten „Ende der Geschichte“ angelangt ist.

Wie viel kann und muss man nachgeben, ohne dass das Land auseinanderfällt? Dies ist die Frage, die die chinesische Staatsführung seit Jahren umtreibt. Das Zusammenwachsen der Welt, der Einfluss der modernen Medien, die Globalisierung des Nachrichten- und Informationsflusses – all dies verändert in rasantem Tempo die chinesische Gesellschaft und damit auch die Wege der Partei. Bereits in den 80ern passte die Parteiführung die Staatsideologie pragmatisch an die chinesischen Verhältnisse an. „Sozialismus chinesischer Prägung“ nannte man Deng Xiaopings Versuch, die „allgemeingültige Wahrheit des Marxismus mit der konkreten chinesischen Realität [zu] kombinieren“, um bei der Anpassung an die außenpolitischen Verhältnisse nicht das Ruder aus der Hand zu geben. Unter den Bedingungen dieses besonderen chinesischen Sozialismus wendete sich die Partei seit ihrem 13. Parteitag wirtschaftlichen Reformen zu, die marktwirtschaftliche Elemente mit der chinesischen Planwirtschaft zu vereinen suchte. Dabei entwickelte die KPCh die einzigartige chinesische Theorie der „Sozialistischen Marktwirtschaft“, deren Motto lautet: Wie es in der Marktwirtschaft einen Plan gibt, gibt es in der Planwirtschaft einen Markt. Mit diesen wirtschaftlichen Reformen war ein Ausschluss von privat und selbstständig Wirtschaftenden, den sogenannten Kapitalisten, aus der Partei nicht mehr zu vereinbaren. Und letztlich war es ein Geschenk für die KPCh, denn der wirtschaftliche Aufschwung Chinas konnte nur durch die Inklusion der „Kapitalisten“ in die Partei mäßig von der Partei kontrolliert werden.

Und was ist die Antwort der Partei auf die Herausforderungen heute? Wie wollen die KP-Bonzen den Wirtschaftsdampfer durch die Wogen der Globalisierung und Internationalisierung steuern? Ideologisch durch das Konzept der „Harmonischen Gesellschaft“, vorgegeben durch Präsident Hu Jintao und Ministerpräsident Wen Jiabao. Mit ihr soll die konfuzianische Tradition der Chinesen die in China zu spürenden Erdbeben der Weltwirtschaft und -politik mildern und beruhigen. Die gesellschaftlichen und politischen Umbrüche sollen in der harmonischen Gesellschaft ausgeglichen werden. Wie erfolgreich dieses Konzept ist, konnte man jüngst bei den Festakten der Olympischen Spiele bewundern, in der die Harmonie in militärischer Akkuratesse unterging. Hartigs Buch „Die Kommunistische Partei Chinas heute. Von der Revolutions- zur Reformpartei“ macht deutlich, warum dies so ist. Innovation und Wandel entstehen in China nicht spontan, sondern sie sind lediglich die Antwort der Partei auf akute Herausforderungen.

Der gesellschaftliche Wandel des zurückliegenden Vierteljahrhunderts war kein von der Partei begleiteter, sondern ein von der KPCh gesteuerter notwendiger Anpassungsprozess an die Herausforderungen der Moderne. Dabei unterliegt sie selbst den immer dringlicheren Forderungen nach innerer Demokratisierung. Damit hat sie im kleinen Maßstab Probleme zu bewältigen, die dem Land und der chinesischen Gesellschaft im Großen noch bevorsteht. Ob sie aus diesen gestärkt hervorgeht oder sich auf eine übergeordnete Kontrollfunktion ohne Durchführungsautorität zurückziehen muss, bleibt abzuwarten. Beides ist möglich.

Wer mit der KPCh und ihren inneren Strukturen nicht vertraut ist und dennoch China verstehen will, der lese Hartigs exzellent recherchiertes Buch. Denn wer versteht, wie die Partei funktioniert, der weiß, wie China tickt. Zu bedauern bleibt allein, dass Hartigs Buch die immer wieder im Zusammenhang mit China auftauchenden Fragen der energiehungrigen Außenpolitik der Volksrepublik um jeden Preis sowie der Menschen- und Bürgerrechte innerhalb Chinas keinerlei Berücksichtigung finden.

 

Thomas Hummitzsch

 

Falk Hartig: Die Kommunsitische Partei Chinas heute. Von der Revolutions- zur Reformpartei. Campus-Verlag 2008, 196 S.; 24,90 €

 

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