20. Juni 2008

Hirngespinste

 

Einem Buch ein stark konturiertes, übergeordnetes Thema zu geben, birgt gewisse Risiken: Autoren mit weniger schriftstellerischem Geschick vermitteln schnell den Eindruck, ihre Arbeiten seien am Reißbrett entstanden. Auch der routinierte und viel gelobte New Yorker Autor Rick Moody („Der Eissturm“) musste sich zuletzt den Vorwurf gefallen lassen, seine umfangreiche Medien- und Gesellschaftssatire „Wassersucher“ wirke über weite Strecken arg überkonstruiert. Keine Frage, Moody hatte sich überhoben am eigenen schriftstellerischen Anspruch.

Seine jüngste Geschichtensammlung heißt „Paranoia“ und besteht aus drei langen Erzählungen. Alle handeln von paranoiden Neigungen mit teils psychotischen Ausprägungen. Kein leichtes Thema: Paranoia ist ein Hirngespinst und die Schwierigkeit des Autors besteht deshalb insbesondere darin, den Leser bei der Stange zu halten. Wo der doch weiß, dass die Dinge, die geschehen, lediglich einen innerpsychischen Wahrheitswert für die Betroffenen haben. Das kann schnell langweilig werden.

Wird es aber nicht. Moody taucht mit viel Fantasie tief hinab in die seelischen Abgründe seiner drei Protagonisten. Psychologisch geschickt kehrt er Stück für Stück das Innere eines quasselig überdrehten Pensionärs nach außen. Der Mann zeigt sich höchst beunruhigt von den Aktivitäten „dunkelhäutiger Individuen“; er wittert eine terroristische Verschwörung. Zu einer absurden Farce gereicht Moody der Verdächtigungswahn einer Büroangestellten, die sich anhand eines inhaltlich vollkommen harmlosen Zettels im Beschwerdekasten ihrer Firma um Kopf und Kragen denkt. In der dritten Geschichte lässt der Autor in einem schrillen Drogenerinnerungsalbtraum mit Science-Fiction-Konturen Wahrheit, Delirium und Illusion kollidieren.

Gelungen sind die Geschichten nicht zuletzt, weil sie die Abgründe ihrer Figuren sehr ernst nehmen. Nur vordergründig humorvoll, sind sie im Grunde schrecklich traurig – auch weil sie von der gnadenlosen Einsamkeit der Menschen erzählen.

 

Michael Saager

(Vgl. Jungle World Nr. 22)

 

Rick Moody: Paranoia. Erzählungen, Piper 2008, 245 Seiten, 18 EUR

 

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