15. Juli 2008

Stadtplan, Stadtscape

 

Nicht erst seit Herzog/de Meurons Pekinger »Vogelnest« diskutiert das Feuilleton über das Bauen in Diktaturen. Ist es opportun, wenn westliche Architekten, angezogen von den weit gesteckten Möglichkeiten, in China, Libyen oder Saudi-Arabien die städtebauliche Modernisierung vorantreiben? Wirken sie an der Gestaltung und Selbstdarstellung modernistisch sich gebender Regimes mit, oder erhalten sie genau damit Bedingungen für Öffnung und demokratische Globalisierung? Wie immer entscheiden sich solche Fragen mühsam am Einzelfall. Albert Speers Kriminalgericht in Riad, in dem nach der Scharia verhandelt werden wird, mag ein anderer sein als irgendeine Sportarena. Die Bedingungen, unter denen Arbeiter hier wie da solche Projekte realisieren, sollten die Baumeister zu ihrem internationalen Ruhm allerdings nicht unter den Teppich kehren.

Andreas Neumeisters »Könnte Köln sein« heißt im Untertitel »Städte. Baustellen. Roman« und legt sich wie eine Blaupause über so eine Debatte. Seine kurzen Prosa-Stücke reihen Beobachtungen aneinander, Bildfragmente, Stimmungen oder einfach Rhythmen, Sinnskizzen, Erinnerungsstücke und präsentieren damit Explosionszeichnungen unserer Stadtgefüge, die sich wie Pläne auseinanderfalten bei seinen Spaziergängen durch Metropolregionen. Der Blick ist immer auf ein Stück Stadt gerichtet. Fassaden werden darunter zu Geschichte. Nie kommt das spielzeughafte Google-Earth-Gefühl auf. Das Faszinierende bei aller thematischer Verstreutheit ist, dass die Partikel nicht isoliert bleiben. Auch die weltweite Welt der Straßenschluchten ist Zusammenhang.

Trotzdem lässt sich nicht immer konkret benennen, worin die Bezüge zwischen den Szenerien Neumeisters bestehen. Es ist wie Musik: Es spricht zu uns, aber man kann nicht genau sagen, worüber – Ambient-Literatur. Das Prädikat Pop – der 1959 geborene Autor wird diesem zugerechnet – klingt dagegen beinahe verharmlosend. Sicher werden hier Formen und Themen der Kulturgeschichte ohne Ansehen von Herkunft und Hautfarbe angenommen oder verworfen. Sicher behalten die Texte eine schwebende, immer für überraschende Richtungswechsel aufgelegte Tonart. Es gibt sogar eine Art kalauernden Witz, der sich blitzartig auch wieder zurücknehmen kann. Im Duktus erinnert »Könnte Köln sein« auch mal an Rolf Dieter Brinkmanns vergleichsweise autolose Städte Westdeutschlands aus den 70er Jahren (könnte Köln sein …). Ein zweiter Name, der sich mit der Zeit in Erinnerung ruft, ist W. G. Sebald. Neumeister stapft den Spuren von Geschichte durchaus wie dieser nach und betrachtet ihre Hinterlassenschaften als fremd-vertraute Umgebung.

»Könnte Köln sein« erkundet die bauliche Verfassung und die am Zeichenbrett geplanten Bedingungen von Öffentlichkeit von Berlin bis Mexiko, in München, New York, Tallinn oder Moskau. Neumeisters Architekturkritik ist fachlich solide unterkellert. Er hat dafür keinen zentralen Kritikfertigbau zur Hand, sondern wechselt beständig diverse Außenperspektiven und Innenansichten. Statistische Daten fungieren als allwissender Erzähler. Historische Daten markieren den schmalen Grat zwischen kontingenten und politisch forcierten Tatsachen. Eingeworfene englische Sätze führen durch ein museal stillgestelltes Gebiet: als archäologischer Blick auf den – wie immer – Zwischenstand menschlicher Hinterlassenschaft, muttersprachlich entfremdet, aber gerade so vertraut, wie man in der U-Bahn hört: Please exit here for harbourboat trips.

Der lakonische Ton hat etwas Ansteckendes. Er lässt sich durch keinerlei Widersprüche aufbringen. Was sagen unsere Sätze, wenn kein Subjekt in ihnen handelt, weil es kein Prädikat gibt? Jeder für sich klingt wie seine eigene Kapitelüberschrift, unaufgelöst, nicht weiter auszuführen. Die kurzen Abschnitte enden nicht durch Punkte, mit Punkten, kraft Punkten – Leerzeile, manchmal zwei, groß weiter, Punkt, oder einfach klein weiter am nächsten Zeilenanfang. Manche Stücke sind wie Bildunterschriften. Kleintexte im besten Sinn. Und der Erzähler verschwindet in der Beschreibung der Umgebung.

Manchmal bleiben Neumeisters Stadtlandschaften allerdings seltsam anonym, wo Menschen als exemplarische Bewohner von architektonischen Environments aus Bussen klettern und Büros zuströmen. Deshalb gilt für alles: in den besten Momenten. Vielleicht ließe sich der Halt der Texte gar nicht ausreichend würdigen, wenn er unterwegs nicht auch mal verloren ginge. Eine Sammlung von Aphorismen – spricht bekanntlich nicht gegen das Prädikat Hauptwerk.

 

Ralf Schulte

 

Andreas Neumeister: Könnte Köln sein, Suhrkamp 2008, 276 Seiten, 16,80 €

 

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