14. April 2008

Ein seltsamer Typ

 

Ein misstrauischer Typ, wahrscheinlich trinkt er abends Rotwein und fängt nach einer Flasche an zu schimpfen.

Félix Vallotton (1865–1925), nicht sonderlich leicht zu durchschauen ist der Mann auf beiden in Hamburg gezeigten Selbstporträts. Als schmalgesichtiger zögernder Bubi wie als feist gewordener älterer Herr.

 

Was sich festhalten lässt: Frauen werden scharf beobachtet, nicht weiter drangsaliert, aber offenbar als gefährliche Spezies wahrgenommen. Vallottons Orpheusbild, wo der gute Sänger, da er sich ohne Eurydike überhaupt für keine Frau mehr interessiert, von verärgerten Frauen zerrissen wird, ist in diesem Zusammenhang wohl die verräterischste von Vallotton gemalte Szene. Da der Traum aller Männer, von enttäuschten Frauen angegangen zu werden, auch für Vallotton ein Traum bleiben musste – jedenfalls sieht es danach aus.

 

Kein Orpheus also, aber ironisch muss er sein, seine mythische Großbildmalerei mit nackt kämpfenden Männern und an Felsen geketteten Frauen, die modische Steckfrisuren und Rouge tragen, während die Herren mit geckenhaften Schnurrbärtchen auftrumpfen, sind ausgesprochen sonderbar. Die Albernheit der Szenen, in der die Damen, die sich von wilden Tieren nicht beeindruckt zeigen und nur die Augen verdrehen über die lächerlichen ritterlichen Handlungen der Herren, oder, so sie allein die mythologische Szene bestimmen, nicht so sehr nach tragischer Einsamkeit, sondern nach Migräne aussehen, speziell diese Bilder sind absolut scheußlich anzuschauen, sie sind hässlich und zu groß. Nachlässig wird die Diagonale des Bildraums mit Wolken, Landschaft und Personal gefüllt, man könnte es auch schlecht komponiert nennen. Man schaut die Bilder aber an, weil Handlungsform, also mythologisch überlieferte Szene gegenüber Körpersprache und Mimik in einem so disparaten Missverhältnis zueinander stehen, dass man den Eindruck gewinnt, die „schlechte“ Komposition sei Teil der gesellschaftlichen Farce, die Vallotton zum Thema hat. Geckentum verdient also passend schlechte, geckenhaft gemalte Szenerien.

 

Es gibt zahlreiche Künstler, die Vallotton toll finden, als Ironiker vielleicht, als Maler der ohne bildinterne Rechfertigung sozusagen in selbstgerechter Großmannssucht Kitschszenarien, Sonnenuntergänge und mythologische Gruselszenen malt?

Diese Beliebtheit von Vallottons Malerei bei Künstlern ähnelt der Verehrung der Bilder Picabias, dieser ist 16 Jahre jünger als der gebürtige Schweizer Vallotton, und ohne eine gegenseitige Beeinflussung behaupten zu können, ähneln besonders die Frauenbildnisse einander, in der mit fleischigen Körpern voll gestopften Bildfläche und der irritierenden, vorgeblich absichtslos gewählten, mal brüllenden, mal muffeligen Farbigkeit. Eine weitere Gemeinsamkeit, die beide Maler anderen Künstlern verehrenswert scheinen mag, ist die Tatsache, dass beide fummeln bis zur völligen Katastrophe in der betreffenden Bildpartie und eigentlich dringend ein vollständiges Abkratzen oder energisches Übermalen angezeigt wäre, dies aber nicht stattfindet, sondern die „vermalte“ Partie stehen bleibt und weiter mitmachen darf. Natürlich imponiert so viel werkinternes Selbstvertrauen anderen Künstlern. Man sollte überhaupt mal eine Kunstgeschichte der Künstler zusammenstellen, die in ihren Top Ten, wie Fritz Kramer bereits anmerkte, natürlich sowieso einer Insider-Exzellenz frönen, (D. h: Picasso wird selten als Vorbild genannt), in der Wahl ihrer Liebsten aber zweifelsohne weniger als gewöhnliche Rezipienten von politisch korrekten und moralisch relevanten Gründen geleitet sind, sondern freudig irgendwelchen Reaktionären, Irren oder Nationalisten nachlaufen, die z. B. gute Maler waren. Also war der Vallotton vielleicht ein Blödmann oder nicht und wirkt sich das auf seine Malerei aus? Auf jeden Fall hat er reich geheiratet, wozu man ihm erst mal beglückwünschen kann, unter welchen Umständen er seine vorherige Freundin verließ, ist allerdings unklar. War das schofelig? Ein schwer zu durchschauender Typ.

 

Nora Sdun

 

Félix Vallotton. Idylle am Abgrund

15. Februar bis 18. Mai 2008
Hubertus-Wald-Forum, Hamburger Kunsthalle, Hamburg