24. April 2008

Schönheit und Elend

 

 

Der brasilianische Fotograf Sebastião Salgado hat einen Bildband mit hervorragenden Fotos von Afrika herausgebracht. Leider beschränkt er sich thematisch auf Hunger, Krieg und Natur.

 

Sebastião Salgado, einer der bekanntesten Fotografen weltweit, hat seit Anfang der 70er Jahre immer wieder den afrikanischen Kontinent besucht, seine ersten Aufnahmen dort machte der Autodidakt zu einer Zeit, als er noch als Ökonom für die International Coffee Organization tätig war. Er ist unbestritten ein brillanter Fotograf in der Tradition der sozialdokumentarischen Fotografie und porträtiert mit Vorliebe Menschen, die unterhalb der Armutsgrenze leben und unter unmenschlichen Bedingungen arbeiten müssen. Bekannt geworden ist er durch seine Dokumentation der Tagelöhner in einer brasilianischen Goldmine, das war in den 80er Jahren. Seitdem hat er unter anderem die vielbeachteten Bildbände "Workers – Arbeiter" und "Migranten" herausgebracht, beides Arbeiten, die in ihrer Intensität gleichzeitig erschrecken und berühren. Salgado fotografiert immer in Schwarz-Weiß, seine meisterhaft komponierten Bilder wirken dadurch in ihrer ästhetischen Reduktion zeitlos und trotzdem unmittelbar, sie brennen sich ins Gedächtnis des Betrachters ein.

Das gilt auch für die in dem Bildband "Africa" enthaltenen Fotos, die eine Zeitspanne von über 30 Jahren umfassen. Sie sind nicht chronologisch geordnet, sondern zeigen verschiedene Länder des Kontinents, die Salgado in der Regel mehrfach besucht hat. Sie sind grob nach Regionen zusammengestellt, jeder Teil wird durch einen kurzen Text des Schriftstellers Mia Couto aus Mosambik eingeleitet. Die Reise beginnt in Mosambik und Angola mit Bildern von Soldaten, Kindersoldaten und Flüchtlingen aus den Siebzigern sowie von Rückkehrern und Landminenopfern aus den Neunzigern. Derartige Bilder kennt man von Salgado, dafür ist er berühmt. Nun folgt aber – ganz ohne Überleitung – eine Überraschung: wunderschöne Aufnahmen von Angehörigen der Himba, einer Nomadengruppe, sowie Tieren und Natur in Namibia. Sie stehen im krassen Gegensatz zu den vorherigen Bildern und sind Teil eines neuen Projekts namens Genesis, mittels dessen Salgado seit Anfang dieses Jahrtausends die Schönheit Afrikas wiedergeben will. Laut Umschlagtext ist die Arbeit „angelegt als eine Erforschung der noch im Urzustand befindlichen Natur“. Ähnliche Landschafts- und Tieraufnahmen finden sich anschließend auch aus Kenia, Uganda, Ruanda und der Republik Kongo, wiederum gefolgt von Bildern der Opfer des Bürgerkriegs in Ruanda. Das letzte Drittel des Bildbands ist vornehmlich den Opfern der Hungerkatastrophen in Äthiopien, Mali und Sudan gewidmet, am Ende finden sich jedoch auch neuere Fotos aus der Region, zum Beispiel aus einem Dorf in Äthiopien, das von der Arbeit auf den umliegenden Kaffeeplantagen lebt oder von den Dinka, einer Hirtengruppe im südlichen Sudan. Auch letztere Bilder gehören zur Genesis-Reihe und kontrastieren stark mit den vorangegangenen Bildern des Hungerns. Überhaupt irritiert die Zusammenstellung der Fotografien, da keinerlei Erläuterungen zum Kontext ihres Entstehens vorhanden sind und die knappen Bildtitel nur wenige Informationen bieten. Hier wäre etwas mehr Ausführlichkeit wünschenswert gewesen, da vermutlich nur wenige Betrachter so detailreiche Kenntnisse über die afrikanische Geschichte besitzen, dass sie alle Fotografien sofort einordnen können.

Der schlichte Titel dieses Bildbands lautet "Africa", doch damit wurde leider zu viel versprochen. Salgado zeigt ein Afrika, das auf Elend, Krisen und unberührte Natur reduziert wird. Dabei soll keineswegs der künstlerische und dokumentarische Wert seiner Arbeiten infrage gestellt werden, doch es bleibt unklar, welches Bild von Afrika hier durch die Zusammenstellung der Bilder vermittelt werden soll. Die neueren Arbeiten scheinen eine Art Gegenentwurf zu den Fotografien von Kriegsopfern und Hungernden zu sein, und mit Sicherheit ist es verständlich, dass Salgado, der schon viel Elend in der Welt gesehen und fotografiert hat, sich nun mit der Schönheit der Natur befassen möchte. Doch die Beschwörung einer „ursprünglichen“ Natur wirkt rückwärtsgewandt und birgt Gefahren in sich, besonders wenn in diesem Zusammenhang auch Menschen abgebildet werden. Hier sind es Mitglieder der Himba und Dinka, beides Gruppen, die auch heute noch gern als „Naturvölker“ bezeichnet werden. Salgados Blick auf sie wirkt wie der eines älteren Ethnologen, der die von ihm untersuchte Kultur möglichst „unberührt“ dokumentieren möchte. Damit wird er der kulturellen Vielschichtigkeit Afrikas nicht gerecht. Das ist schade, denn bei einem Bildband, der den Namen eines ganzen Kontinents trägt, hätte man wenigstens den Versuch erwarten können.

 

Katrin Zabel

 

 

Sebastião Salgado, «Africa», Texte Mia Couto. Taschen, Köln, 2007. 335 S., 83.90 Fr.

 

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