27. Juni 2008

Cold cold heart

 

In Hamburg ist man gerade mächtig stolz auf eine zweifellos besondere Zusammenführung zweier Kunstepochen, deren Naheverhältnis der Kunsthistoriker Robert Rosenblum in den 1970er Jahren thematisiert hatte: Die große Mark-Rothko-Retrospektive in der Hamburger Kunsthalle durfte sich aus Berlin Caspar David Friedrichs geradezu ikonisches Gemälde „Mönch am Meer“ (1809) ausleihen und illustriert somit jene romantische Prägung der modernen Kunst, die nicht nur in der Autonomisierung des Bildwerks zum Ausdruck kommt, sondern auch die Instanz der Betrachtung mitreflektiert. Eine weitere kunstgeschichtliche Revision führte im vergangenen Jahr der Kunstpublizist und Kurator Jörg Heiser mit seiner Schau „Romantischer Konzeptualismus“ herbei, indem er einige beeindruckende und keineswegs unprominente Beispiele für Überschneidungen dieser beiden disparat erscheinenden Ausrichtungen präsentierte.

 

Die Wahl für das zweite Schlagwort, das sich zur gerade regelrecht Furore machenden Romantik gesellt, fällt im Kunstverein Wolfsburg auf die Popkultur. Bereits im Titel „In the Shadows“ wird versucht, diese behauptete Liaison zu fassen, indem auf eine Erfolgsnummer der konsensfähigen Dark-Rock-Band The Rasmus Bezug genommen wird. Es sind dann aber mehr diese herbeizitierten düsteren Schattenwelten, die melancholiegetränkten, bisweilen gespenstisch atmosphärischen Werte, die hier zum Tragen kommen als eine wahrlich romantische Gesinnung – dieser verkürzte Rekurs auf den so immens aufgeladenen Begriff ist ja bekanntlich ein seltener nicht. Das Romantische ist laut Rüdiger Safranski zwar „fast immer im Spiel, wenn ein Unbehagen am Wirklichen und Gewöhnlichen nach Auswegen, Veränderungen und Möglichkeiten des Überschreitens sucht“, doch ist hier der Ausflüchte evozierende Missmut – zumal davon überhaupt die Rede sein kann – recht homöopathisch dosiert.

 

Die eingangs platzierten Bilder von Helen Cho bilden eine kleine Galerie von Kugelschreiberzeichnungen auf pinkfarbenem Kunstleder, einerseits eine maskeradenhafte Affenfigur mit menschlichen Zügen, wie gefangen in innerer Agonie, andererseits biblische Motive zitierende Frauendarstellungen, die mal entrückt erscheinen, mal den Dialog suchen. Weniger unheimlich, wenngleich in Typus und Malweise frappant an Franz von Stucks „Sünde“ (1893) gemahnend, vermitteln Iris van Dongens lasziv anmutende Frauenporträts ein Air von Geheimnis, doch rote Pupillen und – geradezu ironisch – symbolistische Schlangenattribute bleiben harmlose Staffage. Während Hadassah Emmerichs dicht-ornamentale Bilder Anleihen bei der Formensprache der Graphic Novel und E. S. Mayorgas Videoinstallation „... so Satan told me how to deal with small things“ (2007) starke Parallelen zur Dramaturgie von Musik-Clip-Ästhetik vorweisen und dabei wesentlich tiefer in den schwarzen Farbtopf tauchen, erweist Adriana Molder mit ihren gänzlich monochromen großformatigen Tuschebildern den schillernden, abgründigen Gestalten des Film noir die Reverenz, das hauchdünne Pauspapier schlägt dabei Wellen, ein bisschen wie das Blut, das zwischen all dem Dekor in Kubrick’scher Manier das Interieur überschwemmt.

 

Ohne nostalgische Verbrämung gelingt hingegen Corin Sworn mit ihrem bedacht in Szene gesetzten Film „Atmosphere and Architecture“ (2006) eine somnambule Erkundung psychischer Abgründe und eine diffuse Beleuchtung arbeitsweltlicher Trostlosigkeit. Sie setzt dabei auf die Stimmen aus dem Off, die die langsamen Bewegungen der Kamera durch verlassene, in dumpfes Neonlicht getauchte Bürolandschaften begleiten. Nachtwärter erzählen von beunruhigenden Geräuschen, die ihnen bei ihren Kontrollgängen auffielen, doch bald offenbart sich die Szenerie selbst als das eigentlich Gespenstische: jenes gesichtslose Hochhausmeer, in dem der graue Arbeitsalltag nicht nur zu Orientierungsverlust führt, sondern auch zur Neurose.

 

Eine andere Kulisse eröffnet sich in Claudia Wiesers Fotodrucken, in denen sie alte Schwarz-weiß-Bilder von spektakulären Alpenketten mit zarten grafischen Ergänzungen versieht. Ihre Faszination gilt der strengen Geometrie und den klaren, kristallinen Strukturen dieser erhabenen Naturschauplätze, mit deren formalen Gegebenheiten die mit Buntstift oder auch Blattsilber markierten Setzungen in Korrespondenz treten; der Umstand, dass es sich um fremdes Bildmaterial aus vergangenen Zeiten handelt und die vorgenommenen Eingriffe recht verhalten, geradezu diskret erscheinen, verschafft der Serie jene Distanziertheit, die ihr zugleich eine besondere Eleganz verleiht. Es ist diese Ambivalenz zwischen den – teils kokettierend – kryptischen Inhalten und den verführerisch glatten Oberflächen, die den Reiz der hier versammelten Werke ausmacht.

 

Naoko Kaltschmidt

 

Kunstverein Wolfsburg: In the Shadows. Bilder der neuen Pop-Romantik,

9.5. – 29.6.2008

 

www.kunstverein-wolfsburg.de