20. Oktober 2003

Genauigkeit und Seele

 

Manche Pathologien sind wie Politthriller strukturiert. Inneres Kino dieser Art ist ziemlich heikel, auch und gerade wenn es den unbeteiligten Zuschauer unterhält. Der Held jedenfalls hat erst mal Probleme mit den „flüchtig hingemachten Männern“, denn die drücken ihm ihr Drehbuch auf. Und das gibt es nur für ihn, obwohl es Teil eines größeren ist, nach dem angehende mathematische Sonderbegabungen auf ihre Rolle in der Bekämpfung des politischen Feinds, der UdSSR, eingeschworen werden.

 

John Nash ist ein begnadeter Mathematiker, aber auch ein Sonderling. Er lässt sich nicht leicht vergruppen, ist noch ein bisschen elitärer als seine elitären Kollegen und hat die soziale Grammatik völlig durchschaut, auch wenn er nicht in der Lage ist oder es ablehnt, mit diesem Wissen zu spielen. So ist er stolz darauf, wenn er Frauen mitteilt, er wisse zwar, dass sie erwarten, dass erst mal ein bisschen geredet werden muss, bevor es zur Sache geht, aber man könne es sich doch auch einfacher machen usw. Man merkt aber, er kann gar nicht anders. Wenn es dann doch mal klappt, so verdankt sich das der Tatsache, dass er von seinem genialen mathematischen Projekt profitiert und der fehlende Charme auf ein Geheimnis überspringt. Und genau so stattet auch der Zuschauer diesen seltsamen Typen aus. Von Anfang an. Er muss erst gar nichts beweisen. Wir glauben ihm aufs Wort und auch ohne. Aber etwas läuft schief. Sein beispiellos arbeitendes Mustererkennungshirn fällt in die Übertragungsfalle. Der kalte Stellungskrieg zwischen Ost und West macht ihm einen Strich durch seine Karriere. Er ist nicht mehr in der Lage, seine Zustandsgrenzen korrekt zu definieren. Er ist ein zwar kinematografisch eleganter, aber doch unfreiwilliger Gleiter auf dem Möbiusband, das Wirklichkeit und Wahn nahtlos ineinander übergehen lässt. Er wird ein Opfer seines eigenen Genies. Seine frühere Asozialität wächst sich aus zur schönsten Paranoia. Mit seiner Frau empfinden wir heftigstes Mitleid.

 

Aber John Nash wächst noch einmal über sich hinaus. Er fliegt eine weitere Schleife und versucht, aus der Distanz den blinden Fleck in den Blick zu bekommen, der ihn für die Unterscheidung zwischen normal und krankhaft unfähig macht. Er ist halt ein echter Amerikaner, der sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen will. Die „flüchtig hingemachten Männer“ – genauer gesagt: zwei Männer und ein kleines Mädchen – bevölkern in der Folge zwar nach wie vor den Schauplatz seines immer noch erweiterten Wirklichkeitsfelds, aber sie haben keine Macht mehr über ihn. Der innere Film stagniert, nachdem wir dessen Brisanz schon längst entwertet haben. Dafür darf die äußere Wirklichkeit wieder an Bedeutsamkeit zunehmen. John Nash ist wieder gesellschaftsfähig, nachdem er sein eigener Antipsychiater gewesen ist. Er wird noch ein bisschen abgeklopft, aber dann heißt es: auf nach Stockholm, weder Ideen- noch Wirklichkeitsflucht sind zu befürchten. Am Ende erhält noch die traditionelle Opferrolle der Frau ihre tränenselige Würdigung. Genie und Familie, das geht.

 

Dieter Wenk

 

Ron Howard, A beautiful mind, USA 2001