25. Oktober 2003

Deutschaufsatz eines Halbstarken

 

Marcel ist 19 Jahre alt und will Schriftsteller werden. Was man so zu lesen kriegt, ist wohl sein erster Versuch in dieser Richtung und er muss wirklich noch ein bisschen üben. Der Chef seiner Mutter rät ihm: „Überhaupt solltest du dich mit dem beschäftigen, was vor deiner Nase passiert.“ Das ist dann also die Gesellschaft, in der er lebt. Das sind reiche Leute, die am Starnbergersee in Villen wohnen. Man fährt auch schnelle Autos. Es gibt sich „prätentiös schlängelnde Kieswege“, was auch immer das sein soll, und lackierte Bootsstege. Die beteiligten Personen muss man sich wie im Werbefernsehen denken. So viele große selbstbewusste Männer mit buschigen weißen Haaren, eisblauen/feurigen Augen und brauner Haut findet man selten beisammen. Na, im Großen und Ganzen wird die Hochzeit der Nachbarstochter Britta, in die Marcel verliebt war, beschrieben. Es ist also alles dabei: Liebesgeschichten, Schulgeschichten, Anwaltsgeschichten, glänzendes Wetter, Drogen, Mama, Kafka, Papa. Und es kann jederzeit losgehen. Porschefahrend träumt Marcel, allein durch die Geschwindigkeit zu sterben, wie er auch schon einmal glaubte, durch bloße Willenskraft sterben zu können. Marcel bleibt leben und der Text erreicht nicht die tödliche Geschwindigkeit, die man bräuchte, um durch die Luxusgartenanlagen bis zum Pool zu kommen.

 

Georg M. Oswald: Im Himmel. Rowohlt 2003