22. März 2008

Vogeligkeiten

 

Auch hier hängt alles mit allem zusammen, kein Problem, denn es geht um Familiengeschichte, und man muss nicht lange lesen, um Ähnlichkeiten und Gründe für gewisse Vogeligkeiten herauszufinden, es handelt sich nebenbei um einen ganze Zoo von Ticks. Kein Wunder das alles, eher fraglich, warum die gesamte Menschheit nicht übereinander herfällt (fragt man sich ja immer) – wahrscheinlich zu faul oder momentan abgelenkt. Ja, die Protagonisten des Romans sind sehr mit der Gegenwart befasst, die gleichwohl von höchster, in diesem Fall Kölscher Normalität ist, sie sind dennoch damit ausgefüllt und nicht in der Lage, sich mit ihrer eigenen Geschichte zu befassen, was ihnen ihre Ängste womöglich erklärlich machen könnte. Diese Konstellationen gehen aber wenigstens dem Leser sogleich auf, da Guy Helminger schnell springt in die Historie zwei Generationen vor und zurück – kein Problem, überhaupt sind verschiedene Tempi Helmingers Spezialität.

Als wollte er dem Leser keine Gelegenheit zum vorzeitigen Aussteigen geben, beginnt der Roman in rasender Fahrt, tatsächlich mit einem Taxi, aber weniger die spezielle Fortbewegung als die von unterdrückter Wut getriebene Atmosphäre charakterisieren den Anfang und damit den ersten Auftretenden, Feltzer heißt er. Seine Frau Lousie, die man als Nächstes kennenlernt, ist dann auch das ganze Gegenteil in Tempo, also Temperament, man landet, die krachenden Autotüren noch im Ohr, in einer Kissengruft auf dem Sofa, von wo aus sich die Welt mit unendlich sanfter, zermürbender Langsamkeit bewegt. Solche Kontraste begleiten den Leser bis zu dem Punkt, wo das Personal vollständig eingeführt ist, danach geht es weniger abrupt weiter, der ganze Ton verfärbt sich ins Differenziertere und wird gegen Schluss ehrlich traurig. Nichts Räuberpistolenartiges - Helminger neigte auch in anderen Büchern zu durchaus gelungenen Burlesken - stört die Schilderung von einem schrecklichen Unglück, was ausnahmsweise nicht in der Familienvergangenheit spielt. Hier wird auch der Unterschied in Helmingers Tonfall plausibel: Retrospektiv wird in „Morgen war schon“ das Leben zur Groteske mit abstrusen Todesursachen, fröhlich brutalen Vergewaltigungen und anderen derben Possen mehr, der Historie gegenüber steht das maßlose Entsetzt-Sein, ein starres Unvermögen zu verstehen, was jetzt gerade wieder passiert.

 

Nora Sdun

 

 

Guy Helminger: Morgen war schon, Roman. Suhrkamp Verlag 2007, 332 Seiten, 19,80 Euro

 

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