3. April 2008

Die Kunst des Fantasierens


Man muss schon den Boden unter den Füßen verlieren und sich, ein bisschen wie ein unglückseliger Drahtseilartist, auch letzter Sicherheiten berauben lassen wollen: Schuhe weg, Balancierstange weg, Seil weg. Doch keine Angst, Russel H. Greenans „In Boston?“ ist bloß ein Roman. Aber was für einer!

Er knistert vor Spannung, überraschenden Wendungen, skurrilen, mithin bluttriefenden Details, fantastischen Einfällen und strategischen Lücken zum Grübeln. „In Boston?“ ist Krimi, Satire, Künstler- und Kunstroman, ein verschriftlichtes B-Movie mit klug eingesetzten Camp- und Kitschmotiven. Ein gebildeter Poproman, gewissermaßen, dessen Inhalt man im Grunde für sich behalten möchte, um den potenziellen Lesespaß nicht zu schmälern.

Die Welt des Romans betrachten wir durch die Augen eines sympathischen, keineswegs glaubwürdigen Irren namens Alfred Omega: erfolgloser Künstler, größenwahnsinniges Genie, mehrfacher Mörder, Herbeiträumer ferner Welten und vieles mehr. Im zentralen Handlungsstrang geht Omega dem ominösen Kunsthändler Viktor Darius auf den Leim, der dessen Talent, malen zu können wie die alten Meister – sagen wir wie Leonardo Da Vinci –, zu klingender Münze machen möchte. Greenans Debüt entfaltet hier lässig die ganze Kraft eines mehrbödigen, vertrackten Kunstkrimis.

Erstmals erschienen im Jahr 1968, war „In Boston?“ zunächst ein schöner Erfolg, auch im Ausland. Dann geriet er in Vergessenheit, genau wie sein Autor. Dem SchirmerGraf-Verlag verdanken wir Gerechtigkeit in Form seiner Wiederveröffentlichung in bester Neuübersetzung durch Pociao. Und vielleicht trägt auch das begeisterte Nachwort von Jonathan Lethem zu einer kleinen Welle erneuter Aufmerksamkeit bei – berühmte Fans sind schließlich nie verkehrt.

 

Von Michael Saager

 

Russel H. Greenan: In Boston? Roman, SchirmerGraf, 2007, 378 Seiten, 22,80 Euro

 

Cohen+Dobernigg Buchhandel

 

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